Monstergrotte


Der Doppler

oder
Wenn du alles doppelt siehst,
liegt es nicht immer am Alkohol


So hatte es sich zugetragen …

Langsam schloss er die Haustür hinter sich, darauf bedacht, dabei keinerlei Geräusch zu verursachen. Mit einem großen Schritt umging er die knarrende Bodendiele und stieß sich das Knie an einem Fußschemel, der morgens noch nicht da gestanden hatte, da war er sich sicher.
Einen Schmerzlaut unterdrückend humpelte er im fahlen Mondlicht, das just im Augenblick durch die Fenster herein schien, zum nahegelegenen Tisch, setzte sich und lauschte angestrengt, doch aus der obersten Etage drang kein Laut zu ihm herunter. Den Göttern sei Dank, dachte er und rieb sich das immer noch schmerzende Schienbein. Seine Frau schlief anscheinend tief und fest.
Es war wieder spät geworden im Rathaus von Wyzima. Während er im Erdgeschoss noch mit etlichen Anträgen beschäftigt gewesen war, hatten die Stadtbeamtinnen im Stockwerk darüber längst den Feierabend bei einigen Flaschen Wein eingeläutet. Die vergnügliche Stimmung und das ständig aufperlende Gelächter waren nicht zu überhören gewesen. Schließlich hatte er sich dazu gesellt und war, wie immer, wenn er dies tat, durchaus auf seine Kosten gekommen. Besonders eine Frau hatte es ihm seit Monaten angetan: Rosalie, die in der Ablage arbeitete und einige recht anregende Möglichkeiten kannte, wie man das Mobiliar im Ablagenraum auch anderweitig nutzen konnte.
Zum Glück hatte seine Frau noch nichts von seiner Affäre mitbekommen und er betete zu den Göttern, dass dies in Zukunft auch so blieb. Wenn er es sich recht überlegte, dann wirkte seine Frau in letzter Zeit äußerst zufrieden, wenn nicht gar glücklich. Ob sie wohl einen Liebhaber hatte? Nein, wer würde diese sonst so streitsüchtige Vettel wohl schon freiwillig anfassen oder gar in sein Bett lassen? Ihn schauderte es. Zugegeben, am Anfang ihrer Ehe war er verrückt nach ihr gewesen und hatte nicht genug von ihr bekommen können, doch im Laufe der Jahre war nicht nur die Küche immer häufiger kalt geblieben; auch die gemeinsamen Laken teilten relativ schnell dieses Schicksal, sodass er gezwungen war, das Lodern seiner Lenden immer häufiger auswärts zu löschen.
Gleich würde er die nächste Etappe in Angriff nehmen müssen und sich nach oben zu seiner Gemahlin ins Bett schleichen, wenn die bleierne Schwere in seinen Beinen ihn nicht vorher dazu veranlasste, sich vor den erkalteten Kamin in einige Decken einzurollen und die wenigen Stunden bis zum Morgengrauen gleich dort zu verbringen. Langsam fielen ihm die Augen zu, und ohne dass er es mitbekam, rutschte er im Halbschlaf vom Stuhl zu Boden und rollte sich zusammen.
Er träumte, dass sich ein seltsames Wesen über ihn beugte, mit teigigem Gesicht und heraushängender Zunge. Trübe, gelbliche Augen starrten ihn musternd an, dann verschwand das Gesicht aus seinem Blickfeld. Er wurde wach, als ein Fuß ihn in die Seite trat. Er sprang auf und stieß sich dabei den Kopf am Tisch.
http://journal.the-witcher.de/media/content/wn23_mg_doppler1.pngAuf einem Stuhl neben dem Tisch saß ein Mann. Er trug ein lächerliches, mit Rosen besticktes Nachthemd, das ihm einige Nummern zu groß war. Es dauerte eine Weile, bis sein noch vom Alkohol dröhnender Schädel erkannte, dass dies sein eigenes Nachthemd war. Wer wagte es, sich seiner Sachen zu bemächtigen? Er sah genauer hin. Der Mann hatte in etwa dieselbe Größe wie er, trug auch das dunkle Haar ganz ähnlich gescheitelt, doch am unheimlichsten erschien ihm das Gesicht des Mannes. Es war, als blicke er in einen Spiegel! Hatte er etwa bei den Damen so viel getrunken, dass er bereits Halluzinationen bekam? Noch etwas benommen schüttelte er den Kopf. Der Fremde, der wie er aussah, beugte sich verschwörerisch zu ihm hinab.
„Erin, was machst du hier?“, sprach ihn sein Ebenbild an und Erin wunderte sich, von diesem mit seinem Namen angesprochen zu werden. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, du würdest die ganze Nacht bei Rosalie verbringen.“
„Wer bist du? Warum siehst du aus wie ich? Willst du mich etwa beiseiteschaffen, um meinen Platz einzunehmen?“ Erin wurde sich plötzlich der Gefahr bewusst, die ihm drohte und verschwand unter dem Tisch.
„Beruhige dich, Erin! Ich habe nicht vor, dir auch nur ein Haar zu krümmen.“
Erin streckte seinen Kopf unter dem Tisch hervor und sah misstrauisch dem Mann ins Gesicht, der gerade sein Lächeln lächelte. Ein kalter Schauder rann ihm den Rücken hinab.
„Das beantwortet nicht meine Frage! Wer oder was bist du?“
Sein Ebenbild reichte ihm eine Hand und widerwillig ließ er sich unter dem Tisch hervor helfen. Dann setzte er sich, um Abstand bemüht, auf einen anderen Stuhl, den Tisch zwischen sich und diesem Abbild wissend.
„Du weißt, was ich bin. Deine Mutter hat dir als kleines Kind immer von uns erzählt, von den Wesen aus den Wäldern, die ...“
Erins Gesicht erhellte sich. „ … die in der Nacht kommen und kleine Kinder rauben, um ihren Platz einzunehmen! Du bist also ein Vexling, ein Doppler?“
Der Doppler nickte.
„Um es vorweg zu sagen: die Gerüchte über uns sind maßlos übertrieben und gelogen. Warum sollten wir eure Kinder rauben? Wir lebten in Ruhe und Frieden, weitab von eurer Zivilisation, bis ihr Menschen damit begannt, unseren Lebensraum zu zerstören, für eure Städte und Felder jene Wälder abzuholzen, die uns Heim und Herd waren. Was blieb uns letztlich anderes übrig, als euch in eure Städte zu folgen und uns euch anzupassen?“
Abweisend verschränkte Erin seine Arme vor der Brust.
„Damit hatte ich doch nichts zu schaffen! Warum doppelst du gerade mich?“
Der Doppler errötete.
„Das hat einen einfachen Grund: Ich habe mich in deine Frau verliebt! Ich traf sie zum ersten Mal beim Einkauf auf dem Anderlingmarkt. Ich hatte die Gestalt eines einfachen Laufburschen angenommen, um auf dem Markt etwas zu Essen zu schnorren, als ich sie sah. Ich folgte ihr unauffällig und beobachtete euch beide, bis ich mich schließlich dazu entschloss, deine Gestalt anzunehmen, um ihr nahe zu sein.“
„Meine Frau?“ Erin lachte. „Du hast dich in meine Frau verliebt?“
„Ja. Und als ich erst mal du war, da spürte ich in meinem, in unserem Herzen, dass da immer noch Liebe für diese Frau schwelte. Auch du liebst sie noch, du willst es dir nur nicht eingestehen. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als das schwelende Herzfeuer neu zu entfachen. Hast du dich nicht darüber gewundert, warum deine Frau in letzter Zeit so ausgeglichen und fröhlich ist?“
Erin grummelte.
„Ja schon, aber … willst du mir etwa sagen, dass du und meine Frau …?“
„Schon länger als drei Wochen“, grinste der Doppler süffisant, „und ich muss schon sagen, sie hat da einige Tricks auf Lager, die nicht von schlechten Eltern sind. Wenn sie einmal richtig in Fahrt gerät, dann wackeln aber die Wände!“
Erinnerungen überkamen Erin. Er seufzte.
„Ja, allerdings. Sag mal, macht sie immer noch diese komischen Geräusche, kurz bevor sie … na, du weißt schon...“
Der andere Erin nickte und machte eine anzügliche Geste. Beide lachten.
„Und was passiert nun? Wie soll das weitergehen, hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?“, verlangte Erin von seinem Ebenbild zu wissen.
„Ich sehe da keine Probleme. Ich werde mich weiterhin um deine Frau kümmern und ihre immensen Bedürfnisse befriedigen.“ Beide lachten erneut. „Warum sagst du deiner Rosalie nicht, dass ihr zwei einfach für einige Wochen nach Cintra fahrt? Soviel ich weiß, liegt sie dir doch schon seit ewigen Zeiten damit in den Ohren.“
„Woher weißt du das?“
Sein Gegenüber legte einen Finger auf seine Lippen und zwinkerte.
„Doppler-Geheimnis!“
Warum eigentlich nicht?, dachte Erin. Wenn alles gut klappte mit Rosalie, warum sollte er nicht gleich an einem anderen Ort neu beginnen? Seine Frau wäre ja in besten Händen und würde nie nach ihm suchen. Offiziell wäre er ja nie fort. Ein verlockender Gedanke! Und seine Arbeit? Nun, es war sicherlich angenehm, eine unkündbare Stelle in der Verwaltung zu haben, doch wenn er es sich recht überlegte, hatte er sie noch nie leiden können. Was gingen ihn Bebauungspläne an oder Genehmigungen? Wen interessierte es schon, ob da draußen irgendwelche Monster die Gegend unsicher machten? Dafür gab es Hexer. Seine Aushänge brauchten diese Monsterjäger nun wirklich nicht. Sollten sie doch in den Dörfern nachfragen!
„Erin, bist du das da unten?“
Der Doppler warf einen Blick zur Treppe, wo ein heller Lichtschein sichtbar wurde.
„Ja, Schatz, geh nur wieder ins Bett, ich habe nur ein Glas Wasser getrunken! Ich komme gleich wieder nach oben. Wo du gerade so schön wach bist, könnten wir doch auch gleich ...“
Seine Frau giggelte vergnügt: „Dann beeil dich aber, mein Liebling!“
Der Doppler nickte Erin zu.
„Geh schon zu deiner Rosalie. Ich lasse dir morgen einige von deinen Sachen ins Rathaus bringen.“
Die beiden Männer, die sich wie ein Ei dem anderen ähnelten, standen beieinander und umarmten sich freundschaftlich. Langsam machte sich Erin auf den Weg und verließ das Haus, einer ungewissen, aber spannenden Zukunft entgegen, während der Doppler die Stiegen ins Obergeschoss hinauflief, um oben wieder die Wände zum Wackeln zu bringen.


Die Doppler in The Witcher bevölkerten einst weite Teile der Wälder und unwegsamen Gebirge von Temerien. Dann kamen die Menschen, die alle Wesen, die ihnen seltsam erschienen, ihnen Angst einjagten oder die sie für unheilig erachteten, zu jagen und vernichten begannen. Dazu schufen sie die Hexer. Auch die Doppler – im Volksmund auch Täuschlinge, Wandler, Doppelgänger, Vexlinge und Bedaks genannt – gehörten dazu, deren einziges „Vergehen“ lediglich darin bestand, die Gestalt eines anderen Wesens, also auch eines Menschen, annehmen zu können. Dies reichte bereits aus, um die Jagd auf sie zu eröffnen, bis zum heutigen Zeitpunkt die Doppler so gut wie ausgestorben scheinen. Die wenigen, die überlebten, haben sich im Laufe der Zeit der Umgebung des Menschen angepasst und leben in Menschen- oder Anderlingsgestalt mitten unter ihnen.
Die Fähigkeit der Verwandlung ist allen Dopplern angeboren. Sie sind nicht nur in der Lage, das exakte Aussehen eines anderen Wesens zu kopieren, sondern sie werden regelrecht zu denen, die sie kopieren. Jede Falte, jedes Muttermal stimmt genau überein, selbst die Erinnerungen, der Verstand und alle charakterlichen Verhaltensweisen werden übernommen.
Um die Verwandlung vornehmen zu können, muss der Doppler zuvor die Person, zu der er werden will, genau beobachten und studieren. Ist dies getan, kann er sein Werk vollbringen, ist allerdings von Natur an die Masse seines eigenen Körpers gebunden, will heißen, ein hundert Kilo schwerer Doppler kann sich nicht in eine Ratte von einigen hundert Gramm doppeln oder gar in einen wesentlich schwereren Drachen.
Seine eigene Gestalt ist nicht gerade angenehm zu betrachten. Sie ähnelt einer schlecht geformten Puppe aus Mehl und Schlamm, wirkt teigig und ist gekennzeichnet durch hängende Wangen und andere Körperteile wie seine Ohren, die sich im Falle von Aufregung, aus welchem Grund auch immer, zu blumenkohlartigen Gebilden zusammenrollen. Seine Augen sind meist gelblich und trübe. Sein unansehnliches Äußeres macht der Doppler jedoch spielend mit seiner Fähigkeit, andere Sprachen im Nu zu erlernen, wieder wett.
Doppler sind von Natur aus friedlich. Sie hegen keinen Groll gegen andere und der Gedanke, ein anderes Lebewesen zu töten ist ihrem eigenen Wesen so fremd, dass sie nicht in der Lage sind, diesen natürlichen Instinkt zu kopieren. Wenn sie sich zum Beispiel in einen Menschen doppeln möchten, der das Kriegshandwerk von der Pike auf kennt, so werden sie seine Beherrschung des Schwertes durchaus händeln, aber weder seinen erlernten Akt des Tötens durchführen, noch verstehen können. Dieser Umstand trug wahrscheinlich nicht unwesentlich dazu bei, dass die Ausrottung dieser Spezies so weit voranschreiten konnte.
Geralt von Riva lernt auf seinen Reisen einige Doppler kennen. Zum einen wäre da Dudu, der in Novigrad in der Gestalt von Dainty Biberveldt gewinnbringend Geschäfte tätigt, bis er auf den echten Dainty trifft. Zum anderen trifft Geralt Chapelle, Statthalter in Novigrad, Leiter des Novigrader Geheimdienstes und zudem Oberhaupt des Ordens des „Ewigen Feuers“, ein durch und durch hinterhältiger, machthungriger und gefährlicher Mann, der an einem Fieber starb und unbemerkt von einem Doppler ersetzt wurde. In dieser Gestalt versuchte dieser Doppler Geralt davon zu überzeugen, seinesgleichen gegen klingende Münze zu jagen, womit die Doppelung eines anderen Wesens auch ihre Schattenseite zeigt, wenn nämlich die Übernahme gewisser Charakterzüge und Ansichten sich - wie in diesem Fall - gegen das eigene Volk richtet.
Die meisten Doppler, Vexlinge, Täuscher, Doppelgänger, Bedaks oder wie man sie auch nennen mag, leben - von ihren Mitmenschen und Mitanderlingen unbemerkt – mitten unter genau denen, die ihren Tod über Jahrhunderte hinweg forciert haben, was man durchaus als eine Ironie der Geschichte bezeichnen kann.


Natürlich gibt es keine Doppler in unserer Welt, wobei, wir würden es wahrscheinlich gar nicht bemerken, wenn dies doch der Fall wäre.
Es gibt Doppelgänger, die vereinzelt Menschen so ähneln, dass man sie leicht verwechseln kann, doch die Perfektion eines Dopplers, was die Genauigkeit und das Kopieren von Verhaltensweisen inklusive Charakterzüge betrifft, erreichen sie bei weitem nicht. Und das ist auch gut so. Selbst bei eineiigen Zwillingen, die von Natur aus dasselbe Aussehen haben, sorgen äußere Einflüsse wie Erziehung und eigene Erfahrungen dafür, dass die Verwechslungsgefahr stetig abnimmt.
Die Existenz eines Doppelgängers wird nicht selten mit dem Verlust der eigenen Identität assoziiert. Dabei stellt sich dem Menschen stets die Frage, ob er wirklich so einzigartig ist, wie er gerne wäre und was dies für sein eigenes Wohlbefinden und seine geistige Gesundheit für Folgen haben könnte. Dieses Thema wurde und wird auch heute noch gerne in Büchern, Filmen und Theaterstücken aufgegriffen. Besonders Franz Kafka und Edgar Allan Poe bedienten sich gern des Motivs vom Doppelgänger. In den heutigen Filmen werden Doppler bzw. Doppelgänger durch künstlich erzeugte Androiden oder Gestaltwandler dargestellt, die meist der Gattung des Fantasy- und Science-Fiction-Films entstammen.
Manche Menschen leiden unter dem sogenannten Capgras-Syndrom, auch l’illusion des sosies („die Doppelgänger-Illusion“) genannt, das erstmals 1923 von dem französischen Psychiater Jean Marie Joseph Capgras beschrieben und deshalb nach ihm benannt wurde. Diese Menschen glauben, ein Mitglied ihrer Familie sei durch einen Doppelgänger ersetzt worden. 1991 machte ein Fall in Frankreich von sich reden, als eine Frau felsenfest davon überzeugt war, dass ihr Mann - und nur dieser - ersetzt worden war. Zunächst verweigerte sie dieser „Kopie“ den ehelichen Beischlaf und verriegelte zu diesem Zweck jede Nacht die Schlafzimmertür. Als sie jedoch ihren Sohn um ein Gewehr bat, zu welchem Zwecke auch immer, wurde sie von der Polizei in psychiatrische Behandlung verbracht, wo man schließlich bei ihr das Capgras-Syndrom diagnostizierte.
In vielen Kulturen spielen Doppelgänger oder Zwillinge eine wichtige Rolle. Am bekanntesten sind wohl Romulus und Remus, jene Zwillinge, die von einer Wölfin gesäugt wurden und als Begründer Roms gelten. Weniger bekannt hingegen dürfte die westafrikanische Religion der Akan sein. In dieser hat sich im Laufe der Jahrhunderte der Glaube an sogenannte seelische Doppelgänger bzw. Alter Egos herausgebildet. So war es bei einigen Stämmen Brauch und Sitte, die Nabelschnur eines Neugeborenen in einer Kokosnuss zu vergraben. Wenn nun an dieser Stelle ein Baum wuchs, was bei den Klimatischen Bedingungen fast immer der Fall war, dann galten das Kind und dieser Baum ein Leben lang miteinander verbunden, da der Baum das Alter Ego, den seelischen Doppelgänger beherbergte. Ähnlich verhielt es sich in etlichen ur-amerikanischen Riten, in denen statt des Baumes Tiere die Stelle des Alter Egos einnehmen und ihren Doppelgängern in Menschengestalt ihre Stärke oder andere Fähigkeiten übertragen.
In Europa hingegen wurde das Bild des Doppelgängers eher durch die dunkle Seite der Romantik geprägt. Es galt als Unglückszeichen, wenn man seinem eigenen Doppelgänger begegnete und als Vorankündigung des bald zu erwartenden eigenen Todes. Andere hingegen sahen in Doppelgängern milde gestimmte Zeichen, die einem die eigene Zukunft deuteten und vor Gefahren warnten. Johann Wolfgang von Goethe beschrieb einmal eine solche Begegnung:
„Als ich Friederike die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zu Mute. Nun eilte ich auf dem Fusspfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahnungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst denselben Weg zu Pferde wieder entgegenkommen und zwar in einem Kleide, wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traume aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, dass ich nach acht Jahren in demselben Kleide, das mir geträumt hatte, und das ich nicht aus Wahl, sondern aus Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand, um Friederike noch einmal zu besuchen...“
Somit begegnete ihm keine Vision seines eigenen Todes sondern vielmehr ein Blick in die eigene Zukunft.
Zum Schluss noch eine interessante Entdeckung, die zum Thema passt. Das Wort „Doppelgänger“ ist eines von wenigen deutschen Wörtern, die es geschafft haben, unverändert - neben anderen wie Kindergarten oder Dachshund - in den englischen Sprachgebrauch übernommen zu werden. Im Englischen wird dieser Begriff mit Gefahr und Bedrohung in Verbindung gebracht. Eine, zugegeben ironisch gemeinte, Übersetzung lautet deshalb interessanterweise auch „evil twin“, der böse Zwilling/Doppelgänger.

(Dan)

http://journal.the-witcher.de/media/content/wn23_mg_doppler2.png




Witchers News, Jg. 4, Nr. 23 vom 01.06.2012, S. 35-40


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