Geschichten


Der Bardenwettstreit zu Carinthia


- Finale -

„Nein, nicht DU! Jeder, nur nicht DU!“, der vor Empörung zitternde Zeigefinger, der pfeilgerade in Richtung des jungen Elfen zeigte, gehörte zu niemand anderem als Leo MacDanold, der in einem bodenlangen, von Motten zernagtem Nachthemd am oberen Ende der Treppe in den ersten Stock stand und anklagend auf Cailin wies. Sein Haupthaar stand wirr von seinem Kopf ab und schien im Schein der Kerzen regelrecht rötliche Funken zu sprühen, während die Lippen im vollen Bartgestrüpp schmal wie ein Pinselstrich waren. Seine dunklen Augen spiegelten den Grad der Entrüstung wieder, den der gute Leo gerade empfand. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasch. Nie hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem wilden Löwen gezeigt als in just diesem Augenblick.
„Nicht du“, wiederholte er noch einmal, während alle Augen auf ihn gerichtet waren. Cailin errötete und wusste nicht, wohin er blicken sollte.
„Hast du meiner Familie nicht genügend Unheil beschert? Habe ich nicht genug unter dir gelitten? Musst du ausgerechnet jetzt zurückkehren, um mir die Rechnung zu präsentieren?“
„Vater!“ Fiona Ausruf war voller Schmerz und Empörung. „Was redest du da für einen Unsinn? Und wie siehst du überhaupt aus? Da muss man sich ja für dich schämen, Vater.“
Leo sah an sich herab, zuckte nur mit den Schultern und blickte seiner Tochter streng ins Angesicht.
„Schweig, Fiona, davon verstehst du nichts! Du bist damals nicht dabei gewesen, als dieser Barde in unserer Stadt weilte und allen Weibern den Kopf verdrehte … deine Mutter inbegriffen … und nun steht er da, als könne er kein Wässerchen trüben, als wäre nie etwas passiert“, halb schritt er, halb taumelte er in Richtung des jungen Elfen, während sich eine Gasse in der Schar der Barden bildete, die ihn ungehindert passieren ließen. Fast schon hatte er Cailin erreicht, als sich Fiona zwischen ihren Liebsten, den ihr Herz trotz seiner edlen Aufmachung längst erkannt hatte, und ihren Vater stellte, dessen Gesicht nun ungesund rötlich gefleckt war.
„Wovon sprichst du da, Vater? Bist du von Sinnen? Egal, für wen du ihn hältst: er ist es nicht! Hast du denn keine Augen im Kopf? Das ist Cailin, das ist der Mann, den ich liebe, Vater. So, nun ist es endlich raus“, seufzte sie erleichtert und fiel ihrem Liebsten in die Arme, drückte sich eng an ihn und küsste seine weichen Lippen.
Cailin errötete noch mehr.
Leo prallte zurück, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Mit wutverzerrter Miene packte er barsch Fionas Arm und versuchte, sie aus dieser, aus seiner Sicht unschicklichen Umarmung zu befreien, doch sie wehrte sich beharrlich und Cailin schlug schließlich Leos Hand von ihrem Arm und stellte sich schützend vor sie.
„Was fällt dir ein, Leolas, du Lump?“ Leos Aussprache wurde zunehmend feuchter. „Reichte es nicht, dass du mir mein Weib abtrünnig gemacht hast mit deiner vor Schmalz triefenden Stimme, musst du dich jetzt auch noch an Fiona, ihre Tochter, heran machen? Hast du denn keinen Funken Anstand im Leib? Wisse, Leolas, sie ist nämlich …“
„SCHWEIG!“ Die Stimme klang wie ein Donnergrollen. Leo zuckte zusammen und sah sich um, doch er erblickte nur die alte Grid Mole, die mit auf den Hüften gestemmten Armen hinter ihm stand und deren Augen nicht weniger Funken sprühten, als seine noch vor einigen Minuten. Sie konnte es doch nicht gewesen sein, die da gerade … er schüttelte nur belustigt den Kopf, was die alte Grid dazu veranlasste, ihre Augen soweit zu schließen, dass sie nur noch als schmale Schlitze zu erkennen waren.
„Wag es ja nicht, Leonard Alexander MacDanold, mich noch länger auf diese Weise anzusehen, du würdest es bitter bereuen, glaube mir“, zischte sie leise.
„Was willst du, Grid? Vertrödele nicht meine Zeit, indem du mich belästigst. Kehr du lieber zurück zu deinen Bändern und dem anderen Tand, aber misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Hast du das verstanden? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ höhnte er.
Grid Mole richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und erwiderte den starren Blick des Wirtes ohne Zögern. Ein schmallippiges Lächeln entblößte kurz ihre fauligen Zähne.
„Wie ich sehe, hast du im letzten Jahr nichts, aber auch gar nichts dazu gelernt, Leo“, sie schüttelte bedauernd ihr welkes Haupt. „Ich dachte, der Fluch würde dich ein wenig demütiger, etwas pflegeleichter werden lassen, dass du endlich auch anderen den Respekt zollen würdest, den du für dich selbst immer einforderst. Weit gefehlt. Du bist immer noch so halsstarrig, dickköpfig wie früher und hast die Manieren eines Schweins! Du willst wissen, wer ich bin? Bitte sehr!“
Sie drehte sich um ihre eigene Achse, wirbelte herum, bis ihr Körper in Myriaden von hellen Lichtkugeln verschwunden war, die in Richtung Decke schwebten, bis sie ihre Geschwindigkeit wieder verringerte und mit einem blendenden Blitz zum Stillstand kam. Grid Mole war verschwunden. An ihrer Stelle stand nun eine junge Frau mit langen, golden schimmernden Locken von der Farbe frischer Kastanien. Auch trug sie nicht länger die Kleidung der alten Krämerin, sondern ein eng geschnürtes weiß-blau gestreiftes Wams mit hohem Kragen, verziert mit bunten Bändern, eine knappe lederne Hose und knielangen Stiefeln, die am oberen Ende modisch umgestülpt waren. Ein Raunen ging durch die Schar der Barden. Einige wandten ängstlich das Gesicht ab und machten das Zeichen gegen den bösen Blick, während andere ihre Hälse noch mehr streckten, um ja nichts zu verpassen.
Geralt pfiff leise.
„Triss Merigold, ich hätte es mir doch eigentlich gleich denken können.“
„Geralt“, Triss neigte den Kopf höflich in Richtung des Barden und wandte sich dann der Gestalt des Hexers zu. „Es ist mir auch eine Freude, Euch wieder zu sehen, werter Rittersporn.“
„Darf ich davon ausgehen, dass du für den lästigen Zauber in unserem Zimmer verantwortlich gewesen bist?“ der Barde strich sich lächelnd über den Kinnbart, während Triss eine scheues Unschuldsgesicht aufsetzte, als wüsste sie nicht, wovon er sprach, dann aber lachend den Kopf schüttelte und den Hexer frech angrinste.
„Wer sonst, Geralt, wer sonst? Konnte ich denn wissen, dass der alte Hurenbock von Wirt sich vor Angst in die Buxen scheißt und mein damaliges Zimmer auf Teufel komm raus nicht mehr betritt? Nun, da hat es leider euch beide getroffen. Seht es als Kollateralschaden an und genießt einfach die Zeit und die Erfahrungen, die euer kleines Missgeschick euch beschert.“
Langsam strich sie um den Hexer herum. Rittersporn im inneren schwitzte Blut und Wasser, als ihre Hand über seine Wange fuhr und dann hinter seinen Kopf verschwand, wo sie zärtlich mit seinem schneeweißen Schopf spielte, bevor sie ihre weichen Lippen benetzte und den Hexer küsste, dass ihm Hören und Sehen verging. Geralt selbst sah es gelassen.
„Triss, komm zum Punkt, bevor unser guter Wirt hier noch irgendwelchen körperlichen Schaden davon trägt.“
Die Zauberin drehte sich herum und wandte sich dem Wirt zu, dessen Gesicht kreidebleich geworden war, ein auffälliger Kontrast zu seinem roten Haupt- und Barthaar. Schweiß perlte auf seiner Stirn und seine Mund öffnete und schloss sich wie ein Fisch an Land, der nach Luft schnappte.
„Ah, ich sehe, du erkennst mich wieder. Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?“
Leo holte tief Luft und endlich tropfte das Wort von seinen Lippen, das die ganze Zeit ängstlich dahinter gekauert hatte.
„Hexe“, röchelte er mehr, als das er sprach. Triss wirkte verärgert.
„Ist das etwa alles? Ein Jahr ist vergangen, seitdem du mich in Bausch und Bogen aus deinem Haus geworfen hast und dir fällt jetzt nichts Besseres ein, als mich wieder zu beleidigen?“ Sie seufzte. „Geralt, erklärst du ihm den Unterschied zwischen einer Zauberin und einer Hexe oder soll ich ihn lieber gleich in eine Kröte verwandeln?“
„Triss!“
Die Zauberin winkte gelangweilt ab.
„Schon gut, Geralt, ich kann mich gerade noch im Zaume halten, obwohl er es mehr als verdient hätte. Oh, er sähe bestimmt gut aus, als fette grüne Kröte mit roten Haaren“, sie kicherte mädchenhaft bei dem Gedanken. Langsam schlich sie um den Wirt herum, dessen Augen ihr ängstlich zu folgen versuchten, bis er bei dem Versuch fast über den Saum seines schäbigen Nachthemdes stolperte.
„Ich sehe, dir ist es nicht sonderlich gut ergangen im letzten Jahr. Keine Gäste, nehme ich an, daher auch keine Einnahmen, kein Luxus und kein angenehmes Leben. Wie traurig, aber selbst schuld. Daran hättest du mal denken sollen, bevor du mich dazu gebracht hast, diesen leidlichen Fluch auszusprechen. Apropos, bist du inzwischen daraus schlau geworden? Beim Teil mit den Barden hast du ja den richtigen Riecher bewiesen. Sollen wir mal nachschauen?“
Triss schnippte mit den Fingern und ein lautes Knarren ertönte im ersten Stock. Kurz darauf erschien am oberen Treppenabsatz ein merkwürdiges Ensemble, handelte es sich dabei doch um die Kleidung des Wirtes, die er am Vortag getragen hatte, doch ohne den Wirt darin, als würde ein Unsichtbarer seine Kleider tragen. Behände kam sie die Treppen herab, vollführte eine höfliche Verbeugung vor der Zauberin, die sie mit Wohlwollen quittierte, dann öffnete sich die obere Tasche des Wams und ein Zettel schwebte wie von Geisterhand getragen auf Triss Merigold zu.
„Ich bedanke mich“, schmunzelte sie, „mir scheint, dass selbst in deinem Beinkleid mehr Anstand vorhanden ist als in dir selbst, Leo.“
Sie faltete den Zettel auseinander und runzelte die Stirn.
„Dann wollen wir mal schauen:

Erst wenn endlich ans Licht kommt zu einer Zeit
die Wahrheit von allen Lügen und Siegeln befreit
wenn das hellste Tageslicht am Ende sieht
was schon lang geheim im Dunkeln erblüht
ein Schlüssel gegen Stahl um den rechten Platz ringt
ein Barde ein stummes Schwert zum Singen bringt
wenn die im Lande allergrößten Bardenzungen
vom niedrigsten der ihren wurden bezwungen
wenn dann noch die alte Weise am Brunnen erschallt
dann steigt das Übel daraus nach oben schon bald
wird letztendlich von einem Recken bezwungen
dessen Lippen nie einen Ton haben gesungen
erst dann wird kommen die rechte Zeit
dieser Schwur wird nicht gebrochen
die Stadt wird dann vom Fluche befreit
welchen im Zorn ich über sie habe gesprochen.

Nun, der erste Teil hat sich bereits erfüllt“, sie lächelte Cailin und Fiona an, „da steht vor uns die Liebe, die im geheimen erblühte, weil du Esel von Wirt sie nicht erkannt hast. Fionas Geständnis hat das Geheimnis enthüllt, doch leider ist es nicht das einzige“, sie seufzte. „Fiona, was Leo gerade verkünden wollte, bevor ich ihn unterbrach, ist nicht ganz leicht zu erklären. Du musst wissen, Cailin ist der Sohn des Barden Leolas, der vor langer Zeit in Carinthia weilte und hier einige gebrochene Herzen zurückließ, als er die Stadt verließ oder besser gesagt: verlassen musste. Meins ebenso, wie auch das Herz der jungen Frau, die sein Kind, also Cailin, unter ihrem Herzen trug. Doch sie war nicht die einzige. Auch deine Mutter gehörte zu den wenigen Frauen, zu denen sich Leolas hingezogen fühlte, auch wenn sie nie die Liebe und die Stellung in seinem Herzen erringen konnte, wie es Cailins Mutter tat. Und dennoch …“
Fiona legte eine Hand vor ihren Mund und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ja, Fiona, ich sehe dir an, dass du begriffen hast, welche Wahrheit ich dir enthüllen muss: Leolas ist auch dein Vater!“
Leo ächzte.
„Betrogen hat sie mich mit ihm, das undankbare Weibsstück“, spie er die bitteren Worte aus. „Und als wir ihn endlich aus der Stadt getrieben hatten, kam sie mit seinem Kind unter dem Herzen zu mir zurück. Was hätte ich tun sollen? Ich schwor, das ich sie fortjagen würde, wenn das Kind auf der Welt wäre, doch als ich dann in dein kleines Gesichtchen sah“, er wandte sich Fiona zu und sah sie zärtlich an, „in dein kleines, zerknautschtes Gesichtchen und ich keine spitzen Ohren entdeckte, da konnte ich nicht anders, als dich lieb zu haben, obwohl ich wusste, dass ich nicht dein Vater war. Und daran hat sich bis heute nichts geändert, Fiona, das musst du mir einfach glauben. Ich liebe dich wie mein eigen Fleisch und Blut und daran wird sie niemals etwas ändern!“
Fiona, Leolas Tochter, schlug beide Hände vor das Gesicht und weinte hemmungslos. Sanft schob Cailin sie in die offenen Arme von Leo, der ihm dankbar zunickte, bevor seine starken Arme ihren zitternden Körper umschlossen und er sie mit leiser Stimme zu beruhigen versuchte.
Die Zauberin spürte einen dicken Kloss in ihrem Halse stecken, als sie Zeuge dieser Szene wurde, doch sie fing sich rasch und fuhr fort.
„Nun, der nächste Teil betrifft euch zwei Hübschen“, grinste sie und sah Geralt und Rittersporn an. „Natürlich ist mit dem Schlüssel ein Notenschlüssel gemeint und damit niemand anderes als Rittersporn und der Stahl? Nun, man braucht nur auf Geralts Schwerter zu schauen und die Bedeutung wird einem klar. Ich bin immer wieder überrascht, welche Kapriolen manche meiner Flüche schlagen, mit denen selbst ich nie gerechnet hätte. Ihr beide ringt immer noch um eure wahre Identität, doch dieser Zauber ist zeitlich begrenzt und wird sich lösen, sobald die rechte Zeit gekommen ist. Und der Zeitpunkt dafür ist näher, als man vermuten mag. Ich hatte Tränen in den Augen vor Vergnügen, als Rittersporn Geralts Stimmbändern dieses nette Spottlied abgerungen hat. Ganz im Ernst, werter Rittersporn, ich hätte jedem, nur nicht dir so viel Selbstironie zugetraut. Jetzt zu dir, Cailin“, sanft fasste sie dem jungen Elfen an der Schulter und lächelnde ihm zwinkernd zu. „An dir hatte ich auch noch ein Unrecht gutzutun, wie du ja bereits weißt, und ich glaube, deine Stimme ist das herrlichste Geschenk, das man dir machen konnte, nachdem mein Spruch sie dir so lange vorenthalten hatte. Als niedrigster der Barden hast du sie alle bezwungen und deinem Vater alle Ehre gemacht. Ich weiß, er wäre unendlich stolz auf dich, hätte er heute die Gelegenheit gehabt, dir zuzuhören. In dir leben sein Genie und sein reicher Schatz an Balladen weiter.“
„Ich danke Euch für diese Worte, verehrte Zauberin“, Cailin deutete eine Verbeugung an, die Triss schmunzeln ließ, „verzeiht mir aber, wenn ich Euch diese Frage stelle: wart Ihr immer schon die alte Grid Mole?“
Die Zauberin schüttelte die Lockenpracht und senkte einen Augenblick nachdenklich den Kopf.
„Nein, das war ich nicht“, erklärte sie mit leiser Stimme, „es gab tatsächlich eine Grid Mole. Sie war wie ich eine Zauberin und eine gute Freundin von mir, die allerdings letztlich ihre Zauberkraft aufgegeben und sich damit den Unvermeidlichen Folgen der Zeit gestellt hatte. Sie starb letztes Jahr und so nahm ich ihren Platz ein, um von Zeit zu Zeit unerkannt nach dem Rechten sehen zu können.“
„Und was jetzt?“
„Wie bitte?“
Triss drehte sich abrupt um und sah einen jungen, noch pickligen Barden an, dessen Barthaare gerade erst zu sprießen begannen. Erst wich er einen Schritt vor ihrem Blick zurück, doch dann besann er sich eines Besseren, trat mutig wieder vor und reckte sein spitzes Kinn der Zauberin entgegen.
„Ihr habt mich schon gehört, Zauberin, was passiert jetzt? Was ist mit dem Rest der Prophezeiung?“
Ein leises Lachen perlte von ihren Lippen, als sie sich dem jungen Barden näherte, auf dessen Stirn erste Schweißperlen erblühten.
„So ist´s recht“, gurrte sie vergnügt, „ich mag Männer, die wissen, was sie wollen und sich nicht scheuen, das Maul auch aufzureißen. Nicht wahr, Geralt?“ Der Angesprochene schnaubte nur, während Triss´Hand dem Barden sanft ums Kinn strich. „Ich glaube, du hast noch eine große Zukunft vor dir, mein Junge ...“
„Ich heiße Bhreac“, stammelte der Barde mit glänzenden Augen.
„Nun gut, Bhreac“, schmunzelte Triss und wandte sich an den Rest der Barden, die dem Schauspiel mit wachsender Faszination gefolgt waren. Geralt verschränkte Kopfschüttelnd die Arme vor der Brust. Wieder einmal zeigte es sich, dass es keinen gab. der sich dem Zauber von Triss Merigold entziehen konnte. Gekonnt spielte sie ihr Spiel, breitete nun ihre Arme aus, als wolle sie die ganze Männerschar in dieselben nehmen und drehte sich einmal um ihre eigene Achse, bis sie wieder Bhreac in die Augen schauen konnte, der sichtlich entzückt war und dessen Wangen einen zarten Roseton angenommen hatten.
„Natürlich hat dieser junge Barde Recht. Noch ist dies nicht das Ende. Noch wirkt der Fluch, den ich im Zorn gesprochen habe, aber das große Finale ist bereits nahe. Wer von euch kann mir jetzt schon sagen, wo es stattfinden wird?“
Wieder ging ein Raunen durch die Menge, bis eine klare Frauenstimme durch die Luft hallte.
„Am Brunnen, wo denn sonst“, rief Fiona, die sich sanft aus der Umarmung ihres Vaters gelöst hatte und deren Tränen endlich versiegt waren. Entschlossen stellte sie sich an die Seite ihres Geliebten, nahm seine Hände in die ihren und führte sie zärtlich an ihre Lippen.
„Und du, mein geliebter Cailin, wirst dort endlich diesen vermaledeiten Fluch brechen, unter dem wir jetzt schon so lange leiden, nicht wahr?“
Cailin schluckte gerührt, nickte nur und küsste nun seinerseits die Fingerspitzen seiner Freundin.
„Worauf warten wir dann noch?“, Bhreac richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die keineswegs beeindruckend war und funkelte seine Kollegen an. „Machen wir uns auf zum Brunnen!“
„Auf zum Brunnen!“, erwiderte ein anderer Barde, dann stimmte noch einer in den Ruf ein und noch einer, bis der Ruf aus nahezu allen Kehlen erklang:
„Auf zum Brunnen!“
Begeistert drängte sich die Masse der Barden und derjenigen, die sich dafür hielten, durch die große Flügeltür nach draußen. Geralt und Rittersporn blieben noch zurück, ebenso wie Cailin, Fiona und ihr Vater.
„Worauf wartet ihr denn noch?“, verlangte Triss zu wissen. „Wollt ihr denn nicht erfahren, wie es ausgeht?“
„Durchaus, Triss“, antwortete Rittersporn und der Blick aus Geralts Augen ruhte spöttisch auf ihr. „Ich nehme jedoch an, dass ohne uns, also Geralt, Cailin und mich allerdings nur eine tumbe Masse von Idioten gibt, die gerade ohne Sinn und Verstand auf den sprichwörtlichen Brunnen vor dem Tore zu eilt und dort auf unsere Ankunft warten muss, denn wenn ich mich recht entsinne, spielen wir eine nicht unwesentliche Rolle bei diesem Finale. Außerdem“, er wies, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit einer Geste auf Fiona, die gerade die Kleidung ihres Vaters aufhob, welche nach dem Zauber reglos zu Boden gefallen war. Sanft fasste sie Leo am Ellbogen und dirigierte ihn in eine dunkle Ecke, was der Mann ohne Murren mit sich machen ließ.
„Komm, Vater“, murmelte sie beruhigend, „ es wird Zeit, dass du dir etwas vernünftiges anziehst. Freue dich, bald ist alles vorbei. Es dauert nicht mehr lange, Vater.“
Leo MacDanold sah seiner Tochter in die Augen und nur sie erblickte die Tränen, die sich nun aus den Winkeln der seinen langsam ihre Bahnen über das Gesicht zogen, um schließlich in seinem Bart zu versickern, als hätte es sie nie gegeben.

Der Brunnen lag, anders als Rittersporn es angedeutet hatte, nicht außerhalb der Stadt sondern inmitten derselben in zentraler Lage. Er war schon von weitem zu sehen, besonders von der erhöhten Lage des „Roten Löwen“. Geralt und Rittersporn wussten daher schon, als sie Plötze und des Barden Reittier losbanden, wohin der Weg sie in die Stadt führen würde. Ganz der Mann von Welt bot Rittersporn Fiona an, auf Geralts Pferd sitzen zu dürfen, das ihn, obwohl er Geralts Gestalt besaß, sicherlich geweigert hätte, ihn zu tragen, Zauber hin oder her. Auch Geralt lief lieber zu Fuß und führte Rittersporns Zossen am Zügel. Notgedrungen waren deshalb auch Cailin und Fionas Vater, der sich sichtlich wieder gefangen hatte, auf Schusters Rappen unterwegs, hatte man doch die letzten in Carinthia verbliebenen Pferde schon vor Monaten zu Wurst und anderen schmackhaften Köstlichkeiten verarbeitet und gleich verputzt.
Die Menge der Barden teilte sich bereitwillig, als die Prozession der Hauptakteure endlich ihren Bestimmungsort erreichte.
Der Brunnen war ein monströses Ungetüm, dessen fest gemauerter Umfang die doppelte Länge von Geralts ausgebreiteten Armen besaß und diesem knapp bis an die Brust reichte. Ein riesiger Kurbelmechanismus war in die Umrandung eingelassen, um das Wasser aus den Tiefen herauf holen zu können. Der Brunnenarm, der den nicht minder überdimensionierten Wassereimer an Ort und Stelle hielt, war schwenkbar, sodass nach dem mühevollen Schöpfen das kostbare Nass, das aufgrund der notwendigen Kraftanstrengung durch mindestens zwei starke Männer zu erfolgen hatte, problemlos außerhalb des Brunnens verteilt werden konnte. Zurzeit jedoch fehlte von dem Eimer jede Spur und der Brunnen selbst war mit etlichen schweren Brettern zugedeckt und mit zusätzlichen Eisenketten gesichert worden. Rittersporn hob fragend eine Augenbraue.
„Das Wasser im Brunnen versiegte kurz nach dem Fluch“, hob Leo zu einer Erklärung an, „zu viele versuchten, doch noch ein Quentchen Wasser aus dem Brunnen zu holen und einige fielen hinein und starben ...“
„Jaja, wenn das Kind erst mal in den Brunnen gefallen ist“, grübelte Rittersporn und fing sich einen missbilligenden Blick von Geralt ein, den er jedoch geflissentlich übersah.
„Es wird Zeit“, sagte Triss und führte Cailin zum Brunnen. Sie nickte Rittersporn zu, der erst fragend die Schultern hob, bis die Erkenntnis sein Gesicht erhellte. Umständlich griff er nach dem Stahlschwert. Geralt schüttelte den Kopf. Rittersporn lächelte gequält und packte schließlich das Heft des Silberschwertes und zog es aus der Schwertscheide. Diesmal nickte Geralt Gott ergeben.
„Was soll ich singen? Was, wenn ich das falsche Lied wähle“, verlangte Cailin zu wissen. Triss tätschelte ihm aufmunternd die Schulter.
„Keine Angst, junger Prinz, schließe die Augen und horche in dich hinein, und du wirst die richtigen Zeilen schon finden. Sie sind in dir, sie waren es schon immer.“
Cailin tat, wie ihm geheißen. Es dauerte nicht lange, bis er in seinem innersten auf einen hellen Schein stieß und zärtliche Musik vernahm, deren Töne ihm mehr als vertraut waren. Er lächelte, zaghaft zunächst, doch dann immer befreiter und schließlich lachte er leise auf. Ja, das war es, wonach er gesucht hatte. Dies war sein Lied!
Leise, doch hörbar, lösten sich die ersten Worte von seinen vollen Lippen, wurden immer lauter und kraftvoller, bis er die Verse mit all der Inbrunst sang, die ihm zur Verfügung stand und gerade aus seinem Herzen überquoll wie ein vom Eis befreiter Bach im Frühjahr:

„Anirach govaded i chîr aer?
Nedir i narn lin naer
Têlir na chûd ne cherin
Calad feana ne nîf dîn

Peniar amarth lîn
Ned i vanga en-fuin
Si habo ne morchaint
Canis narchar i lain

Avo dhartho na nen edh-rîw
canis han dôg ´urth a thrîw
I maethyr idh ristar i daur
Nuithar i vlabed e-gûr

Peniar amarth lîn
Ned i vanga fuin
Si habo ne morchaint
canis narchar i lain

I ngelaidh si pen-loth a pen-lass
I lûth gaita erin dalaf
I lû sîr i gôl nin na mâr
A! Si a na veth: im Eldar

Peniar amarth lîn
Ned i vanga fuin
Si habo ne morchaint
canis narchar i lain“

Die anderen Barden lauschten versonnen der Melodie, ließen sich gerne einfangen von der Süße seiner Stimme. Einige, die dieses Lied noch aus ihren Kindertagen vage in Erinnerung hatten, nahmen ihre Instrumente zur Hand und begleiteten Cailin darauf, andere wiederum, die den Text nicht kannten und bislang auch noch nie gehört hatten, trugen ihr Scherflein dazu bei, indem sie die Melodie mit summten.
Rittersporn hielt während des ganzen Liedes nervös Ausschau. Was würde ihn erwarten, wenn der letzte Ton verklungen war? Welches Unheil galt es zu bezwingen? Verdammt noch eins, warum hielt er ein Schwert in den Händen? Das war eindeutig Geralts Part, der genüsslich mit einem Holzspan Essensreste zwischen den Zähnen hervorpulte.
Dann ging alles relativ schnell. Kaum hatte Cailin sein Lied beendet, als die Erde auch schon von einem tiefen Beben erschüttert wurde. Die Barden stoben auseinander und selbst Cailin taumelte einige Schritte zurück.
„Halte dich bereit“, rief Triss Rittersporn im lauten Getümel zu. Ihre Stimme war, wahrscheinlich magisch verstärkt, problemlos im ganzen Tumult zu hören.
Das Beben verebbte so schnell, wie es gekommen war, doch ein anderes Phänomen trat an seine Stelle. Ein knirschendes Geräusch machte sich dumpf breit. Es klang, als schabte etwas an Stein entlang, keine Klinge, doch etwas von derselben Stärke. Rittersporn spitzte seine feinfühligen Ohren und hatte schon bald den Ursprungsort entdeckt, während andere noch unsicher Löcher in die verschiedensten Richtungen starrten. Der Brunnen. Wenn er sein Ohr an das Holz hielt, dann … er kam nicht mehr dazu, diese irrwitzige Idee in die Tat umzusetzen, denn bevor er den Rand des Brunnens überhaupt erreichen konnte, verstärkte sich das Geräusch um ein vielfaches. Es kam aus den Untiefen der Erde und bahnte sich seinen Weg durch den Brunnenschacht nach oben und doch traf es die Menge unvorbereitet, als die Bretter und die Ketten gleichermaßen wie durch eine Explosion, wie sie Alfred Nabels Sprengstoff nicht besser hätte hervorbringen können, empor und weit mehrere Meter über die Köpfe der Anwesenden hinweg geschleudert wurden, sodass sich die Verletzungen, die einige Barden erlitten, doch in Grenzen hielten.
Wesentlich gefährlicher erschien allen das Wesen, das aus dem Brunnenschacht seinen Weg nach oben gefunden hatte: ein riesiger weißlicher Wurm, dessen silbern schimmernde Haut mit unzähligen, scharfkantigen Schuppen bedeckt war. Der Wurm brüllte, erzürnt über die Störung seiner unterirdischen Ruhe, und entblößte eine Reihe spitzer Reißzähne, gegen die Geralts Silberschwert wie ein Zahnstocher wirkte. Mit bösartig funkelnden Augen, die tiefschwarz wie die Nacht und groß wie Wagenräder waren, fixierte das Unwesen die Gestalt mit dem Schwert unter ihm.
Rittersporns Blick flog zwischen dem scharfen Schwert in seiner Hand und dem weit aufgerissenen Maul des Untiers hin und her. Verzweiflung machte sich auf seinem Gesicht breit, die von Entsetzen abgelöst wurde, als der Wurm sich anschickte, auf ihn nieder zu stürzen. Mit einer abwehrenden Bewegung riss er das Schwert herum und stemmte es dem Angreifer entgegen. Schwert und Wurm trafen aufeinander. Rittersporn kugelte die Wucht des Aufpralls fast die Schulter aus dem Gelenk. Er schrie auf. Die Menge schrie mit, atmete im nächsten Augenblick jedoch auf. Der Hexer lebte noch und er verdankte dies lediglich dem Umstand, dass der Wurm auf halbem Wege im Brunnen feststak und so nicht seinen ganzen Körper dem Barden in Hexergestalt entgegen werfen konnte. Das Silberschwert war unversehrt, doch gleiches galt auch für das Geschöpf aus der Tiefe. Das Schwert hatte es lediglich vermocht, dem Untier eine Schuppe vom Leib zu reißen, die einem Schilde gleich neben Rittersporn auf dem Boden lag, der sich die Schulter rieb.
„Triss, nun tue doch etwas, verdammt!“, verlangte Geralt aufgebracht, „löse den Zauber von uns oder schick die Kreatur in die Hölle zurück, aus der sie stammt.“
Die Zauberin wehrte ab.
„Das ist nicht meine Aufgabe, Hexer. Ich kann den Dingen nur ihren Lauf lassen. Ich habe es nicht mehr in meiner Hand.“
Geralt starrte grimmig den Wurm an, der doch tatsächlich seine Wunde leckte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf Rittersporn konzentrierte. Es war Zeit zum Handeln.
„Du hast Recht, Zauberin“, erwiderte er, „das ist die Aufgabe eines Hexers!“
Entschlossen trat er an Rittersporn heran und griff nach dem Silberschwert, als wieder jener helle Schein auftrat, den sie beide schon einmal gesehen hatten, damals in ihrer Stube. Diesmal jedoch war es keine Figur, die erstrahlte, sondern das Schwert. Insgeheim betete Geralt dafür, diesmal nicht ohnmächtig zu werden. Das konnte er sich jetzt nicht leisten, nicht, wenn das Leben seines Freundes Rittersporn auf dem Spiel stand. Er spürte ein ziehen und zerren in seinem innersten und nach einem kurzen Moment des Widerstandes ließ er es geschehen. Geralt schloss die Augen und fühlte, wie sein Selbst fortgerissen wurde, aus Rittersporns Körper hinaus und als er die Augen wieder öffnete, verrieten ihm nicht nur die einzelnen weißen Strähnen, die in sein Gesichtsfeld hingen, dass er sich nun wieder in seinem eigenen Körper befand. Hinter ihm stöhnte jemand und aus den Augenwinkeln heraus sah er den Barden mit zitternden Händen rückwärts taumeln, die Augen weit aufgerissen. Es blieb keine Zeit, um die Rückkehr seines Selbst zu feiern, denn es galt den Wurm zu besiegen.
Behände sprang Geralt auf und umrundete Rasch den Brunnen, um dem Untier in den Rücken fallen zu können, doch das Vieh war schlauer als er gedacht hatte. Mühelos vereitelte er Geralts Plan, sodass sie sich Auge in Auge gegenüberstanden. Nun, Geralt stand, während das Wesen ihn von oben heran anglotzte.
Probieren wir etwas anderes, dachte Geralt und täuschte einen Frontalangriff vor, sprang im gleichen Moment zur Seite, sodass der Kopf des Ungetüms nur den Boden erwischte, auf dem der Hexer zuvor gestanden hatte. Geralt ließ sich die Gelegenheit, die sich ihm nun bot, nicht entgehen, zückte zu dem Silber- auch noch das Stahlschwert, sprang auf den Rand des Brunnens und versenkte das Stahlschwert tief zwischen zwei Schuppen auf dem Rücken des Wurms, wenn man denn von einem solchen sprechen konnte, und zog sich hinauf. Sofort erhob sich der Wurm vor Schmerz brüllend und versuchte, den unerwünschten Gast mit den Reißzähnen zu erreichen, um ihn herunter zu beißen, doch vergeblich. Geralt behauptete seinen Platz dank des Schwertes, welches ihm sozusagen als Steigbügel diente. In der Menge, die sich rasch in sichere Entfernung geflüchtet hatte, erklangen zunehmend Ermunterungsrufe. Auch Rittersporn kam nun vorsichtig mit der Menge näher und skandierte gleichfalls:
„Geralt!Geralt!“
Den Hexer beeindruckten die Rufe nicht sonderlich. Er blendete sie aus. Zu sehr war er auf seine nächsten Schritte konzentriert. Mit dem Silberschwert durchstieß er die nächste Lücke zwischen zwei Schuppen und zog sich ein Stück weiter hinauf, nachdem er das Stahlschwert wieder herausgezogen hatte. Im steten Wechsel erstieg er so rasch die gesamte Länge des Wurms, bis er schließlich beim verdickten Schädel angekommen war, in sicherer Entfernung zu dem wild um sich schnappenden Maul der Bestie.
Nun wird’s interessant, dachte Geralt, schnappte sich das Silberschwert, mit den Füßen auf dem aus Stahl gefertigten balancierend, und erhob die Klinge drohend über den Scheitel des Wurms. Die Barden hielten die Luft an. Irgendwo in der Menge fielen einige Sänger in Ohnmacht, teils aus Sauerstoffmangel, teils, weil sie die Spannung nicht länger ertrugen.
Mit einem Aufschrei versenkte Geralt ohne Zögern sein Schwert in den Schädel des Wurms, bis dieses gegen einen Widerstand in Form der Zähne stieß, die unter der Wucht des Schlages zersplitterten wie Glas. Ein letztes Mal bäumte sich der Wurm auf, doch Geralt hielt die Balance und schlitterte mit ausgebreiteten Armen den Körper des Untiers herab, bis seine Füße wieder festen Boden unter sich spürten. Zur selben Zeit, als der Wurm in einem Schwall milchig-weißem Blutes sein Leben aushauchte, brandeten allmählich, erst leise, dann ohrenbetäubend, Jubelschreie auf.
Triss stand in sicherer Entfernung, das Gesicht kalkweiß, was einen Schönen Kontrast zu ihrer wilden Haarpracht bildete. Als sie sah, dass der Hexer unbeschadet vor ihr stand, kannte sie kein Halten mehr. Zitternd stürzte sie in seine Arme und schmiegte sich eng an seine starke Brust.
„Geralt“, flüsterte sie stockend, „ich konnte nicht ahnen, dass es so groß sein würde. All dieser Neid, diese Missgunst und die Geheimnisse haben es so fett werden lassen. Wenn ich das geahnt hätte … ich hätte dich doch niemals einer solchen Gefahr ...“
„Ist schon gut, Triss“, beruhigte er sie und strich durch ihr Haar. „Monster bleibt Monster, da ist die Größe ganz nebensächlich“, erklärte er und dachte insgeheim an Flotsam und das Umland von Wyzima. Einen Moment der Intimität war ihnen noch vergönnt, dann brach der Minnesang in Form der ungezählten Barden über sie herein und Triss wurde rasch wieder zu der kühlen und unnahbaren Zauberin, die sie selbst so verabscheute.
„Bravo!“ Das Schulterklopfen und Händeschütteln wollte kein Ende nehmen. Geralt ließ es beiläufig geschehen. Es gehörte zum Job, auch wenn er die Intensität mehr als übertrieben fand.
Leo hingegen plagten ganz andere Probleme.
„Was machen wir jetzt mit diesem Vieh?“, fragte er lautstark und trat angeekelt gegen die Überreste des Wurms, die am Boden lagen und partout nicht verrotten wollten, was seine These untermauerte, dass der Fluch nun tatsächlich Geschichte war. Er beugte sich hinab und brach mühselig eine Schuppe herunter.
„Nun“, murmelte er geschäftig in seinen Bart, „die könnte man doch gut als Andenken verkaufen und mit etwas Glück ist das Vieh auch noch essbar ...“
Geralt konnte nicht anders. Er lachte lauthals.
Rittersporn wandte sich Cailin und Fiona zu, die beieinander standen und die Hände nicht voneinander lassen konnten.
„Und was werdet ihr beiden Turteltauben nun tun?“
Fiona strahlte über das ganze Gesicht.
„Wir wollen so bald wie möglich heiraten“, antwortete Cailin an ihrer Stelle und fügte hinzu: „Und wenn es dir Recht ist, Liebste, möchte ich eines Tages in das Reich meines Vaters aufbrechen, um meiner Familie die Aufwartung zu machen. Natürlich nur mit dir.“ Sie nickte zustimmend.
„Eine Hochzeit? Ist das denn überhaupt möglich“, rätselte Rittersporn, „schließlich haben die beiden doch denselben Vater?“
„Nun, das hat König Foltest doch auch nicht davon abgehalten, seine Schwester zu heiraten, und die beiden hatten auch noch eine gemeinsame Mutter“, warf Triss lapidar ein. Geralt schwieg aus gutem Grunde und dachte sich seinen Teil. Triss hatte nicht Unrecht, doch auch sie vermied es auszusprechen, was ihnen beiden gerade durch den Kopf ging. Adda.
„Viel wichtiger ist jedoch, dass ihr den Segen deines Vaters habt, Fiona.“
Die Wirtstochter blickte in Richtung ihres Vaters, der sie ansah und schließlich seufzte.
„Meinen Segen habt ihr, denn ihr macht ja doch, was ihr wollt. Ich kenne doch den Dickschädel meiner Tochter. Den hast du übrigens von deiner Mutter, nicht von mir, lass dir das gesagt sein.“
„Verzeih, Vater“, mischte sich nun auch noch Ranold ein, hinter dessen Rücken der blonde Barde hervor lugte, „wenn es dir Recht ist, möchte ich auch um deinen Segen bitten: für mich und Ansgar“, sprach er und umarmte den Barden herzlich.
Leo raufte sich den Bart.
„Meinetwegen“, resignierte er schließlich, „oh je, was das wieder kosten wird!“
„Da mach dir mal keine Sorgen, werter Schwiegervater“, meldete sich nun Cailin zu Wort, „es ist ja nicht so, dass ich vollkommen mittellos in deine Familie einheirate. Denk nur an die Siegesprämie, die mir laut Wettstreit zusteht. Das ist doch ein recht ansehnliches Sümmchen, das locker für eine Doppelhochzeit reichen sollte.“
Leos Augen strahlten. Weniger vor Freude als von dem Gedanken an die Einnahmen. Triss seufzte. Änderte sich dieser Mann denn nie?
„Ihr seid natürlich herzlichst eingeladen, Triss Merigold“, schmunzelte Leo MacDanold, dem der Seufzer der Zauberin natürlich nicht entgangen war, „und ich möchte mich aufrichtig für mein ungehobeltes Benehmen Euch gegenüber entschuldigen. Von nun an soll Euch der Respekt entgegen gebracht werden, der Euch zusteht.“
Triss lächelte und neigte hoheitsvoll den Kopf.
„Und was ist mit mir und Geralt?“ wollte Rittersporn wissen.
Cailin, Fiona, Ranold und Ansgar, die geschäftig die Köpfe zusammengesteckt hatten, sahen zur gleichen Zeit auf.
„Das ist doch ganz klar ...“, begann Cailin und Ranold vollendete den Satz, „... ihr beide bleibt hier und werdet unsere Trauzeugen!“
„Ich lasse mich nur von meinem Bruder zum Altar begleiten“, rief Ansgar lachend, „näher wirst du diesem heiligen Ort in deinem ganzen Leben selbst nicht kommen, Brüderchen!“
Geralt und Rittersporn sahen sich an und zuckten die Schultern.
„Nun, zumindest um die Musik zum Fest braucht sich keiner Sorgen zu machen“, bemerkte Rittersporn und erntete tosendes Gelächter seiner Minnebrüder.

Drei Tage dauerten die Feierlichkeiten und beide, sowohl der Hexer als auch der Barde waren froh, als sie Carinthia, um einige Kilo schwerer, doch recht zufrieden, wieder verlassen konnten.
„Es ist doch immer dasselbe“, sagte Rittersporn und rülpste vernehmlich, „mit Familie und Feiern verhält es sich wie mit einem Fisch: nach drei Tagen beginnen sie zu stinken und unangenehm zu werden.“
„Na, dein Bruder wird dir da wohl kaum zustimmen mögen, Barde“, grinste Geralt, „doch eins muss man ihm lassen, er war eine verdammt attraktive Braut.“
Rittersporn lachte lauthals.
„Hast du auch die neidischen Blicke von einigen Barden in der Menge gesehen? Da gab es genügend, die Ranold am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt hätten. Ich bin froh, dass es vorbei ist“, prustete er noch lachend und rülpste erneut.
Schweigend ritten sie nebeneinander her, jeder für sich in Gedanken versunken, ließen sie noch einmal innerlich die Ereignisse Revue passieren, die ihnen seit ihrer Abreise aus Tretogor widerfahren waren. Rittersporn suchte bereits nach den passenden Reimen für eine ordentliche Ballade, als ihm etwas einfiel.
„Wohin reiten wir eigentlich jetzt?“
Geralt wandte sich um, strich einmal um sein bartloses Kinn und lächelte, bevor er sein Pferd wendete und eine vollkommen neue Richtung einschlug.
„Wo willst du hin, verdammt noch mal? Geralt, warte!“
Geralt drehte sich nicht um, während er antwortete:
„Wohin? Denk nach, Rittersporn. Ich hab jemanden in Tretogor versprochen, ich würde auf dem Rückweg noch einmal vorbei schauen. Erinnerst du dich?“
Nun war es an Rittersporn zu grinsen. Natürlich erinnerte er sich. Also auf nach Tretogor, dachte er, es ist an der Zeit, dass sich der Kreis schließt.

(Dan)

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Witchers News, Jg. 4, Nr. 25 vom 03.10.2012, S. 25-36


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