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Review
The Secret World (MMORPG)
von Dandelion
Stephen King trifft H.P. Lovecraft
Treffender kann man wohl ein Spiel nicht beschreiben. Welches Spiel? Ich spreche von dem neuen MMORPG (Massively multiplayer online role-playing game) der Firma Funcom, die auch für die Adventure-Perlen wie „The Longest Journey“ und „Dreamfall: The Longest Journey“ verantwortlich sind und seit 2001 mit „Anarchy Online“ und „Age of Conan“ den von „World of Warcraft“ dominierten MMORPG- Sektor vorstoßen. Auch ihr drittes MMORPG mit Namen „The Secret World“ gehört in diese Kategorie, obwohl es nicht unbedingt mit seinen Vorgängern vergleichbar ist. Warum? Dazu später ausführlicher.
Erstmals 2007 wurde das Spiel von Funcom angekündigt, zunächst noch unter dem Namen „Cabal“ bzw. „The World Online“. Im Laufe desselben Jahres erhielt es aber bereits den endgültigen Namen, den es auch heute trägt: „The Secret World“. Es basiert auf derselben Engine, die auch schon „Age of Conan“ benutzt, welches 2008 auf den Markt kam.
Die Entwickler versprachen schon damals, dass sich dieses MMORPG von all den WoW-Clones grundlegend unterscheiden würde. Zum ersten Mal in einem reinen Online-Rollenspiel sollte es keine Level und keine vorgefertigten Klassen mehr geben, stattdessen entwickelt sich der Charakter anhand von Skillwerten weiter. Das übliche farmen von Monstern wie in WoW, um ein schnelleres Levelup zu erreichen, wollte man auf diesem Weg vermeiden und dem Spieler somit ein ganz neues Spielgefühl vermitteln. Ob das Funcom gelungen ist, bleibt an dieser Stelle noch unbeantwortet.
„The Secret World“ sollte zunächst im April 2012 erscheinen, doch die Entwickler verschoben das Online-Rollenspiel auf den Juni. Wirklich im Warenregal stand das Funcom-Werk erst am 3.Juli 2012. Allerdings gab es zwischen April und dem Release einige Beta-Wochenenden, an denen sich interessierte Spieler schon vorab mit dem neuen MMORPG beschäftigen und es testen konnten.
Kommen wir nun zu dem Spiel selbst. Was unterscheidet es von all den anderen MMORPGs, welche in Massen die Regale der großen Handelsketten verstopfen?
Zunächst einmal bietet das Spiel ein vollkommen neues Setting für ein Online-Rollenspiel. Wo man sonst auf wilde Tiere, Orks, Elfen, Drachen und andere Fantasy-Gestalten aus Welten begegnet, die frisch der Fantasie eines J.R.R. Tolkien entsprungen sein könnten, bekommt man es in „The Secret World“ mit ganz anderen Zeitgenossen zu tun. Es spielt in einer Welt, in der alte Sagen, Legenden, Mythen und Verschwörungstheorien alle wahr sind und im geheimen neben unserer eigenen Welt existieren. Leider bricht diese geheime Welt immer häufiger in unsere durch, um das Leben, wie wir es kennen, mit einer alles verschlingenden Finsternis für immer zu verändern.
Wie wir es kennen? Ja, denn Funcoms neuestes Werk ist in unserer heutigen Zeit angesiedelt und verspricht mit seinem modernen Setting Abwechslung vom sonstigen MMORPG-Allerlei.
Gleich zu Beginn stellt uns „The Secret World“ vor die erste Wahl: welcher Geheimgesellschaft wollen wir uns anschließen? Es gibt davon drei.
Da wären zum einen die Templer. Sie residieren, anders als von Dan Browns Werken gewöhnt, ganz offen in einem prachtvollen Anwesen im Londoner Stadtteil Ealdwic. Sie sind ganz ihrer jahrtausendelangen Tradition verhaftet, die sie gegen die Finsternis in all ihren Formen kämpfen lässt. Im Laufe ihrer Existenz haben sie enormes Wissen angehäuft, sowohl durch geschlagene Schlachten als auch gewaltige, okkulte Bibliotheken, in denen das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wird. Sie sind militärisch äußerst stark und schrecken vor keinem Kampf zurück und auch nicht davor, eine ganze Stadt niederzubrennen, um an einen einzigen Dämon heranzukommen. Die Templer kontrollieren das Gebiet des alten Europa.
Die Illuminaten sind in New York zu finden. Dort, in ihrer unterirdischen Zentrale mit dem bezeichnenden Namen „Labyrinth“, haben sie im Laufe der Jahre ein Netzwerk installiert, welches seinesgleichen sucht. Sie kontrollieren im geheimen Medien, Konzerne und die Politik und wachsen so zu einer Schattensupermacht heran, deren großes Ziel darin besteht, eines Tages die Weltherrschaft zu erlangen. Zu diesem Zweck sammeln sie alle verfügbaren Informationen, die sie von jeder Regierung, jeder Geheimorganisation und selbst von jedem Zivilisten erhalten. Sie sind skrupellos und ein Scheitern ist keine Option für die Illuminaten, die den Templern die Kontrolle über Nord- und Südamerika entrissen haben.
Die letzte Geheimgesellschaft sind die Drachen, denen man in Seoul beitreten kann. Die Drachen haben sich ganz der Erforschung des Chaos verschrieben, das ihrer Meinung nach Ordnung in die Welt bringt. Fraktale Muster, Chaostheorie, Zufallszahlen und Ereignisse ohne Bezug sind das tägliche Brot dieser Geheimgesellschaft, die sich im Laufe der Jahre mehrmals aufgelöst und immer wieder neu gegründet hat, dem Chaos des Lebens folgend. Ihr großes Ziel ist es, eines Tages die Geschicke der Welt zu leiten, indem sie verstehen lernen, wie ein zufälliges Ereignis den Lauf der Welt bestimmt. Darum untersuchen sie das Chaos, versuchen eine Gesetzmäßigkeit darin zu entdecken, die es ihnen erlaubt, Ereignisse voraussehen und in Zukunft selbst auslösen zu können.
Diese drei Geheimgesellschaften kämpfen schon seit langem auch gegeneinander, doch die drohende Finsternis zwingt sie dazu, sich miteinander zu verbünden, um der Bedrohung gemeinsam Herr zu werden. Wie lange ein solches Bündnis im Angesicht ihrer gemeinsamen Geschichte jedoch Bestand haben wird, ist fraglich.
Keine Angst. Wer glaubt, die falsche Wahl zu treffen, der hat die Möglichkeit, zwei weitere Charaktere zu erschaffen, mit denen er die jeweils anderen Fraktionen ausprobieren darf. Nach dieser Wahl geht es weiter zur Charaktererstellung. Wie auch in anderen MMORPGs kann man hier Geschlecht, Hautfarbe und einige andere Einstellungen, das Aussehen betreffend, fällen, sich dem eigenen Geschmack nach einkleiden und dann einen Namen geben, der immer aus Vor-, Spitz- und Nachnamen bestehen muss. Hat man sich für eine aussagekräftige „Bezeichnung“ und ein dementsprechendes Outfit entschieden, kann man sofort loslegen.
Das Intro ist bei allen drei Geheimgesellschaften gleich: ein seltsam leuchtendes Insekt, wahrscheinlich eine Biene, fliegt in unser Appartement und dringt über den Mund in unseren Körper ein. Die Veränderung bemerken wir erst, als wir am nächsten Morgen schlaftrunken nach unserem Hemd greifen und es mit einem blauen Feuer in Brand setzen. Beileibe nicht das einzige Stück in unserer Wohnung, das in den nächsten Tagen von unserer neuen Kraft in Mitleidenschaft gezogen wird, bis wir allmählich lernen, damit besser umzugehen.
Nach einer Woche klopft es an unserer Tür. Wir öffnen und sehen uns dem jeweiligen Vertreter der Geheimgesellschaften gegenüber, die uns für ihre Fraktion rekrutieren wollen, wobei die Drachen am wenigsten subtil vorgehen: man wird von einem grobschlächtigen tätowiertem Kerl mit zugenähten Lippen per Lichtblitz betäubt und kurzerhand im Viertel der Drachen aus einem weißen Van geworfen.
Ganz gleich jedoch, ob man in London den Templern beitritt, in New York den Illuminaten oder wie oben beschrieben den Drachen in Seoul, zunächst erlebt man in einer Vision den Angriff der Finsternis auf eine Tokyoter U-Bahnstation. Dabei schlüpft man in die Gestalt einer jungen Frau, die zusammen mit einem Illuminaten, einer Templerin und einem Drachen das Tutorial des Spiels gemeinsam bestreitet. In diesem werden grundlegende Kampf- und Interaktionsmöglichkeiten erklärt. Nach Beendigung dieser Sequenz erhält man von seinem jeweiligen Vorgesetzten den Auftrag, in Kingsmouth, einer kleinen verschlafenen Stadt an der Küste, nach dem Rechten zu sehen. Um dorthin zu gelangen benutzt man die Abkürzung über den Weltenbaum, der im Inneren der Erde die verschiedensten Orte auf der Welt magisch miteinander verbindet.
Hat man schließlich Kingsmouth erreicht, beginnt das Abenteuer. Die erste Quest und die ersten Informationen erhält man von einem Mann namens Boone, der sich uns als der letzte wahre Cowboy vorstellt. Was wir erfahren, klingt zunächst nicht gerade ermutigend: ein unheimlicher Nebel hat die Stadt eingehüllt und seltsame Wesen aus dem Meer haben die Bewohner verschleppt, die als Zombies zurückkehren und nun die Stadt und ihre wenigen verbliebenen und wirklich noch lebenden Einwohnern das Überleben schwer machen. Unser erster Auftrag besteht auch gleich darin, den in der Nähe umherstreifenden Zombies auf verschiedene Art und Weise gepflegt den Garaus zu machen. Dazu stehen uns unsere im Hauptquartier gewählten Waffen, in der Gegend herumstehende Benzinkanister und die Alarmanlagen(!) der verwaisten Autos zur Verfügung. Wie das jedoch genau funktioniert, wird an dieser Stelle jedoch nicht verraten.
Die Welt von „The Secret World“ ist schön anzusehen. Die Graphik mag zwar im Vergleich zu aktuellen Singleplayer-Spielen etwas altbacken wirken, doch sie zaubert eine stimmungsvolle Atmosphäre auf den Bildschirm, die ihren Sinn und Zweck vollends zu erfüllen weiß. Die Bewegungen mancher Charaktere sind etwas ungelenk, doch darüber sieht man schnell wieder hinweg, denn „The Secret World“ weiß mit anderen Vorzügen zu glänzen. Dazu gehört definitiv das Questsystem.
Natürlich gibt es auch hier, wie in jedem anderen auch, Aufgaben wie: töte zehn hiervon oder bring diesen Gegenstand von A nach B. Was „The Secret World“ jedoch von anderen Vertretern seines Genres unterscheidet ist die Tatsache, dass nahezu jeder Quest in eine hübsche Story verpackt ist, die uns genau erklärt, warum wir dies oder jenes tun sollen. Viele Quests sind mehrstufig, d. h. die Aufgaben werden im Verlauf verzweigter und auch verzwickter. Obwohl die Quests an sich recht linear verlaufen, machen sie doch viel Spaß. Zudem hat man die Möglichkeit neben dem Hauptquest und einem Dungeonquest, den man möglichst zusammen mit anderen Spielern angehen sollte, insgesamt 6 Nebenquests gleichzeitig nachzugehen, wobei einem stets die Möglichkeit bleibt, einen Quest zu pausieren oder bei noch zu mächtigen Gegnern erst einmal abzubrechen, um später an gleicher Stelle fortzufahren. Es lohnt sich, die Welt genauer anzuschauen, denn fernab vom Hauptquests findet man überall Aufgaben, die man erledigen kann oder nicht. Nicht immer ist es eine Person, die zu einer neuen Quest führt. Manchmal findet man eine Leiche und kann mit deren Handy eine neue Quest beginnen. Oder eine abgetrennte Hand mit Ehering führt einen zum Friedhof, wo man das entsprechende Grab suchen muss. Es gibt auch Quests, die Investigativquests genannt werden, die etwas kniffliger sind und deren Lösung man nicht immer im Spiel findet, sondern im implementierten Webbrowser des Spiels, das eine Google-Suchmaschine startet, damit im Internet nach Hinweisen und Lösungen gesucht werden kann. Ein meiner Meinung nach tolles Feature. Wer sonst nicht weiterkommt oder Tipps benötigt, kann auch im spieleigenen Chat um Hilfe fragen.
Durch die Erledigung solcher Quests erhält man neben der üblichen Bezahlung in Form von klingender Münze, die sogenannten Pax Romana, auch Fertigkeits- und Kraftpunkte, die man in die Entwicklung des eigenen Charakters investieren kann. Mit diesen Punkten schaltet man in einem Skillrad Fähigkeiten frei, die einem helfen, in der Welt von „The Secret World“ besser zurechtzukommen. Dabei bleibt es ganz dem Spieler überlassen, ob er lieber mit Pistolen, Säbel, Hammer oder Faustwaffen auf seine Feinde losstürmen will oder doch lieber verschiedene Arten von Magie ausübt, um der Finsternis entgegenzutreten. Unendlich viele Waffen- und Kräftetechnische Möglichkeiten stehen offen, die man auch jederzeit unbesorgt mischen kann, sodass der Spieler seinen Charakter so ausbauen und ausstatten kann, wie es ihm gefällt.
Die im Spiel anwendbaren Fähigkeiten sind jedoch auf 7 aktive und ebenso viele passive Kräfte beschränkt, die man allerdings im Laufe des Spieles updaten oder ersetzen kann.
Mit Maus und Tastatur lässt sich „The Secret World“ gut spielen. Etwas ungewohnt zwar zu Beginn, da man den Gegner immer ins Visier nehmen muss, weil der Angriff sonst ins Leere verpufft, doch man gewöhnt sich schnell daran, mit der Maus die Gegner anzuvisieren und mit den Schnelltasten für die Fähigkeiten die jeweiligen Spezialangriffe und Talente einzusetzen.
Man merkt rasch, dass das Setting des Spiels natürlich von den großen Meistern des Genres inspiriert wurde. Dazu gehörten unter anderem natürlich H.P. Lovecraft, dessen verschlafene Küstenstadt Innsmouth sicherlich für Kingsmouth Pate stand, wie auch der Altmeister des Horror Stephen King.
Einige Persönlichkeiten in Kingsmouth, dessen Name ebenso einen Tribut an King wie Lovecraft darstellt, scheinen direkt einem Roman aus des Meisters Feder entsprungen zu sein. Wer dächte beim Treffen mit Sheriff Bannermann nicht an dessen Alter Ego mit gleichem Namen aus „Deadzone“? Auf einer Anlage für Skater trifft man auf den jungen Danny Dufresne, der deutlich an Andy Dufresne aus dem Roman „Die Verurteilten“ angelehnt ist, sowie an anderer Stelle die alte Norma Creed, deren Erscheinungsbild uns frappierend an Kathy Bates erinnert, die in King-Verfilmungen wie „Dolores“ und „Misery“, für den sie den Golden Globe und den Oscar erhielt, brillierte.
Es gibt noch viele weitere Anspielungen und geheimnisvolle Orte, auf die man im Laufe der Handlung und diverser Nebenquests stößt. Insgesamt gesehen stellt „The Secret World“ ein abwechslungsreiches und langzeitmotivierendes MMORPG dar, das die Entwickler mit ständigem neuen Content, Quests und Aktualisierungen verbessern wollen.
Einziger Wermutstropfen mag zum einen, die bei Online-Games übliche, ständige Verbindung mit dem Internet sein, zum anderen die monatliche Abogebühr in Höhe von 14.99 €, wobei beim Kauf ein Monat free to play jedoch bereits inklusive ist.
Mein persönliches Fazit: „The Secret World“ hat mich gepackt, was sicherlich an dem ungewöhnlich modernen Setting liegt. Kein Mittelalter, keine Fantasywelt und sonstiger MMORPG-Mainstream, die mir das Gefühl geben, alles schon mal irgendwie, irgendwo anders gesehen zu haben. Dazu kommen spannende und intelligente Quests, eine schaurige-schöne Welt und Monster fernab der üblichen Orks und anderem Getier. Allein meine bisherige Zeit in Kingsmouth währt bislang länger als so manches SP-Game, dem nach vier Stunden bereits merklich die Luft ausgeht, Zudem scheint die Welt wesentlich offener, als vergleichbare andere Spiele mit ihren sich ständig wiederholenden Schlauchleveln. Wenn Funcom es jetzt noch schafft, wie versprochen die Welt von „The Secret World“ mit neuen Inhalten, welche die Abogebühr rechtfertigen, auch in Zukunft zu beleben und zu erweitern, so werde ich wohl noch viele unterhaltsame Stunden in den Fängen der Templer, Illuminaten und Drachen verbringen, um die Finsternis dorthin zurückzuschicken, wo sie herkam.
(Dan)
Witchers News, Jg. 4, Nr. 24 vom 01.08.2012, S. 7-13
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