Geschichten


Der Bardenwettstreit zu Carinthia


- vierte Fortsetzung -

„Und dann, Geralt? Was geschah dann?“, quengelte der Barde auf die ihm eigene Art und Weise.
„Du weißt es tatsächlich nicht mehr? Ich habe ja bislang angenommen, du würdest mit deinen Erinnerungslücken kokettieren, doch anscheinend hat dein Gedächtnis doch mehr Löcher als ein durchschnittlicher Hartkäse aus Tretogor ...“
Der Barde stöhnte.
„Es ist ja nicht so, dass ich mich an überhaupt nichts erinnern würde, aber nur bruchstückhaft und verschwommen. Ich kann zudem nicht unterscheiden, was von meinen Erinnerungen wirklich passiert ist und was ich in meinen Balladen selbst ersonnen habe!“
„Der Fluch eines Barden, mein Freund! Nun, dann wird mir nichts anderes übrig bleiben, als deinen grauen Zellen auch weiterhin auf die Sprünge zu helfen. Also, nachdem wir die ungastlichen Viertel der Stadt durchquert hatten, kamen wir letztendlich bei dem ‘Roten Löwen‘ an. Dort trafen wir auf die Tochter des Wirtes ...“
„Ah, ich glaube, ich erinnere mich an sie: langes blondes Haar, ein Blick aus meerblauen Augen und ein Lächeln, das nur mir galt ...“
„Ich zerstöre nur ungern deine Träume, lieber Rittersporn, doch im Augenblick fabulierst du nur. Das Haar des Mädchens war wild und von roter Farbe, passend zu ihrer kleinen Stupsnase und den katzengleichen grünen Augen. Ja, sie lächelte, aber nicht dich an, sondern jemand anders. Jemand, den wir beide übrigens schon vorher kennengelernt hatten ...“
„Dann spann mich nicht länger auf die Folter, Hexer! Erzähl weiter!“

Der „Rote Löwe“ war wahrlich kein Gebäude, welches man leichtfertig übersehen konnte. Auf dem höchsten Hügel der Stadt gelegen, von anderen Gebäuden kaum bis nur mäßig verdeckt, fiel das Gasthaus bereits von Weitem durch seine schier gewaltige Größe auf. Fast schien es, als hätte man an dieser Stelle eigentlich eine Kirche bauen wollen, doch die Idee dann wieder verworfen, als man die ersten Wände hochgezogen hatte und den Bauherren das Geld ausgegangen war. Nun stand dort anstelle eines sakralen Bauwerks ein schmuckes zweigeschossiges Gebäude im Fachwerkstil, sauber verputzt und auf den ersten Blick recht ansprechend.
Interessiert betrachtete Geralt, der nebenbei seine Stute Plötze an einem hervorstehenden Ende eines Balkens festband, das imposante Eingangstor, das aus edelstem Holz gefertigt war und ihn selbst noch um anderthalb Köpfe überragte. Die Schnitzereien auf der Tür stellten ein fröhliches Zechgelage von Zwergen, Menschen und Elfen dar. Da wurde einander zugeprostet, an mächtigen Fleischschlegeln genagt und der Schankmaid keck auf das pralle Hinterteil und anderswo hin geglotzt, dass es eine wahre Pracht war.
Utopia, dachte Geralt innerlich lächelnd. Spätestens, wenn die Zwerge ihre schlüpfrigen Tranklieder anstimmen, gibt es den ersten Ärger mit den Elfen und bei den Essmanieren der übrigen dauert es auch nicht lange, bis die erste Keilerei im Gange ist. Der Wirt tut mir Leid, der dann hinterher das ganze Blut vom Boden wischen darf, von den liegen gebliebenen Leichen ganz zu schweigen …
Die hohe handwerkliche Kunst, mit der das Eingangstor gefertigt war, zog ihn überraschend schnell in seinen Bann. Fast glaubte er, die in das Holz gebannte Szene erwache vor seinen Augen zum Leben, als könne er das abgebildete Treiben, die munteren Gesänge und das heisere Gelächter wahrhaftig hören. Es dauerte einen kurzen Moment, bis Geralt realisierte, dass die Geräusche, die er zu hören glaubte, tatsächlich durch das dicke Holz aus dem Inneren des „Roten Löwen“ nach draußen drangen.
Sieh an, überlegte er, und ich dachte, die Stadt wäre vollkommen ausgestorben, dabei treffen sie sich alle hier zum Saufen! Muss wohl gerade „fröhliche Stunde“ sein. Einen schönen, bis zum Rand gefüllten Humpen Bier könnte ich nun auch gut vertragen, ging es ihm durch den Kopf, während seine Kehle von Minute zu Minute trockener wurde.
„Geralt, hörst du das auch?“
„Das Saufgelage da drinnen? Das ist ja kaum noch zu überhören, Rittersporn.“
„Nein“, winkte der Barde ab, “ich meine etwas anderes. Hört sich das nicht an wie eine holde Maid in höchster Not, die laut ihre Stimme erhebt, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen?“
Geralt lauschte.
„Tatsächlich, lieber Freund, doch für mich klingt es eher nach einem Weib, das gerade jemanden mächtig zusammenscheißt, wenn du mich fragst. Oder würdest du in einem Notfall solche unflätigen Worte in den Mund nehmen?“
Nun lauschte der Barde angestrengt und errötete sogleich.
„Nein, wahrlich nicht, diese Worte könnte ich noch nicht einmal wagen aufs Papier zu bringen, ohne dass meine Hand das Zittern bekäme. Wenngleich ich, das muss ich zugeben, solche Ausdrücke zwischen durchwühlten Laken und in der Hitze des Gefechts von einer drallen blonden Maid gestöhnt durchaus anregend finden würde …“
„Ich ahnte ja schon immer, dass hinter der Fassade des ehrbaren Barden mehr steckt, als dir anzusehen ist, Rittersporn. Du überraschst mich immer wieder aufs Neue. Ich glaube, ich muss meine Meinung über den Bardenstand einmal gründlich überdenken. Anscheinend seid ihr doch alle die schweinischen Sauigel, wie euch all die Väter, Ehemänner und anderen gehörnten Vertreter des starken Geschlechts schimpfen, da ihr nur mit eurem Schwanz und daran denken könnt, wie ihr mit eurem, zugegeben verführerischen Gesang rasch die nächste Maid ins Bett bekommt.“
Der Barde errötete noch mehr, schnappte einmal nach Luft und öffnete den Mund zu einer Erwiderung, die jedoch niemals über seine Lippen kam, sodass er ihn unverrichteter Dinge nach kurzer Bedenkzeit wieder schloss.
„Ich denke nicht“, fuhr der Hexer süffisant lächelnd fort, „dass deine holde Maid irgendwelcher Hilfe bedarf. Ich mache mir eher Sorgen um denjenigen, dem ihr lautes Zetern gilt …“
„Das mag durchaus sein, Geralt“, wandte Rittersporn ein, als er offensichtlich die Sprache wiedergefunden hatte, “vor allem, weil ich jetzt seit geraumer Zeit aus besagter Richtung nichts mehr höre außer dem Zechgelage, welches in dem Wirtshaus vonstatten geht! Ich hoffe nur, unser kleines Wortgeplänkel hat keine bösen Folgen.“
Der Barde sprach bereits zu einem leeren Platz, denn dort, wo gerade noch der Hexer gestanden hatte, wehte nun der auffrischende Wind einen verdorrten Strauch über das Pflaster. Geralt war bereits mit ausholenden Schritten in die Richtung unterwegs, aus der das einseitige Streitgespräch zu hören gewesen war. Rasch folgte Rittersporn und geriet dabei zunehmend außer Atem.
„Geralt …“
Der Hexer hieß ihn mit einer scharfen Handbewegung zu schweigen. Der Barde sah sofort warum, als er mit stechenden Seiten endlich bei seinem Freund eintraf. Eine junge Frau mit feuerrotem Haar fiel gerade über einen nicht minder jungen Mann her, der rückwärts über ein Fass stolperte, sodass beide eng umschlungen am Boden zu liegen kamen, wo die Rauferei sodann mit unveränderter Heftigkeit weiterging. Wären da nicht eindeutige Laute der Lust und des Wohlbehagens zu hören gewesen, so hätte man durchaus glauben können, dass die beiden in einem ernsten Kampf auf Leben und Tod verstrickt seien.
„Was für eine Wildkatze!“, pfiff Rittersporn anerkennend, was ihm sofort einen missbilligenden Blick vonseiten des Hexers einbrachte und zudem die Aufmerksamkeit des miteinander beschäftigten Pärchens auf die beiden Neuankömmlinge lenkte. Rock und Mieder wurden rasch gerichtet und eine halb heruntergezogene Hose fand erstaunlich schnell ihren Weg zurück auf die schmale Hüfte des Jünglings, dessen Gesicht allerdings wesentlich länger brauchte, um sich wieder zu entspannen und jene Röte verblassen zu lassen, die ihm beim Anblick der beiden Männer ins Gesicht geschossen war. Lediglich die junge Frau war bereits wenige Augenblicke später wieder gefasst. Mehr noch, sie ging zum Angriff über.
„Was zum Henker … Glotzt nicht so unverschämt! Was glaubt ihr, wer ihr seid? Habt ihr nie gelernt, wie man sich in Anwesenheit einer Dame verhält? Ihr Kerle seid doch alle geile Böcke!“
„Wildkatze, sag ich doch! Schau Geralt, wie schnell sie die Krallen ausfährt und wie süß ihr kleines Raubtiergesicht leuchtet, wenn sie wütend ist …“
„Schweigt, Rittersporn!“ Geralts Stimme klang hart und kalt wie Eis, doch der Barde sah es um seine Mundwinkel herum kaum merklich zucken, ein Zeichen dafür, dass die Situation den Hexer innerlich amüsierte und er gespannt war, wie sich diese verfahrene Lage letztendlich auflösen würde. Sie tat es gänzlich überraschend und anders als erwartet.
„Ihr werdet euch sofort bei der jungen Dame entschuldigen, Rittersporn! Und bei dem jungen Mann ebenso, den ihr mit eurem unverhältnismäßigem Ausruf in eine gleichfalls unangenehme wie peinliche Lage gebracht habt.“
Die junge Dame, die gerade letzte Hand an den ordnungsgemäßen Sitz ihres Mieders legte, was von Rittersporn mit wohlwollendem, wenn auch etwas dümmlichem Blick quittiert wurde, horchte auf.
„Sagtet Ihr gerade Rittersporn? Der Rittersporn, der Meister der Verse aus Oxenfurt, der im ganzen Land für seine Balladen und Verse über den Weißen Wolf bekannt ist?“
Der Hexer nickte. Der Barde richtete sich zu seiner vollen Pracht auf, sodass selbst die Pfauenfeder an seinem kecken Hut wie eine Pfeilspitze ins Blaue ragte.
„Eben der bin ich, zu Euren Diensten! Entschuldigt vielmals, werte Lady, dass ich mich dermaßen vergessen konnte und Euch so in Verlegenheit gebracht habe, doch die weibliche Natur, wenn sie zudem noch so jung und ungestüm erscheint wie die Eure, bringt mich stets dazu, meinen überschwellenden Gefühlen frisch von der Leber weg in Wort und Ton freien Lauf zu lassen. Ich hoffe, Ihr nehmt meine reumütige und von tiefstem Herzen kommende Entschuldigung an. Auch Ihr, werter Jüngling!“
Das Mädchen zierte sich noch etwas gespielt, streckte dann ihren Oberkörper durch und nickte dem Barden huldvoll zu.
„Natürlich nehme ich Eure Entschuldigung mit Freuden an, Meister Rittersporn, und das auch im Namen meines Freundes Caitlin, der selbst dazu leider nicht imstande ist, da ihm die Natur die Gabe des Sprechens verwehrt hat.“
Nun betrachtete der Barde den jungen Liebhaber dieser Wildkatze etwas genauer. Mit einer kleinen Portion Eifersucht, wie er sich insgeheim eingestehen musste. Der Junge war wohlgeraten. Von schlanker elfenhafter Statur mit einem fein geratenen Gesicht, aus dem ein Augenpaar von der Farbe des tiefsten Meeres von unten herab zu ihm aufblickte. Die feinen Züge des Gesichtes wurden von einem Schopf glänzendem, weizenblondem Haars eingerahmt, das ihm bis über die Schultern fiel und beide Ohren gänzlich verdeckte. Es dauerte einen Moment, bis der Barde das seltsame Gefühl, das ihn beim Anblick des jungen Mannes überkam, richtig zuordnen konnte.
„Geralt, ist das nicht …“
Geralt nickte lächelnd.
„Ja, das ist wahrhaftig der junge Mann, der draußen vor den Toren ein flottes Tänzchen mit einer Mittagserscheinung gewagt und es auch überlebt hat. Ich wusste, dass wir ihn dort nicht zum letzten Mal gesehen haben würden und mein Gefühl hat mich nicht getrogen, wie es aussieht.“
„Er hat was?“ Die Wildkatze fuhr wieder ihre Krallen aus, doch diesmal ging es gegen Caitlin. „Sag jetzt nicht, du hast dafür …“, sie zog aus einer kleinen Tasche an ihrem Gürtel einen kleinen Kranz aus hübschen Kornblumen hervor und warf ihn gegen seine unbehaarte Brust, “da draußen dein Leben riskiert?“
Caitlin wich erschrocken einige Schritt zurück und schaute verlegen zu Boden. Fast unmerklich nickte er, wagte es aber nicht, seiner Geliebten in die Augen zu schauen. Unentschlossen, was sie nun tun sollte, schwankte Fiona in ihrer Entscheidung. Sollte sie ihn nun küssen oder schlagen? Sie tat beides.
„Die hier“, die Hand klatschte heftig gegen seine Wange, „ist für deinen unentschuldbaren Leichtsinn – und der hier“, der Kuss war lang und leidenschaftlich, „für deinen Mut und weil ich dich Idiot einfach liebe!“ Vorsichtig hob sie den Blütenkranz wieder auf und drückte ihn behutsam gegen ihre Brust.
„ Ach, wie gern wäre ich jetzt ein Blütenkranz … Versteh einer die Frauen, Geralt! Erst schlagen sie dich und schimpfen dich einen Idioten und im nächsten Moment lieben sie dich genau aus diesem Grunde.“
„Vielleicht, Barde, verstehst du doch nicht so viel über die Liebe, wie man nach deinen unzähligen Balladen denken könnte.“
Rittersporn sah den Hexer zweifelnd an.
„Aber du bist darin natürlich ein Experte.“
Der Hexer wandte sich ab.
„Vielleicht mehr, als mir lieb ist“, murmelte er so leise, dass es außer ihm selbst niemand hörte.

(Dan)

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Witchers News, Jg. 3, Nr. 16 vom 01.04.2011, S. 13-16


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