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Geschichten
Der Bardenwettstreit zu Carinthia
- siebte Fortsetzung -
„Ranold, auf ein Wort!“
Müde, erschöpft und ein wenig mürrisch wandte sich der Angesprochene um, doch sein Gesicht erhellte sich fast schlagartig, als er erkannte, wer ihn da gerade angesprochen hatte: der blonde Barde, Ansgar, wie er von Meister Rittersporn genannt worden war.
„Oh, Meister Ansgar, wie kann ich Euch zu Diensten sein?“
Der Barde lächelte gewinnend. Ein Lächeln, welches seine Wirkung bei Ranold trotz seines erschöpften Zustands nicht verfehlte.
„Nicht so förmlich, werter Ranold, nennt mich doch einfach Ansgar. Ihr habt einen schweren Tag hinter Euch, das ist mir nicht entgangen, doch ich hoffe, ich kann Euch noch dazu bewegen, mir die eine oder andere Gefälligkeit zu erweisen...“
Auch Ranold lächelte nun. Im gleichen Augenblick kam es ihm vor, als sei alle Mühsal mit einem Wimpernschlag von ihm abgefallen und er hatte keinerlei Zweifel daran, dass die unmittelbare Nähe des Barden der Grund dafür war.
Der Tag war tatsächlich hart gewesen. Nachdem der Hexer Geralt und sein Begleiter Rittersporn sich in die Kammer zurückgezogen hatten, die Leo MacDanold seit jenem berüchtigten Tag nicht mehr betreten hatte, war rasch Ruhe in die Schenke eingekehrt. Die letzten Barden, die sich noch auf den Beinen halten konnten, waren schwankend und torkelnd ebenfalls auf ihre Zimmer gegangen, während der voll trunkene Rest in die unzähligen Ecken des Schankraumes gekrochen war, um dort seinen Rausch auszuschlafen. Nicht, dass damit die Arbeit für ihn und Fiona damit ein Ende gefunden hätte. Die dreckigen Binsen mussten ausgetauscht, Dielen geschrubbt und Tische gewienert werden, während in der Küche unzählige Humpen, Teller und Henkelkrüge darauf warteten, dass jemand sie sorgfältig säuberte und polierte. Ihr Vater hatte zwar Fiona diese Aufgaben auf das Auge gedrückt, doch für Ranold war es eine Frage der Ehre und von brüderlicher Liebe, dass er seine Schwester nicht mit dem Berg Arbeit allein ließ, was Leo MacDanold zwar nicht verborgen blieb, von ihm aber nur mit einem griesgrämigen Knurren quittiert wurde.
Ansgar hingegen hatte sich noch angeregt mit zwei der ranghöheren Barden unterhalten, die ihre Kammern verlassen hatten, um unten nach dem Rechten zu sehen. Was sie dort jedoch zu sehen bekamen, schien ihnen überhaupt nicht zu gefallen. Im Gegenteil. Mit hochroten Köpfen und die Stirn in Falten gelegt redeten sie wild gestikulierend einige Minuten lautstark auf Ansgar ein, der lächelnd und mit ruhiger Stimme auf sie einwirkte, bis sie sich zusehends beruhigten und schließlich wieder in ihre Zimmer zurückkehrten, nicht ohne Rittersporns Bruder zuvor noch anerkennend auf die Schultern zu klopfen.
Ranold bleckte die Lippen.
„Nun, das kommt ganz auf die Gefälligkeit an“, sagte er mit einem aufreizendem Lächeln, das dem Barden nicht entging.
„Alles zu seiner Zeit, mein lieber Ranold“, sanft ließ der Barde seine Finger über die raue Wange des Wirtssohns wandern, was diesen einen wohligen Schauer bescherte, “zunächst möchte ich dich allerdings um eine kleine Gefälligkeit bitten. Sicher hast du mitbekommen, dass meine beiden Zunftkollegen nicht gerade sonderlich angetan waren von dem Zustand der übrigen Barden, Minnesänger und wie sie sich sonst auch schimpfen mögen. Sie befürchten, und das aus meiner Sicht ganz zu Recht, dass der übermäßige und unkontrollierte Alkoholkonsum, der hier unten stattgefunden hat, die Bedingungen des Wettbewerbs unangemessen verzerren könnte. Nicht, dass sie davon ausgehen würden, dass einer dieser, in ihren Augen, Versager ihnen auch nur das Wasser reichen, geschweige denn ihnen den Sieg streitig machen könnte, aber in einer unerwarteten Anwandlung von Fairness bestehen sie darauf, dass der Wettbewerb erst dann stattfindet, wenn wirklich ausnahmslos alle daran teilnehmen können und nicht über die Hälfte irgendwelchen schweinischen Kram lallt, wenn er an der Reihe ist.“
Ansgar lachte rau. Als ob nicht der größte Teil der Balladen und Gesänge aus schweinischem Kram bestehen würde, zwar in wohlfeile Worte gefasst und sittsam vorgetragen, aber dennoch nicht besser als die derben erotischen Zeichnungen und Schmierereien, die man in dunklen Hinterhöfen und auf bestimmten öffentlichen Aborten in Wyzima und anderen Großstädten Temeriens entdecken konnte, wenn man wusste, wo man zu schauen hatte. Kurz schloss er die Augen und sah auf seiner geistigen Leinwand einige besonders herausragende Beispiele dieser Kunst an sich vorbeiziehen. Er schluckte und spürte deutlich, wie der Platz in seiner ohnehin knapp bemessenen Hose noch knapper wurde, was wiederum Ranold nicht verborgen blieb.
„Und wie kann ich dabei behilflich sein, Ansgar?“
„Du würdest mir eine große Hilfe sein, wenn du deinem Vater von unserer Entscheidung berichten könntest. Ich weiß, dass er schon lange darauf gewartet hat, dass es endlich losgeht, doch er muss sich noch bis morgen Mittag gedulden, bis alle wieder soweit nüchtern sind, dass die Chance zu gewinnen für jeden dieselbe ist. Keine Sorge, falls dein Vater sich um seine Alkoholvorräte sorgen sollte, teile ihm einfach mit, dass jeder Barde disqualifiziert wird, der vor Beginn des Wettbewerbs auch nur einen weiteren Tropfen zu sich nimmt!“
Ranold grinste erleichtert.
„Das sollte kein Problem sein...“
„Warte noch, mein Lieber! Da wäre noch etwas“, Ansgar zog aus seinem Wams einen mit Siegellack verschlossenen Umschlag hervor, “ich möchte, dass du meinem Bruder Rittersporn diesen Brief gibst und zwar ausschließlich ihm, hörst du? Das ist immens wichtig! Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?“
Ranold nickte bedächtig.
„Und was bekomme ich dafür, wenn ich diesen Botengang für dich erledige?“
Der Barde grinste verschmitzt, packte Ranold an seinem Wams und bugsierte ihn in eine uneinsehbare und freie Ecke, wo er ihn eng an sich zog, bis sich ihre beiden Gesichter fast berührten.
„Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack meiner Dankbarkeit“, flüsterte Ansgar leise in das Ohr seines gegenüber, bevor sein halb geöffneten Lippen langsam über die geröteten Wangen von Ranold wanderten, bis er dessen pochenden Mund fand und diesen schließlich mit einem Kuss versiegelte, der Ranold so süß und wunderbar erschien, dass ihm in einem kurzen Augenblick der Schwäche die Knie den Dienst versagten und er in Ansgars starke Arme sackte.
„Komm danach in meine Kammer“, hauchte Ansgar, “wenn du alles erledigt hast werde ich dir den restlichen Tag und die ganze Nacht so versüßen, wie du es dir in deinen wildesten Träumen nicht vorstellen kannst. Möchtest du das?“
„Ja...“
Ansgar half Ranold wieder auf die noch etwas zittrigen Beine.
„Spute dich, mein süßer Ranold, umso eher kann ich dir zeigen, wie dankbar ich sein kann. Glaub mir, diese Nacht wirst du so schnell nicht vergessen.“
Das bezweifle ich keine Minute lang, dachte Ranold und sah dem Barden sehnsüchtig hinterher, der nach einem weiteren verstohlenen Kuss den Schankraum in Richtung seiner Kammer verlassen hatte. Er grinste selig. Nun Barde, ich habe auch so einige Tricks auf Lager. Ansgar sollte nur nicht glauben, dass er eines dieser unbedarften Landeier ohne jegliche Erfahrung war, was die körperlichen Freuden anging. Sicher kannst du auch noch etwas von mir lernen, Barde! Ranold machte sich in Gedanken eine Notiz, dass er nach Erledigung seiner Aufträge unbedingt noch diese neuen Spielzeuge aus Leder aus seiner Kammer holen sollte, mit denen die Dirnen ihre Kunden zurzeit in Wyzima zu verwöhnen pflegten. Er hatte bislang noch keine Zeit gefunden, sie auszuprobieren, aber vielleicht war dies ja die richtige Nacht dafür.
Sein Vater bereitete ihm weit weniger Probleme, als Ranold zunächst befürchtet hatte. Auch an Leo MacDanold war der Tag nicht vollkommen spurlos vorbei gegangen. Es war nicht unbedingt der Haufen von versoffenen, herumhurenden Barden gewesen, der ihm innerhalb der letzten Stunden die dunklen Ringe unter den Augen und die dumpfen Schmerzen hinter der Stirn beschert hatten, sondern eher die Sorgen, die er sich wegen des Hexers machte, der nun unter seinem Dach weilte. Ihm war noch immer nicht ganz wohl zumute, wenn er daran dachte, dass der Weiße Wolf höchstpersönlich nun in derselben Kammer hockte, in der die vermaledeite Hexe damals ihr Unwesen getrieben hatte und nur Melitele und die anderen Götter mochten wissen, was genau das gewesen sein mochte. Er war zudem auch sichtbar erleichtert, als Ranold ihm den Beschluss der Barden mitteilte, dass der Wettbewerb erst morgen um die Mittagszeit beginnen sollte und als er erfuhr, dass bis zu Beginn des Bardenwettstreits ein absolutes Alkoholverbot gelten sollte, fiel eine weitere schwere Last von seinen Schultern. Seine Vorräte im Keller hatten eine Pause auch dringend nötig nach all den Tagen, wo sich das sittenlose Pack auf seine Kosten mehr als nur die Kehle befeuchtet hatte. Elende Schluckspechte! Nun war zumindest abzusehen, wann der ganze Irrsinn letztlich ein Ende finden würde. Mit etwas Glück war morgen in den späten Abendstunden schon alles vorbei.
„Das sind doch mal gute Nachrichten, mein Sohn. Ich frage mich nur, was wir dem ganzen verkaterten Haufen morgen früh zu trinken anbieten sollen, wenn sie aus ihren Löchern gekrochen kommen mit Schädeln so groß wie ihre aufgeblasenen Egos. Normalerweise fängt man ja morgens mit dem an, mit dem man am Abend davor aufgehört hat, doch dem haben die Herrschaften ja jetzt zu Recht einen Riegel vorgeschoben.“
Ranold brauchte nicht lange zu überlegen.
„Wie wäre es mit dem Sack dieser seltsamen Bohnen, die wir vor einigen Monaten anstelle einer Bezahlung von diesem Händler aus Übersee angenommen haben? Er erzählte uns ja, man könne daraus ein anregendes Getränk herstellen.“
„Du meinst diese rötlichen Kapselfrüchte, denen noch nicht einmal der Fluch etwas anhaben konnte? Weißt du denn noch, wie sie zubereitet werden müssen? Ich war an dem Tag ein wenig von der neuen Ladung Wein und den anderen Getränken aus den südlichen Provinzen abgelenkt…“
Beide sahen sich an und lachten schallend. Leo war nicht nur abgelenkt gewesen.
„Vater, du warst an dem Tag sternhagelvoll! Du konntest dich ja einfach nicht von der Flasche mit lyrianischen Elfenschnaps trennen, die ich hinterher nie wieder gesehen habe. Darum hab ich ja auch später von dir ein heftiges Donnerwetter zu hören bekommen, weil ich mich auf den Handel mit dem Kaufmann aus Übersee eingelassen hatte. Ich weiß allerdings noch ganz genau, was er zur Zubereitung sagte: erst im Feuer rösten, bis sie dunkelbraun geworden sind, dann möglichst gleich mahlen und anschließend mit heißem Wasser durch ein feines Tuch in eine Kanne seihen lassen. Wenn mich nicht alles täuscht, nannte der Mann das Getränk "Kafwe" oder so ähnlich. Vielleicht sollten wir das ganze mit Zucker und Milch servieren.“
Leo MacDanold klopfte seinem Sohn aufmunternd auf den Rücken.
„Nun, dann weißt du ja schon, was du morgen in aller Frühe zu tun hast! Kafwe für alle! Dann sieh mal zu, mein Sohn, dass du vorher noch eine Mütze voll Schlaf bekommst. Das wird wieder ein langer Tag werden. Fiona ist auch schon zu Bett gegangen. Verdient habt ihr es ja beide nach diesem anstrengenden Tag.“
Der junge Mann seufzte. An Schlaf war diese Nacht wohl nicht mehr zu denken. Oh, das würde eine wirklich verdammt kurze Nacht werden, grinste er still in sich hinein. Aber zunächst einmal hatte er noch etwas wichtiges zu erledigen. Der Brief an Rittersporn brannte ihm regelrecht unter dem Wams ein Loch in sein Leinenhemd. Er hatte es Ansgar versprochen und er war kein Mensch, der ein Versprechen leichtfertig gab und es dann nicht hielt.
Rittersporns und Geralts Kammer lag zu seinem Glück ohnehin auf dem Weg, den er zu Ansgars Kammer gehen musste. Vielleicht waren die beiden ja noch wach oder zumindest Rittersporn hatte einen so leichten Schlaf, dass er ihn ohne Probleme wecken konnte, um ihm den Umschlag seines Bruders überreichen zu können. Einen Versuch war es wert. Leise klopfte er an der Tür, doch im Inneren regte sich nichts, wie er hörte, als er sein Ohr an das Holz legte. Ranold konnte nicht wissen, dass sowohl Rittersporn als auch Geralt vor einer guten Stunde das Bewusstsein verloren hatten, als ihnen ein vergessener Zauber der Hexe um die Ohren geflogen war, die soviel Leid und den Fluch über die Stadt gebracht hatte.
Nachdenklich nahm Ranold den Umschlag aus seinem Wams und drehte ihn gedankenverloren in seinen Händen, während er überlegte, was er jetzt tun sollte. Dann kam er zu einem Entschluss. Rasch ging er auf die Knie und schob den Brief durch den schmalen Spalt unter der Tür in die Kammer hinein.
Passt!
Er machte sich keine Sorgen darüber, dass jemand anders als der Barde den Brief in die Hände bekommen könnte. Schließlich stand ja vorne mit großen geschwungenen Buchstaben sein Name drauf. Und Geralt? Nun ja, konnte der Hexer überhaupt lesen? Ranold zuckte die Schultern. Egal. Nun wurde es aber Zeit, seine Belohnung in Empfang zu nehmen. Nach einem kurzen Abstecher in sein eigenes Zimmer stand er schließlich mit klopfenden Herzen und heißem Gesicht vor Ansgars Kammer, die sich wie von Zauberhand öffnete, noch bevor er seine Hand an die Tür legen konnte. Ein vollkommen entblößter Arm zog ihn in den Raum hinein und im nächsten Moment fand er sich in der Umarmung des Barden wieder, der bereits ganz und gar nackt war und ihn erneut so küsste, dass Ranold Hören und Sehen verging.
„Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?“
Ranold konnte nur noch nicken. Ansgar lächelte.
„Sehr schön! Ich wusste bereits, als ich dieses Etablissement betrat und dich zum ersten Mal sah, dass dieser Moment kommen, dass ich dich in meinen Armen halten würde und wir zwei...“, Ansgars Blick fiel auf den ledernen Beutel, den Ranold mitgebracht hatte,“... nun, was haben wir denn da?“
Er nahm Ranold den Beutel ab, warf einen Blick hinein und grinste schelmisch, als er wieder hoch sah.
„Sieh mal einer an! Wer hätte das gedacht? Da will es wohl jemand ganz genau wissen. Ich sage ja immer, stille Wasser sind tief…und gefährlich! Zieh dich aus!“
Rasch kam der Angesprochene der Aufforderung nach, während Ansgar etwas aus dem Beutel fischte und es ausgiebig untersuchte.
„Willst du das wirklich?“
Ein Nicken.
„Dann fangen wir mal an,“ murmelte der Barde und stieß die Tür mit dem Fuß zu, bevor das erste Spielzeug zum Einsatz kam. Niemand hörte oder bemerkte in dieser Nacht etwas von dem, was sich hinter dieser Tür so alles abspielte, denn sie waren alle entweder viel zu betrunken dazu oder so weit weggetreten, dass sie gar nichts mehr wahrnehmen konnten. Und die zwei, die es wussten, verloren später kein Wort darüber, erinnerten sich aber hinterher immer gern an all die Dinge, die in dieser Kammer geschehen waren.
(Dan)
Witchers News, Jg. 3, Nr. 19 vom 01.10.2011, S. 30-34
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