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Geschichten
Der Bardenwettstreit zu Carinthia
- fünfte Fortsetzung -
Die Gesänge im „Roten Löwen“, sofern man die grunzenden Laute und das Grölen aus unzähligen Männerkehlen denn noch als solche bezeichnen konnte, hatten bereits merklich abgenommen und endeten schließlich abrupt, als neue Gäste an der Seite Fionas das Wirtshaus betraten. Besonders der blonde Barde, der am Ende des Raumes eine angeregte Unterhaltung mit Ranold, dem Sohn des Wirts, begonnen hatte, blickte interessiert auf. Ein breites, vergnügtes Grinsen machte sich zwischen seinen Mundwinkeln breit, als er sah, wer da gerade hereingekommen war.
Auch dem Wirt Leo war nicht entgangen, dass es Neuankömmlinge gab, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Rasch kam er aus der Küche geeilt, um seine nächsten Kunden gebührend zu empfangen. Seine Miene verdüsterte sich allerdings, als zunächst Fiona in seinen Blickwinkel geriet.
„Fiona! Wo bist du die ganze Zeit gewesen? Dein Bruder ackert sich schon eine geschlagene Stunde allein mit dem Pack hier ab …“, polterte er.
Ranold zuckte nur mit den Schultern. Sein treuherziger Blick bat Fiona still um Verzeihung.
„Aber Vater, ich habe draußen …“
„Mir ist egal, was du draußen gemacht hast! Hier gibt es Arbeit für drei, die macht sich nicht von alleine!“
„Vater!“
„Keine Wiederworte, Fiona! Nimm den Besen, kehr die Binsen aus und dann wartet in der Küche noch ein Berg Geschirr auf dich! Glaubst du, der hüpft ganz von allein ins Wasser? Nein? Na also! Worauf wartest du noch? Hopp, Hopp!“
„Wie du es wünschst, Vater!“
Still mit den Zähnen knirschend tat Fiona, wie ihr geheißen und griff zunächst nach dem Besen, um mit ihm die Binsen auszukehren, in denen Erbrochenes, ungeniert abgeschlagener Urin und andere Körperflüssigkeiten, die sie gar nicht näher kennen wollte, in stiller Eintracht beieinanderlagen wie Liebende. Bedauerlich, dass der Fluch, der über der Stadt lag, nicht auch dafür sorgte, dass solcher Unrat verschwand, dachte sie. Wer immer für den Fluch verantwortlich war, musste über eine gehörige Portion Sarkasmus und eine ihr unverständliche Definition von Humor verfügen. Sie seufzte.
Leo wandte sich nun den beiden Neuankömmlingen zu. Ein freundliches Lächeln erblühte auf seinen Lippen, welches allerdings sofort erlosch, als er den weißhaarigen Mann entdeckte, der zusammen mit dem Kerl im taubenblauen Wams seine Räumlichkeiten betreten hatte. Sein Blick huschte von der großen Narbe im Gesicht über das Wolfsmedaillon auf der Brust hin zu den beiden Schwertern, die weit über die Schulter hinausragten. Seine Miene verdüsterte sich dabei zusehends. Schließlich wich er einen Schritt zurück und zeigte, ohne ihm dabei in die Augen zu schauen, anklagend auf Geralt.
„Was wollt Ihr hier, Hexer?“, blaffte er lautstark, doch seine Stimme verbarg nur ungenügend die Angst, die in ihr mitschwang. „Euresgleichen ist in dieser Stadt nicht willkommen, und im ‚Roten Löwen’ erst recht nicht! Geht besser Eures Weges, sonst wird es hässlich! Noch habt Ihr die Gelegenheit dazu, bevor ich die Stadtwache rufen lasse!“
Geralt trat einen Schritt vor, die Arme vor der Brust verschränkt, während ein sardonisches Lächeln aus seinen Mundwinkeln hervorkroch und dort für einen Augenblick verharrte.
„Welche Stadtwache meinst du, guter Mann? Etwa dieselbe, die euer marodes Stadttor bewachen sollte, aber wahrscheinlich beim ersten Anschein von Ärger mit vollen Hosen Reißaus genommen hat? Versucht nicht, mir zu drohen, Wirt! Der Schuss könnte leicht nach hinten losgehen. Ich will keinen Ärger. Ich bin nur hier, um meine staubige Kehle zu befeuchten und meinen Freund hier das nötige Geleit zu geben, mehr nicht.“
„Das ist mir gleich, Hexer!“ Leo war noch einen weiteren Schritt zurückgewichen. „Euresgleichen bedien ich hier nicht! Einer Missgeburt wie Euch haben wir es zu verdanken, dass unsere einstmals schöne Stadt dahinsiecht wie ein an der Pest Erkrankter!“ Angewidert spuckte er vor Geralt in die Binsen, was ihm einen missbilligenden Blick vonseiten Fionas einbrachte. Rittersporn, der dem Disput zwischen seinem besten Freund und dem rotmähnigen Wirt mit offenem Mund verfolgt hatte, sah sich nun genötigt, seinen Beitrag zur Unterhaltung zu leisten.
„Heda, Wirt! Ihr wisst wohl nicht, mit wem Ihr es hier zu tun habt und wer da gerade vor Euch steht? Niemand Geringerer als …“
„Barde, lass gut sein“, unterbrach der Hexer seinen Freund abrupt und hob beschwichtigend die Hände, “ich möchte hören, was der Wirt mir zu sagen hat. Also eine Missgeburt wie meine Wenigkeit ist an deinem Unglück und dem der Stadt schuld?“
Geralt trat einen Schritt auf den Wirt zu, der im Gegenzug weiter nach hinten auswich, bis sein feister Hintern an eine Tischkante stieß.
„Dir ist schon klar, Wirt, dass Missgeburten, wie ich in deinen Augen eine bin, dazu ausgebildet wurden, um Menschen wie dich und alle anderen, die Hilfe benötigen, gegen klingende Münze zu verteidigen? Eure Städte, Höfe und Felder vor dem Bösen in Monstergestalt zu beschützen? Ihr verwechselt da wohl etwas. Ich bin ein Hexer, keine Hexe!“
„Hexer, Hexe, wo ist da der Unterschied!?“, knurrte der Wirt.
„Oh, ich könnt Euch einen nennen“, spottete Rittersporn,“ geht mal mit einer Hexe ins Bett und danach mit einem Hexer. Oder umgekehrt. Wie es Euch beliebt; dann werdet ihr den Unterschied schon rasch spüren ...“
Ranold lachte lauthals los und selbst Fiona konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. Auch der blonde Barde verfolgte gebannt das Wortgefecht aus dem Hintergrund.
„Nun, Wirt, im Allgemeinen wirkt eine Hexe - oder von mir aus auch eine Zauberin - Beschwörungen, spricht Flüche aus und weiß auch sonst vorzüglich mit Zaubern und Sprüchen umzugehen. Die Talente eines Hexers beschränken sich mehr auf seine Kampfkraft, Reflexe und Körperbeherrschung. Zauber sind nicht unser Ding. Und Flüche erst recht nicht. Macht also nicht mich und meinesgleichen für die Fehler verantwortlich, die in deiner Stadt von dir oder anderen begangen wurden!“ Geralt beugte sich zum Wirt vor, dessen Teint zunehmend fleckiger geworden war. „Ich warne dich! Auch meine Geduld hat mal ein Ende, aber ich will um des lieben Friedens willen die ganze Sache auf sich beruhen lassen und rasch vergessen, was du mir da gerade vorgeworfen hast, wenn ich ein Bier oder noch besser einen temerischen Roggenwodka bekomme, der kühl und feurig die Kehle herabrinnt. Wie sieht‘s aus?“
Der Wirt setzte schon zu einer Antwort an, die seiner Miene zufolge sicherlich ebenso ablehnend ausgefallen wäre wie seine Worte zuvor, wenn nicht just in diesem Moment der Sohn ihn auf die Seite gezogen hätte, um auf ihn einzuwirken.
„Vater, denk doch mal nach! Es kann uns doch nichts Besseres passieren, als dass dieser Hexer gerade jetzt in unserer Stadt weilt. Denk an den Fluch! Wer sonst wäre hier momentan noch in der Lage, ein Schwert zu führen? Die Soldaten waren die Ersten, die geflohen sind, und meine Talente im Kampf erschöpfen sich schon vollkommen bei den Grundlagen des Stockkampfs. Der Hexer ist neu in der Stadt und kann deshalb überhaupt nichts mit dem Fluch zu tun haben. Du solltest es besser wissen, Vater! Gerade du!“
Leo MacDanold fuhr mit seiner Pranke durch den dichten roten Bart und murmelte schließlich zustimmend. Zunächst zögerte er noch etwas und warf einen scheelen Blick auf den Hexer, der sich wieder zu Rittersporn gesellt hatte, um den beiden genügend Raum für ihr Gespräch zu lassen, dessen geschulte Ohren allerdings jedes noch so leise Wort und jede feine Nuance vernommen hatten.
„Meinst du wirklich, Ranold? Du könntest schon Recht haben, das muss ich dir zugestehen, aber ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Wen du denkst, es geht in Ordnung, dass ein Hexer unter unserem Dach weilt, dann werde ich deinem Urteil trauen. Aber wehe, der Kerl läuft aus dem Ruder oder macht anderweitig Schwierigkeiten! Dann zieh ich dir die Hammelbeine lang, dass sie von hier bis Tretogor reichen! Hast du verstanden? He?“
„Natürlich, Vater! Keine Sorge, es wird schon alles gut werden ...“
„Dein Wort in Meliteles Ohren“, murmelte der Wirt, dann wandte er sich an den Hexer.
„Temerischer Roggenwodka soll‘s also sein für den Herrn? Hmh, große Ansprüche stellt Ihr ja nicht gerade. Und was trinkt Ihr? Heda, ich mein Euch da mit dem blauen Wams und der Feder am Hut! Wer seid Ihr eigentlich?“
„Wer ich bin, wollt Ihr wissen?“
Rittersporn begann sich langsam aufzuplustern: Er reckte den Oberkörper gen Decke, bis er fast auf seinen Zehenspitzen stand, drückte so weit wie möglich die Brust heraus und schob das kleine Kinnbärtchen nach vorn, das vor Aufregung schon zu zittern begonnen hatte.
„Ich bin ...“
„Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche“, mischte sich nun der blonde Barde, der bislang unbeteiligt im Hintergrund geblieben war, mit einer eleganten Verbeugung ein. „Gestattet mir, dass ich Euch dem Wirt vorstelle, werter Kollege.“
Rittersporns Pose fiel in sich zusammen wie ein leerer Lungenflügel. Misstrauisch beäugte er den Blondschopf, der noch immer in der Verbeugung verharrte, um ihm schließlich mit einer kurzen Handbewegung die ersehnte Erlaubnis zu erteilen.
„Mein lieber Herr Wirt“, freundschaftlich packte er Leo an den Schultern und drehte ihn derart, dass er direkt vor Rittersporn zu stehen kam, „wie kann es angehen, dass Ihr diesen Meister der Laute nicht kennt, diesen Virtuosen der Seiten, dessen begnadete Finger selbst noch einem Nähfaden eine Melodie entlocken würden? Vor Euch steht der beste Absolvent der Universität Oxenfurt, dessen Balladen über den Hexer Geralt von Riva, welcher auch der Weiße Wolf genannt wird, überall in ganz Temerien und darüber hinaus bekannt und beliebt sind. Vor Euch steht kein Geringerer als Julian Alfred Pankratz Viscount de Lettenhove, besser bekannt als der Barde Rittersporn! Nebenbei bemerkt, der weißhaarige Hexer, den Ihr fast beliebtet vor die Tür zu setzen, ist der eben benannte Geralt von Riva. Ihr tatet gut daran, Euren Disput mit ihm nicht eskalieren zu lassen ...“
„Der bin ich tatsächlich“, bemerkte der Hexer trocken. “Und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“
Geralt sah, wie der Wirt dem Weiß seines Gesichts noch eine Nuance Kalk hinzufügte. Rittersporn antwortete, bevor der blonde Barde dies tun konnte. In seinem Gesicht rumorte es sichtbar und die Worte klangen gezwungen, als sie über seine Lippen kamen.
„Dieser Mann nennt sich Ansgar von der Vogelwiese, heißt aber in Wirklichkeit Damian Ansgar Maria Viscount de Lettenhove. Er ist mein älterer Bruder ...“
Geralt sah mit hochgezogener Braue von einem zum andern.
„So ist es! Zu Euren Diensten!“
„Wenn man es genau nimmt, ist er nur mein Halbbruder“, fügte Rittersporn erklärend hinzu, als er den fragenden Blick des Hexers gewahr wurde. „Dieselbe Mutter, aber verschiedene Väter.“
Ansgar lächelte zustimmend.
„Blut ist aber immer noch dicker als Wasser, mein lieber Rittersporn, auch wenn es, wie in unserem Fall, etwas schneller durch die Venen fließt, als es sonst üblich sein mag.“
„Nun, eins zumindest ist jetzt sicher“, wandte Ranold, der Sohn des Wirts, ein.
„Und das wäre?“
„Jetzt, wo der Barde Rittersporn eingetroffen ist, sind wir endlich vollzählig. Das bedeutet, der Bardenwettstreit zu Carinthia kann heute in den Abendstunden endlich beginnen.“
Geralt warf Rittersporn einen vorwurfsvollen Blick zu, den nur der Barde richtig zu deuten wusste. Dann holte der Hexer tief Luft, atmete exakt einmal lang aus und sagte nur:
„Ach, du dickes Ei!“
(Dan)
Witchers News, Jg. 3, Nr. 17 vom 01.06.2011, S. 24-27
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