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Monstergrotte
Der Silvan: Kein Bock auf Ziegen
Meine Familie war arm. Schon immer gewesen. Das einzige, was wir besaßen, war ein kleines windschiefes Haus am Rande unseres Dorfes, fünf Ziegen und unserer Hände harter Arbeit, mit der wir zwar keine großen Reichtümer ansammeln konnten, doch glücklich und zufrieden lebten. Meine Aufgabe bestand darin, unsere Ziegen jeden Morgen in den Wald auf eine große, von Bäumen gesäumte Lichtung zu treiben, wo sie den ganzen lieben Tag lang Bockshornklee und andere Kräuter fressen konnten, wodurch ihre Milch würzig und aromatisch wurde. Mutter machte daraus einen Käse, der weit über die Grenzen unseres Dorfes hinaus bekannt und begehrt war.
Es geschah an einem Tag im Hochsommer. Bereits als ich das Haus früh am Morgen verließ, ahnte ich, dass dieser Tag sehr heiß werden würde und füllte vorausschauend eine zweite Wasserflasche am Dorfbrunnen, die dann ihren Platz neben dem Käse, Brot, der Handvoll Nüsse und einer Wabe mit Honig fand, die meine Mutter mir zusammengepackt und zu einem handlichen Bündel verschnürt hatte. Ich schnappte mir meinen Stab, mit dem ich die Ziegen vor mir her trieb und machte mich auf den Weg. Ich brauchte nicht viel zu tun. Die Ziegen kannten den Weg und kaum, dass wir an der Lichtung angekommen waren, verstreuten sie sich auch schon und begannen damit, sich den Magen vollzuschlagen.
So blieb mir mehr Zeit, um mich meiner Flöte zu widmen, die ich mir vor einigen Wochen aus mehreren Schilfrohren geschnitten und zusammengebunden hatte. Ich übte jeden Tag darauf, doch ich beherrschte das Instrument nur mittelmäßig. Mir fehlte der letzte Schliff, die richtige Technik, um es besser spielen zu können, doch ich hatte Zeit. Viel Zeit.
Wie ich schon vorausgesehen hatte, kletterte die Temperatur an diesem Tag immer höher, bis es kaum noch auszuhalten war. Schon bald entledigte ich mich meiner Kleidung, bis ich nur noch mit einem Hauch von Stoff um die Lenden bedeckt war und begab mich in den Schatten eines Baumes, unter dem ein kühler Fels zum Verweilen einlud. Dann packte ich die Flöte aus und spielte einige Töne.
Nach einer Weile wurde ich das Gefühl nicht los, dass mich jemand beobachtete. Ich spürte regelrecht die Augen, die sich aus dem Dickicht des Waldes in meinen Rücken bohrten. Ich hörte auf zu spielen und sah mich um, konnte allerdings nichts und niemanden entdecken. Achselzuckend spielte ich weiter, bis ich hinter mir ein Geräusch hörte. Ich fuhr herum und erblickte das Wesen.
Noch nie zuvor hatte ich einen Teufel gesehen, doch die Gestalt, die nun aus dem Unterholz auf die Lichtung trat, kam der Vorstellung, die ich von einem Teufel hatte, verdammt nahe. Er war gut einen halben Kopf kleiner als ich und trug unübersehbar zwei Ziegenhörner auf seinem Schädel, die durch einen Wust rotbrauner Haare hervorstachen. Seine leicht hervorquellenden Augen unter den buschigen Augenbrauen musterten mich interessiert, während ein unbestimmtes Lächeln die weichen Lippen der Kreatur umspielten. Der Kinnbart, der lang und spitz zulief, zitterte vor Aufregung.
Das Wesen war, soweit ich es beurteilen konnte, nackt, doch der dichte Pelz rostbraunen Haares, der von der Taille abwärts den Körper bis zu den beiden gespaltenen Hufen, die es anstelle von Füßen hatte, reichte, machte diese Beobachtung nicht gerade leicht. Ein langer Schwanz, der in einer pinselförmigen Quaste endete, peitschte hin und her. Die Kreatur bleckte die Lippen und betrachtete mich von den Zehenspitzen bis zu den hellblonden Haaren auf meinem Kopf, wobei sein Blick für meinen Geschmack etwas zu lange und zu lüstern auf meinem durchgeschwitzten, provisorischen Lendenschurz verweilte. Er rüffelte die Nase.
„Sind alle deiner Art so haarlos?“, fragte er mich unvermittelt. Selbst seine Stimme erinnerte fern an das Meckern einer Ziege, wenn sie auch tiefer und gar nicht unangenehm klang. „Wenn ich euch sonst sehe, dann tragt ihr immer eine Unmenge an Stoff auf eurem Körper ...“, fügte er nach kurzer Überlegung noch hinzu.
„Nein“, erwiderte ich mutig, „ nicht alle sind so haarlos wie ich, aber ich bin noch jung und habe außerdem helles Haar. Wenn du genauer hinsiehst, dann wirst du feststellen, das auch mein Körper durchaus behaart ist ...“
Ohne Zögern trat das Wesen auf mich zu, beugte seinen Kopf dicht über meine Brust, glotzte und schnupperte laut.
„Du hast Recht“, antworte er grinsend, „ feines Haar, so dünn wie gesponnene Seide und glänzend wie Gold!“
Ich rückte ein Stück ab von ihm, nicht nur, weil mir seine Nähe nicht behagte, sondern weil er außerdem stärker stank als der Ziegenbock meiner kleinen Herde. Das wollte schon was heißen.
„Wer bist du eigentlich? Oder was? Bist du ein Teufel?“
Die Kreatur vor mir richtete sich mit stolzgeschwellter Brust auf. Er stieß einen tiefen Atemzug aus, der wie ein missmutiges Niesen klang.
„Ein Teufel?“, fragte er verächtlich. „Ich habe nichts gemein mit diesen Kreaturen der Finsternis, sofern sie überhaupt wirklich existieren! Ich bin ein Silvan, ein Beschützer der Wälder und Hirten. Noch nie von meinesgleichen gehört? Du bist doch ein Hirte, oder?“
Meine Hand wies auf die fünf Ziegen, die friedlich in der Nähe grasten.
„Sehe ich so aus, als säße ich nur so zum Spaß hier? Natürlich bin ich ein Hirte! Von dir habe ich auch schon gehört, doch noch nie hat einer aus unserem Dorf ein Wesen wie dich zu Gesicht bekommen. Warum zeigst du dich ausgerechnet mir?“
Der Silvan strich mit einer Hand bedächtig über seinen Ziegenbart und musterte mich erneut gründlich.
„Ich wollte mal schauen, wer meine wohlverdiente Mittagsruhe mit diesem unglaublichen Lärm stört, den du sicherlich Musik nennst.“
Ich warf einen Blick auf meine Flöte und errötete.
„Ich weiß, dass ich nicht gut spiele, aber besser kann ich es halt nicht.“
Mein Gegenüber grummelte.
„Kein Grund, um gleich Trübsal zu blasen. Ich könnte mir vorstellen, dir etwas Unterricht zu geben, wenn du mir etwas entgegenkommst.“
„Wie soll ich das verstehen?“
Der Silvan bleckte die Lippen.
„Nun, du hast dort in deinem Bündel bestimmt einige leckere Sachen, die du dafür erübrigen könntest. Gib mir einen Teil davon und ich werde dich lehren, die Flöte zu spielen.“
„Meinetwegen“, erwiderte ich und reichte ihm das Bündel mit meinem Essen. Geschickt entwirrte er den Knoten und machte sich über die Nüsse und den Honig her. Das Brot und den Käse ließ er übrig.
„Das war sehr gut. Treffen wir uns morgen wieder, genau hier, und ich bringe dir bei, was ich weiß. Heda, weg da“, meckerte er meine Ziege Missi an, die sich an seinem behuften Bein rieb, „lass das, ich bin überzeugter Single, hast du verstanden?“
Energisch entzog er sich den Gunstbeweisen von Missi und verschwand mit kraftvollen Sprüngen im Wald. Am Abend, nachdem ich meine kleine Herde wieder nach Hause getrieben hatte, erzählte ich meinen Eltern von dieser Begegnung. Mein Vater war nicht gerade begeistert. Mutter schlug entsetzt die Hände vor ihr Gesicht. Beide beschworen mich, den Silvan nicht wieder zu treffen, denn er sei mit Sicherheit ein Teufel, der mir nur schaden wolle. Besser sei es noch, ich würde dafür sorgen, dass er unseren Wald verließe und Vater wusste auch schon einen Weg, wie man das bewerkstelligen könnte.
Am folgenden Tag machte ich mich wieder auf den Weg.
Kaum hatte ich mich meiner Kleidung entledigt und auf dem Felsen meine Flöte hervorgeholt, da stapfte aus dem Wald auch schon der Silvan hervor. Ich bot ihm mein Bündel an, doch er winkte ab.
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, grinste er mich an und zeigte mir in den folgenden Stunden, wie man das Instrument richtig hielt und diverse Atemtechniken, die mir dabei halfen, die Flöte noch genauer zu spielen. Dabei stand er stets in meiner unmittelbaren Nähe, doch im Gegensatz zum Vortag stank er nicht mehr dermaßen penetrant. Hatte er etwa ein Bad genommen?
Als die Sonne ihren Zenit schon überschritten hatte, machten wir eine Pause. Ich holte eine Handvoll Nüsse aus dem Beutel und aß davon. Der Silvan sah mich erwartungsvoll an und ich griff erneut hinein und tastete nach den Eisenkugeln, die mir mein Vater mitgegeben hatte.
Der Teufel hat schlechte Augen, hatte er mir erklärt, er wird den Unterschied also nicht merken und sich daran die Zähne ausbeißen!
Ich sah mir den Silvan an und konnte es nicht. Er hatte mir so viel beigebracht und wenn ich nun in seine braunen Augen sah, dann wollte ich ihm nichts zuleide tun. Also gab ich ihm meine Nüsse, die er mit Genuss verspeiste. Schließlich übten wir weiter.
Am Abend wollte mein Vater wissen, wie es mir ergangen war. Ich log und erzählte, der Teufel hätte meine List wohl durchschaut und meine Nüsse abgelehnt. Vater schüttelte ärgerlich den Kopf, hatte alsbald jedoch eine neue Idee.
Der nächste Tag kam und mit ihm auch der Silvan. Zur Mittagszeit öffnete ich mein Bündel und holte meine Bienenwabe hervor. Mein Vater hatte mir für den Teufel ein Stück Pech mitgegeben, das er in gelben Blütenpollen gewendet hatte, sodass es wie ein großer Klumpen Honig wirkte. Wieder sah ich mein Gegenüber an, das sich heute sogar die Haare gekämmt hatte, und wiederum war ich nicht in der Lage, den Silvan zu betrügen. Ohne Zögern gab ich ihm meinen Honig und sah zu, wie er ihn mit einem Lächeln bis auf den letzten Krümel verputzte. Inklusive Wabe. Kurz nach Sonnenuntergang trennten wir uns am Rande der Lichtung.
Zu Hause belog ich abermals meinen Vater, der kaum an sich halten konnte, doch nach einer kurzen Zeit noch eine Idee präsentierte, wie ich den Teufel vertreiben könnte.
Der nächste Tag. Der Silvan und ich begrüßten uns mit einer freundschaftlichen Umarmung, denn das waren wir derweil geworden, soviel war mir klar: Freunde. Ich genoss inzwischen seine Anwesenheit und fühlte eine Nähe, wie ich sie bislang noch nie gefühlt hatte.
„Ich bin gespannt, was du mir heute Gutes mitgebracht hast, mein Freund!“, sagte er und bleckte in Erwartung einer Leckerei seinen weichen Mund.
„Lass dich überraschen!“, erwiderte ich lächelnd.
Wir musizierten zu zweit und in meinen Ohren hörte es sich wirklich gut an, obwohl Pan, wie der Silvan sich nennen ließ, immer noch etwas an meinem Spiel zu meckern hatte. Schließlich wurde es Zeit für unser Mittagsmahl. Für dieses hatte sich mein Vater etwas besonders Fieses ausgedacht. Ein Stück Käse für mich und ein Stück gelbe Seife für den Teufel, der, nachdem er es gegessen hatte, unter übelsten Schmerzen und Bauchgrimmen leiden würde.
Ich öffnete mit zitternden Händen mein Bündel und Pan griff zielgerichtet nach der Seife und führte sie zu seinem Mund, doch im letzten Moment schlug ich sie ihm aus der Hand.
„Iss das nicht“, warnte ich ihn und dann sprudelte es aus mir heraus. Ich erzählte ihm von den Plänen meines Vaters, ihn zu vertreiben und warum ich das nicht zulassen konnte. Pan hörte geduldig zu und legte beruhigend seine Hand auf meine Schulter, als ich schließlich geendet hatte.
„Keine Sorge, Mikka“, sagte er und sprach mich zum ersten Mal mit meinem Namen an, „ glaubst du denn, das wusste ich nicht? Im Gegensatz zu den Gerüchten und Mythen über mich verfüge ich über äußerst scharfe Augen. Ich habe die Eisenkugeln sofort erkannt, auch den falschen Honig und die Seife. Ich wollte nur wissen, ob ich dir vertrauen kann, ob wir inzwischen wahre Freunde geworden sind ...“
„Und?“
Pan lächelte liebevoll.
„Da fragst du noch? Natürlich sind wir Freunde“, vorsichtig nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen. Es kribbelte ein wenig und mein Mund fühlte sich kurze Zeit taub an, doch das verging wieder.
„Dies war mein erstes Geschenk an dich“, sprach er und zog aus seinem dichten Pelz eine Flöte hervor. „Und dies ist mein zweites.“ Er reichte mir mit einem wissenden Lächeln das Instrument.
Es war wunderschön. Nicht aus Schilf, sondern aus einem Material, das ich nicht kannte, welches sich in meinen Händen jedoch kühl und angenehm anfühlte. Es glänzte im Sonnenlicht, war aber nicht aus Metall. Pan nickte mir zu.
„Spiel darauf!“
Ich führte die Flöte an meine Lippen und begann. Die Musik, die ich dem Instrument entlockte, war wunderschön, rein und ohne Fehler. Wie entfesselt spielte ich wohl einige Minuten darauf, bis ich es wie aus einer Trance erwachend von meinen Lippen absetzte und Pan mit verzücktem Blick fragend ansah.
„War das gerade wirklich ich?“
„Natürlich“, zärtlich strich er über mein Haar, „du musst wissen, dies ist kein gewöhnliches Instrument. Nur Silvane pflegen darauf zu spielen und du bist der erste und wohl letzte Mensch, der eine solche Flöte sein eigen nennen darf. Mein Kuss vorhin hat deinen Mund dazu befähigt, dieses Instrument überhaupt zu spielen. Jeder andere wird ihm nur solche Töne entlocken können, wie du zu Anfang auf deiner Flöte. Ich hoffe, mein Geschenk wird dich immer an mich erinnern ...“
„Was willst du damit sagen? Du gehst doch nicht etwa weg?“
„Doch, das werde ich. Es ist nicht meine Art, lange an einem Ort zu bleiben. Es gibt noch so viele andere Wälder zu entdecken, so viele andere Hirten, denen ich einen Streich spielen könnte. Doch an dich werde ich mich immer erinnern, an den Menschenfreund, den ich nicht gesucht, aber dennoch gefunden habe.“
Wir standen am Rande der Lichtung. Die Sonne war dabei, den Rand des Horizonts zu überqueren, als Pan und ich uns ein letztes Mal umarmten.
„Auch ich werde dich nie vergessen, mein Freund!“ Meine Stimme versagte fast. Er grinste mich schelmisch an, neigte den Kopf und wandte sich um. Noch während er den Wald betrat, wo er ein letztes Mal vor meinen Augen verschwinden würde, rief er mir zu:
„Pass mir ja auf Missi auf! Das ist ein ganz durchtriebenes Luder, glaub mir!“
Sein meckerndes Lachen war das letzte, was ich von ihm hörte. Es hallte noch lange in mir nach, als ich ihn schon längst aus den Augen verloren hatte. Ich sah Pan nie wieder.
Der Silvan ist eine intelligente, menschenähnliche Kreatur, halb Mensch und halb Ziegenbock, die mit Vorliebe in Wäldern wohnt und sich hauptsächlich vegetarisch ernährt. Er ist äußerst scheu und zeigt sich den Menschen nur sehr selten. Der Silvan liebt es jedoch, anderen Streiche zu spielen und geht dabei nicht gerade zimperlich mit seinen Opfern um.
Zu seinen Vorlieben gehören die Musik, der Tanz und jede Art von fröhlichem Treiben. Er musiziert gern und ist für Melodien sehr empfänglich, reagiert allerdings ungehalten, wenn seine Mittagsruhe, die ihm heilig ist, gestört wird.
In der Mythologie wird der Silvan oder auch Pan als Gott bzw. Beschützer der Wälder und Hirten angesehen, die ihn zugleich verehren als auch fürchten. Um ihn zu besänftigen bringen sie ihm die Früchte des Waldes als Opfer dar.
Sicherlich hatte Sapkowski bei der Figur des Silvan die römische Mythologie im Sinn, in der es einen Gott Silvanus gibt, der ebenfalls für die Wälder und Hirten zuständig ist. Zugleich vermischen sich die römische und griechische Mythologie zu einem Wesen, dem in beiden Kulturkreisen dieselben Eigenschaften und dasselbe Aussehen zugeschrieben wird. Bei den Griechen gilt der Gott Pan als Erfinder der nach ihm benannten Panflöte, zu der es eine kleine Geschichte gibt, die man sich erzählt.
Nach dieser verliebte sich Pan in eine Nymphe mit dem Namen Syrinx, die allerdings von ihm so recht nichts wissen wollte, was Pan jedoch nicht davon abhielt, ihr weiterhin nachzustellen. Eines Tages verfolgte er sie wieder einmal trunken vor Liebe. Sie floh, doch ihre Flucht endete jäh am Fluss Ladon, wo sie sich plötzlich in ein Schilfrohr verwandelte, das Pan daraufhin umarmte. Als nun der Wind in das Rohr blies kamen klagende Töne hervor. Pan wollte diese Töne seiner Geliebten nicht verlieren, also brach er aus dem Schilfrohr sieben Teile, eines immer etwas kürzer als das andere, und band sie zusammen. So erfand er die Hirtenflöte.
In den Schriften des Ovids wird von einem musikalischen Wettstreit zwischen Pan und Apollon berichtet, die sich uneins waren über die Frage, welches Instrument das bessere sei, die Leier oder die Flöte. Der Berggott Tmolos bot sich als Richter an und lauschte den Darbietungen der beiden Götter. Schließlich erklärte er Apollon und seine Leier zum Sieger des Wettstreits. König Midas, der zufällig Zeuge dieses Wettstreites wurde, war mit diesem Urteil ganz und gar nicht zufrieden, denn er favorisierte klar das Spiel des Pans. Apollon erwies sich als schlechter Sieger, denn er fühlte sich von Midas so gekränkt und beleidigt, dass er ihn für seine Meinung mit Eselsohren bestrafte.
Der Pan wird häufig auch zum Gefolge des Dionyseus gezählt, dem Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Zu seinen Festen spielt das Bocksbein dann fröhlich auf und erfreut auf diese Weise die unzähligen Gäste des Festes. Er selbst gibt sich dabei gern der Wollust hin und lebt seine Begierden ganz ungeniert aus, ganz gleich, ob es sich dabei um Männlein oder Weiblein handelt. Pan wird dabei oft mit Satyrn oder schon besagten Nymphen dargestellt.
Im Mittelalter änderte sich die Beziehung zum Mythos und der Gestalt des Pan drastisch. Hatte man zuvor die Bocksfüße des Pan und seine Ziegenhörner noch als Zeichen des dionysischen Rausches und der Lust interpretiert, so ging das prüde Mittelalter dazu über, diese Attribute dem Teufel zuzuschreiben, weshalb auch die Darstellung des Teufels von diesem Zeitpunkt an dem des Pans entsprach. Die Intention der Kirche war leicht zu erkennen; galt es doch die Schäflein hart an die Kandarre zu nehmen und sie von allem fernzuhalten, was laut christlicher Lehre unsittlich und unrein war, wozu eben auch die ungezügelte Lust und die totale Hingabe zu allen anderen Sinnesfreuden galt, wie der übermäßige Genuss von Alkohol. Gerade die obersten Kirchenhüter erwiesen sich in dieser Hinsicht jedoch als wahre Pharisäer. Nicht selten fanden in den Palästen der Bischöfe und selbst des Papstes rauschende Feste statt, die dem Treiben des Dionyseus in nichts nach standen. Es wurde gefeiert, gesoffen und herumgehurt, dass sich die Balken bogen. Nicht wenige spätere Päpste entstammten einem solchen Festgelage.
Auch in unserer heutigen Zeit spielt der Pan eine Rolle, zumeist als Nebenfigur in Fantasyromanen oder Spielfilmen, wobei ihm jedoch wieder der Part zugestanden wird, den er bereits in der Frühzeit bei den Griechen und Römern inne hatte.
Das wohl bekannteste Beispiel ist der namensgebende Pan in „Pans Labyrinth“ einem Film aus dem Jahre 2007, in dem ein kleines Mädchen namens Ofelia auf einen Vertreter dieser Mythengestalt trifft. Er offenbart ihr, dass sie in Wahrheit eine unterirdische Prinzessin sei, die aus Neugier in das Reich der Menschen hinaufgestiegen sei und dabei den Weg zurück vergessen habe. Er bietet ihr eine Möglichkeit, wieder dorthin zurück zu gelangen, bevor sie zu menschlich wird, um ihren angestammten Platz wieder einnehmen zu können. Zu diesem Zweck wird er ihr drei Prüfungen stellen, die sie bis zum nächsten Vollmond bestehen muss, um zu beweisen, ob sie die Rückkehr auch noch antreten kann, oder bereits zu sehr Mensch geworden ist.
Der Film ist äußerst düster und streckenweise brutal und auch die Darstellung des Pans erinnert so gar nicht an den fröhlichen, musizierenden Gesellen aus den verschiedensten Mythen, die wir inzwischen kennengelernt haben.
Die zunehmende Abholzung der Wälder und die abnehmende Fantasie in weiten Teilen der Bevölkerung bedrohen die Existenz des Pan zusehends. Lediglich den Kindern ist es zu verdanken, dass auch heute noch die Legenden und Geschichten über Pane, Faune und Silvane lebendig geblieben sind und immer weiter erzählt werden.
Wer sich einmal im Wald aufhält sollte genauestens hinhören. Vielleicht hat er oder sie das Glück, eine kleine Melodie zu hören, gespielt auf einer Hirtenflöte ...
(Dan)
Witchers News, Jg. 4, Weihnachtsspecial Nr. 3 vom 23.12.2012, S. 45-50
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