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Die grauen Ufer von Sirikumia


V.

Wensh barg gerade seinen rechten Schuh aus dem Boden, als er hinter sich Schritte hörte. Das war kein Wildschwein und auch kein schleichender Jäger. Es war…
„Lass das fallen, das hier ist ein Überfall!“
Wensh drehte sich nicht einmal um. „Was fallen lassen? Meinen Schuh? Dort drüben liegt mein Gepäck, du kannst dir ja nehmen, was du brauchst.“ Wensh hörte einen Seufzer.
„Soll ich es wirklich wagen, deine Tasche anzufassen?“
„Was für ein Räuber bist du denn?“ Jetzt drehte sich Wensh herum. Was es auch für ein Räuber war, er schien keinen großen Erfolg zu haben. Zerlumpt war er, mit dichtem schwarzem Bart, in welchem zwei stechend blaue Augen und ein nicht einmal so unattraktives junges Gesicht zu erkennen war. In der Hand hielt der Räuber einen Bogen, vermutlich selbstgemacht. Sehr schlampig.
„Du willst die Tasche nicht?“
„Nein…“ Der Räuber senkte den Bogen. „Jemand, der ein Wildschwein mit bloßen Händen vertreiben kann oder Runen auf der Jacke trägt, um die sollte man einen Bogen machen. >Die beiden sollst du meiden<, sagte mein Großvater immer.“
Wensh schüttelte den Dreck aus seinem Schuh und fluchte dabei leise. „Das hat er gesagt über Menschen, die mit den Händen ein Wildschwein verjagen, so so? Und du hast das beobachtet, und dachtest nicht daran, mir zu helfen? Vielleicht wäre ja eine Belohnung drin gewesen.“
Der vermeintliche Räuber nahm Kurzbogen und Pfeil in eine Hand und blickte unter sich. „Eigentlich war ich hinter dem Schwein her, doch als ich sah, dass sie Junge hat, da wollte ich es nicht mehr schießen. Dann sah ich dieses Licht und da standet Ihr da, oder sollte ich sagen, Ihr stecktet da im Boden. Das Schwein wollte nur seine Jungen verteidigen, da konnte ich doch nicht…“
„Schon gut, ich habe verstanden. Du kannst weder jemanden ausrauben noch Schweine töten. Und wie ist dein Name?“
„Adrian von Farenh…“
„Dein richtiger Name, wenn es beliebt.“
„Geffel.“
„Gut, Geffel. Sag mir, wo ich hier bin. Und jetzt sag mir nicht, dass ich im Wald stehe. Was ist die nächste Stadt und wie weit ist es bis dorthin.“
„Werter Herr, Ihr müsst hier verschwinden. Schnell, ich zeige euch, wie Ihr den lichten Waldweg erreichen könnt. Hier ist es nicht sicher.“
Wensh streifte gemächlich seinen Schuh über den nackten Fuß und blickte sich um. Er hörte den leisen Wind durch die Äste pfeifen, das Rascheln eines Tierchens im Unterholz und das Zwitschern der Vögel. Dann ein harter Schlag von hinten, und dann hörte er nichts mehr.

Gedanken ordnen... Eine Frau mit rotem Haar, grünen Augen und diesem grünen Kleid. Dieser aus dem Maul stinkende Kerl, der ganz offensichtlich beim Kartenspiel betrog. Wachsoldaten, eine wütende Königin und ein Dolch, der ihn in die Schulter traf. Zwei Magiewesen, ein Schwein und ein junger Räuber…
Da war eine Höhlendecke, vielleicht gerade mal drei Fuß über seinem Kopf. Holzgitter trennten den Höhlenbereich, in dem er lag, von einem wesentlich geräumigeren ab. Dort saßen zerlumpte Gestalten an einem Feuer und lachten, wohl im Zuge ihrer Unterhaltung.
„Verdammt, jetzt würde ich gerne eine nageln.“
„Wir hätten den Jungen nicht kaltmachen dürfen.“
„Aaaach, du kannst doch keinen Jungen vögeln.“
„Wenn sie jung sind, sind sie wie Mädchen. Du musst nur das Ding zur Seite machen und dann…“
„Ähhh, halt dein Maul. Ich seh‘ mal nach dem Gefangen. Hey, der ist wach. Hast wohl doch keinen so festen Schlag, wie du dachtest. Na, mein Freund?“ Der Mann trat zu den Gittern. Er hatte strähnige blonde Haare, die er bis zu den Schultern trug. Statt seines rechten Auges hatte er ein Glasauge in der Augenhöhle, welches offenbar viel zu groß war.
Wensh ignorierte die Kopfschmerzen und blickte sein Gegenüber an. „Warum bin ich am Leben?“
„Da musst du schon die Götter fragen.“ Glasauge lachte und zeigte dabei seine prachtvollen grünen Zähne. „Du meinst, warum wir dich noch nicht abgemurkst haben“, rief der Andere vom Feuer aus. „Das kann sich noch schnell ändern. Also verhalte dich ruhig, bis wir dir erlauben, etwas zu sagen.“ Wensh lächelte mit geschlossenem Mund.
„Was ist?“
Er lächelte weiter.
„WAS IST, FRAGE ICH?!“
„Darf ich etwa reden?“
„Du hältst dich für besonders schlau.“
„Ja.“
„Pass auf, ich…“
Als Glasauge das Gesicht an die Gitter presste, kam Wenshs Hand völlig unerwartet. Unerwartet und fest traf sein Finger, genau in das gesunde Auge, grub sich tief in die Augenhöhle. Wensh spürte nur kurz den Widerstand, bevor er den Augapfel tief in den Schädel des Räubers drückte. Dieser wäre gerne mit dem Kopf zurückgewichen, doch so schnell wie der Finger des Magiejägers in das Auge stach, so schnell hatte er ihn auch durch die Gitter an den strähnig fettigen Haaren gepackt. Der Mann hatte keine Chance. Bis zum Ende seiner Tage völlig blind, doch auf dieses Ende musste er nicht lange warten. Wensh hatte sein Hirn durchbohrt, summte ein paar Worte. Es machte ein Geräusch wie beim Öffnen einer Weinflasche, das Glasauge und etwas Hirnmasse wurden mit einem Laufen „Pflop“ aus der Augenhöhle gedrückt. Der übriggebliebene Räuber schrie laut auf, griff nach einer Holzfälleraxt, doch er dachte nicht einmal daran auf Wensh loszugehen, sondern verließ fluchtartig die Höhle.
Wensh zog seinen Finger aus dem Kopf des toten Mannes, und wischte die Hirnmasse an dessen Hosenbein ab. Der Mann hatte keinen Schlüssel für das Schloss, weil es kein Schloss gab. Die Gitter wurden mit Draht zugebunden, vermutlich verließen sich die Räuber auf Wachablösungen. Der tote Räuber hatte ein Messer am Gürtel, mit dem es ein Leichtes war den Draht zu lösen. Jemand betrat die Höhle. Es war Geffel. In der Hand hielt er zitternd seinen kleinen Bogen.
„Was ist, Geffel? Gehörst du zu dieser Bande? Willst du mich erschießen?“ Wensh hatte gerade den Draht gelöst.
„Nein, ich bringe Euch aus dem Wald zur nächsten Stadt.“ Geffel hatte nicht lange überlegt, scheinbar hatte er diesen Plan unlängst gefasst. „Dafür lasst mich am Leben, Herr, und nehmt mich mit in die Stadt.“
„Wie viele von eurer Bande sind noch übrig?“
„Niemand mehr. Andre hat gerade das Weite gesucht. Ich war draußen am Holz machen. Er schrie etwas davon, dass ich Euch erschießen sollte und dann rannte er weg. Etwas muss ihn… Oh Götter, was ist mit seinem Kopf?“
„Geffel, hör zu! Meine Sachen, wo sind meine Sachen?“
Sein Gepäck lag hinter dem Feuer, einzelne Stücke wie einen seiner Dolche fand er bei Glasauge. Ein Teil seines Goldes musste Andre bei seiner Flucht mitgenommen haben. Wensh musste Geffel nur einmal nach seinem kleinen Anteil der Beute fragen, bevor er diese bereitwillig herausrückte.
„Vieles wollten die beiden nicht anfassen. War ihnen unheimlich, die ganzen Flaschen, Schriftrollen und…“
„Zeig mir den Weg zur nächsten Stadt und dann pack dich, und sei froh, wenn ich dich am Leben lasse.“
„Herr, ich wollte Euch befreien…“
„Lüg doch nicht so, du Wegelagerer.“
„Nein, wirklich. Niemand hat das Schicksal verdient, welches die beiden für Euch geplant haben?“
„Und das sollte welches sein?“
„Lasst uns gehen, ich erzähle es Euch unterwegs. Schnell, bevor Andre wieder kommt.“
„Das will ich auch, damit ich ihm den Kopf abreißen kann und mein Gold wiederbekomme.“
„Er ist sicher zu ihr gelaufen… Vergesst das Gold.“
„Bring mich zu „Ihr“, wer immer das sein mag.“
„Nein. Sie wäre Euer Schicksal gewesen. Jenes Entsetzliche, von welchem ich Euch verschonen wollte. Nehmt Eure Sache und…“
Wensh fasst Geffel an der Schulter. Ein leichtes Vibrieren ging von seinem Griff aus. „Du führst mich sofort dort hin. Oder dieses Gribbeln wird sich über deinen ganzen Körper ausbreiten. Nach ein paar Augenblicken wirst du vor Schmerz wie erstarrt sein. Anschließend wird deine Haut aufplatzen und deine Nerven wie feuchte Würmer herausquellen.“
„Ich führe Euch… um meine Nerven zu schonen.“
Der Wald wurde bewachsener, der Boden feuchter. Hier und dort ließen sich kleinere Tümpel am Wegesrand ausmachen, doch es war kein Sumpf, in den Geffel ihn führte. Nach einer Weile forderte Wensh die ganze Geschichte.
„Oh Herr, es muss vor einigen Jahren gewesen sein, da wanderte Andre mit einer Gruppe von Räubern durch jenen Teil des Waldes. Da an einem Tümpel machten sie Rast und als sie sich darüber beugten, da wurde einer nach dem anderen in den Tümpel gezogen. Dort hingen sie, so erzählte er es mir, in einer Masse aus Wasserpflanzen und einer schleimigen Suppe, welche sie als ihre Laiche bezeichnet. Andre wurde von ihr gehalten, als sich ihre grüne Hand um seinen Knöchel schloss, da schrie er laut und flehend. Bat um Gnade, doch auch er endete in jener Masse, die einen nach dem anderen allmählich unter Wasser zog. Ganz langsam, und dabei lachte sie, dass es einem durch Mark und Bein ging.“
„Bist du Barde, Geffel?“
„Nein… bin ich nicht… warum, Herr?“
„Solltest darüber mal nachdenken. Zumindest wärst du darin besser als Räuber. Weiter!“
„Andre flehte laut, und bot ihr Dienst. Doch sie antwortete ihm, dass sie so lange schon nicht mehr so viel zu Essen gehabt hätte und dass so selten Wanderer an ihrem Tümpel vorbeikämen. Da fasste Andre, denn er hat ein schlechtes Herz, jenen Plan eines Paktes. Er würde ihr im Tausch für sein Leben Nahrung besorgen. Lebende Nahrung, die sie nach Herzenslust ertränken konnte und dann allmählich verspeisen. Ihm selbst verpasste sie ein Mahl, das ihn an sie band. Keine Magie könnte es jemals brechen, sagte sie. Nach jedem Vollmond sollte er mindestens drei ausgewachsene Menschen zu ihr bringen. Als Tribut für sein Leben. Das Mal liegt auf seinen Lungen und er würde ertrinken, sollte er eines Tages nicht wieder zurückkommen. Menschenleben für das Seine.“
„Du solltest Barde werden…“
„Es ist wahr, Herr.“
„Warum gehen wir vom Weg ab?“
„Weil der Tümpel abseits des Weges liegt.“
Und da lag er. Das rötliche Licht der Abendsonne drang durch das dichte Blattwerk, schimmerte auf dem grünbewachsenen Tümpel, der vor ihnen lag. Kein Vogel sang in der Nähe und kein Gesang von Fröschen war zu vernehmen, wie es bei solchen Tümpeln üblich war. Nichts außer der ahnungsvollen Stille, dem Geruch von fauligem Wasser und der Leiche jenes Mannes, die nur wenige Fuß vom Tümpel entfernt auf dem Waldboden lag. In den Händen krampfhaft eine Holzfälleraxt.

(DPR)

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Witchers Journal, Jg. 1, Nr. 1 vom 01.07.2013, S. 30-32


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