Geschichten


Der Bardenwettstreit zu Carinthia


- sechste Fortsetzung -

Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zog Geralt den Barden beiseite. Dieser, gerade in ein recht wortkarges Gespräch mit seinem älteren Bruder verstrickt, schien im ersten Moment mehr als erfreut über die willkommene Unterbrechung, ahnte aber rasch, als er einen ihm wohlbekannten Ausdruck in der Miene des Hexers gewahr wurde, dass Geralt ihm damit hatte keinesfalls einen Gefallen tun wollen. In Geralt rumorte es fast hörbar.
„Ein Bardenwettstreit?“ Seine Frage war nicht lauter wie ein heiseres Raunen, doch so nah an Rittersporns Ohren gesprochen, dass er sie ohne große Mühe verstehen konnte. Der Barde zuckte mit den Schultern.
„Hättest du mich denn begleitet, wenn ich dir von Anfang an gesagt hätte, um was es geht?“
Geralt runzelte die Stirn.
„Darum geht es nicht, Rittersporn, und das weißt du ganz genau! Ich mag keine Überraschungen und werde nicht gerne im Unklaren gelassen. Der Gedanke, an diesem unfreundlichen Ort mehr Zeit als notwendig verbringen zu müssen, behagt mir überhaupt nicht. Und die Tatsache, dass wir hier auf engstem Raum, mit unzähligen deiner mehr oder weniger talentierten Mit-Minnesänger zusammengepfercht sind, trägt auch nicht gerade zur Steigerung meiner Laune bei. Nicht zu vergessen, dass du mir nie etwas von einem Bruder erzählt hast…“
“Du hast mich nie gefragt, aber ich muss zugeben, dass ich bislang aus persönlichen Gründen über meine Verwandtschaft geschwiegen habe. Einige Dinge sind zu heikel, um sie zu erzählen, andere möchte man nur noch so schnell wie möglich im hintersten Winkel seiner Erinnerungen in eine dunkles Verließ sperren und den Schlüssel dazu auf den tiefsten Grund des Meeres versenken.“ Der Barde seufzte.
„Ansgar und ich kamen eigentlich immer gut miteinander aus, zumindest solange wir noch Kinder waren. Das änderte sich allerdings abrupt, als wir beide in Oxenfurt studierten und er meinte, ebenso wie ich, das Studium der Musik absolvieren zu müssen, wo er doch auf dem Gebiet der anderen bildenden Künste so begabt war. Er wusste gleichwohl meisterhaft mit dem Pinsel umzugehen als auch einem toten Klumpen Lehm ungeahntes Leben einzuhauchen. Der Wettstreit, wer denn nun der bessere Barde sei und sein Instrument trefflicher beherrschte, führte zu immer größer werdenden Spannungen zwischen uns beiden, an denen ich zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig war. Zum Bruch zwischen uns beiden kam es schließlich, als ich ein hoch dotiertes Stipendium der Universität Oxenfurt erhielt, welches mir mein Studium ungemein erleichterte; aber noch schlimmer traf es ihn, dass ich der Dame seines Herzens meine Aufwartung machte und ihr Herz im Sturm eroberte. Das hat er mir nie verziehen, hätte ich doch seiner Meinung nach jede andere haben können …“
Geralt, der bislang mit unbewegter Miene dem Barden gelauscht hatte, warf einen kurzen Blick auf den blonden Ansgar, der gerade ungeniert mit dem Sohn des Wirtes schäkerte.
„Er scheint zumindest keinerlei Schaden dadurch zurück behalten zu haben.“
Rittersporn folgte dem Blick des Hexers und runzelte die Stirn.
„Nun, Ansgar war noch nie ein Kind von Traurigkeit und recht flexibel, was seine Lebensgewohnheiten angeht. Diese Seite von ihm ist allerdings selbst mir bislang verborgen geblieben. Ein halbes Leben, all die gemeinsam verbrachten Jahre reichen anscheinend kaum aus, um eine Person, die einem irgendwie nahe steht, wirklich und wahrhaftig in und auswendig zu kennen.“
„Der Reiz liegt doch gerade darin, dass es so lange dauert, bis man einen Menschen besser kennt, ohne ihn oder seine Handlungen jemals gänzlich verstehen, oder seine geheimsten Gedanken erforschen zu können. Wenn ich alles von dir, oder einem anderen wüsste, mein werter Rittersporn, dann wäre das Leben doch recht langweilig, oder?“
Rittersporn lachte leise.
„Du hast Recht, Geralt! Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass in dir ein kleiner Philosoph schlummert. Geheimnisse und Rätsel sind nun einmal die Würze des Lebens, auch wenn ich auf manche Überraschung in meinem Leben durchaus hätte verzichten können. Wo wir gerade beim Thema sind: einer der Schiedsrichter, der den Wettstreit leiten und bewerten sollte, liegt leider mit schwerem Bauchgrimmen in seiner Kammer. Er ist im Moment kaum in der Lage seiner Aufgabe nachzukommen, wie mir Ansgar vor kurzem anvertraut hat. Er hat mich gebeten, bei dir nachzufragen, ob du …“
Geralt tat einen Schritt zurück und spreizte abwehrend die Hände.
„Nein, Herr Rittersporn, das kann nicht euer Ernst sein! Ich bin nun wirklich der unmusikalischste Hexer, den die Welt je gesehen hat. Selbst Lambert und Eskel haben mir stets bescheinigt, ich würde die Töne noch nicht einmal treffen, wenn man sie vorher betäuben und sie mir vor die Schwertspitze setzen würde. Wie sollte ich ein gerechtes Urteil fällen können, wo ich weder Verständnis noch Gehör für die musischen Belange besitze?“
Der Barde öffnete den Mund, schloss ihn allerdings recht bald wieder, ohne dass die Erwiderung, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, über seine Lippen gekommen wäre. Stattdessen legte er kurz den Kopf in den Nacken, starrte angestrengt zur balkengestützten Decke empor, bevor er lächelnd in seine Ausgangsposition zurückkehrte. Jovial legte er seinen Arm um Geralts Schulter und zog ihn näher zu sich heran, als sollten die anderen Barden nichts davon mitbekommen, was er ihm gleich zu sagen beabsichtigte.
„Das siehst du im völlig falschen Licht, mein lieber Geralt! Wer könnte besser als du dazu geeignet sein, ein Urteil abzugeben? Sieh mal, all meine Sangesbrüder hier sind so dermaßen von sich und ihrem angeblichen Talent eingenommen, dass sie ihren Konkurrenten nicht einmal das schwarze unter ihren Fingernägeln gönnen würden …“
„Und wie steht es dabei um dich?“ fragte Geralt interessiert.
„Ich? Ach, jeder weiß doch insgeheim, dass keiner der hier Anwesenden mir auch nur im Geringsten das Wasser reichen könnte. Und man sollte es auch gar nicht erst versuchen. Ich laufe hier außer Konkurrenz auf.“
„Quod erat demonstrandum“, murmelte Geralt.
„Sagtest du etwas Geralt? Nein? Ich dachte… ist ja auch egal. Die Jury besteht aus drei Schiedsrichtern, von denen der eine nun ja leider ausfällt. Ich finde die Idee ganz reizvoll, dass jemand, der mit der Musik sonst gar nichts am Hut hat, das so genannte Zünglein an der Waage sein soll. So kann zumindest verhindert werden, dass der Sieg jemandem zugeschustert wird, der sich die Jury vorher, nun ja, mit etwas mehr, als nur wohlfeilen Worten für sich eingenommen hat, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Ist das schon mal vorgekommen?“
Rittersporn schnaubte.
„Hast du eine Ahnung, Geralt! Das kommt ständig vor. Wenn so etwas ruchbar wird, dann geht es meist hoch her, das kannst du mir glauben. Der letzte Sängerwettstreit vor drei Jahren endete mit zwei Toten und dem Verlust eines Auges. Wolfram von Aschenbach, der dort hinten in der Ecke seinen Vollrausch ausschläft, hatte das Pech, dass die Laute seines Kontrahenten mit einem silbernen Krähenschnabel verziert war, der sich tief in sein rechtes Auge bohrte, als die beiden mit ihren Instrumenten aufeinander einzuschlagen begannen. Seitdem trägt er eine Augenklappe über dem vernarbten Loch. Ich hörte, nicht wenige Frauen seien sehr angetan von dem Anblick …“
„Da solle noch mal einer ernsthaft behaupten, Barden könnten keiner Menschenseele ein Haar krümmen. Nun gut, ich werde darüber nachdenken. Ich sagte nachdenken, Rittersporn, das ist keineswegs schon eine Zusage, verstanden?“

Das Zimmer war recht spartanisch eingerichtet: zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle und eine Kommode, auf der eine Waschgelegenheit in Form einer irdenen Schüssel nebst Henkelkrug vorhanden war. In der Ecke stand ein kleiner Schrank, der gerade groß genug war, um die wenigen Habseligkeiten des Hexers und des Barden darin zu verstauen. Eine Toilette gab es, wie sonst auch üblich, außerhalb des Zimmers, am Ende des Flures, den sie auf der Suche nach ihrer Kammer durchquert hatten. Rittersporn rümpfte die Nase. Schon der Geruch auf dem Flur hatte ihn dazu bewogen, auf den Abgang bestimmter Körperausscheidungen solange zu verzichten, bis sie wieder in einer Gegend weilten, in welche, wie er meinte, die Zivilisation schon Einzug gehalten hatte. Zumindest die Streu auf dem Boden war anscheinend frisch und das grobe Leinen auf den Betten sauber, soweit es sein strenger Blick zu beurteilen vermochte. Vorsichtig ließ der Barde sich auf der Bettkante nieder und prüfte vorsichtig die Härte der Matratze.
„Was ficht dich an, Rittersporn? Du hast doch wohl in dieser Gegend keine Seidenlaken und marmorne Böden erwartet, oder?“
Der Barde grummelte nur, während sich Geralt mit einem knurrigen, aber wohlgefälligen Laut rücklings auf das andere Bett warf und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen begann, seine Stiefel von den Füßen zu pellen, was ihm zu Rittersporns Erstaunen recht zügig gelang. Im hohen Bogen flogen sie dann gegen die gekalkte Wand gegenüber dem Bett, wo sie mit einem lauten Poltern auf den blank gewienerten Dielen zu liegen kamen.
„Ich habe gar nichts erwartet“, maulte er, „das ist ja mein Dilemma! Ich erwarte nichts und werde dennoch enttäuscht!“
„Nimm es wie ein Mann, Barde. Wir könnten genauso gut jetzt auf kargem kalten Boden liegen, unter uns ständig Riesentausendfüssler, welche die Erde auf der Suche nach Nahrung durchpflügen und beim Abtritt ist weit und breit kein Blatt zum abwischen zu finden…“
„Ja, ich weiß“, räumte der Barde reumütig ein, “es könnte alles noch viel schlimmer sein, als es gerade ist.“
„Stimmt genau!“ Geralt zog das leinene Unterhemd über den silbernen Schopf und legte es über die Lehne des Stuhls, der ihm am nächsten stand, bevor er zur Kommode hinüberging, um sich Wasser aus dem Krug über Kopf und Oberkörper zu gießen. Fasziniert betrachtete Rittersporn die zuckenden Rückenmuskeln, auf denen etliche kleine und größere Narbenwülste von Geralts bewegter und kampferprobter Vergangenheit erzählten. Er wusste, dass das Narbengewebe auf der Vorderseite noch imposanter war als das, welches er im Moment zu sehen bekam, und er fragte sich nicht zum ersten Mal, während ihrer gemeinsamen Reisen, wie es wohl sei, buchstäblich in Geralts Haut zu stecken. Seufzend streckte und reckte er sich auf dem Bett und ließ sich schließlich gänzlich auf das überraschend weiche Bett fallen. Sein Kopf stieß gegen etwas Hartes.
„Verdammt!“ fluchte er und riss das Kopfkissen beiseite. Unter dem Kissen kam ein Gegenstand zum Vorschein, den der Barde misstrauisch beäugte. Es handelte sich dabei um eine kleine Statuette aus Ton, die eine hoch gewachsene Frau mit langem Haar und einem gefalteten Gewand darstellte, wie es Rittersporn ähnlich schon häufiger in den Tempeln der Melitele gesehen hatte. Diese Interpretation des Gewandes war jedoch recht freizügig. Sowohl die beachtlichen Brüste als auch die extrem langen Beine waren nur spärlich von Stoff bedeckt. Zudem konnte man deutlich die Kniekehle des einen Beines erkennen, das einen Schritt nach vorn zu machen schien. Rittersporn wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass ein Wind den Rest des Gewandes erfassen würde, damit er noch mehr zu sehen bekam. Er bleckte die Lippen und zwang sich dazu, sich wieder der Vorderseite der Statuette zu widmen. In den Händen hielt die Frau zwei Schüsseln, die sich ähnelten und doch geringe Unterschiede aufwiesen. Es schien, als würde sie beide gegeneinander abwiegen, ohne jedoch die eine der anderen vorzuziehen, oder als besser zu bewerten. War dies eine frühe Interpretation der Göttin der Gerechtigkeit? Eher nicht, entschied der Barde, denn in ihrem wunderschönen Gesicht konnte er ihr direkt in die Augen sehen, ohne dass eine Binde ihren Blick vor ihm verbergen konnte.
Das Gesicht! Rittersporn hielt den Atem an. Ähnelte es nicht… konnte es sein …?
„Geralt, schau dir das mal an! Sieht diese Statuette nicht genauso aus wie Yennefer?“
„Was?“ Geralts Stimme klang dumpf unter dem Tuch, mit dem er sein Haar trocken rubbelte.
„Ich habe diese Statuette gerade unter meinem Kopfkissen gefunden. Es stellt eine leicht bekleidete Frau mit zwei Schüsseln dar, die sie in den Händen hält und ihr Gesicht sieht verdammt noch mal so aus, als hätte Yennefer persönlich dafür Modell gesessen, oder ich will nicht mehr Rittersporn heißen!“ Der Barde drehte die Figur erneut.“ Warte mal, hier ist sogar noch etwas eingraviert. Unten, genauer gesagt unter dem Sockel. Was, zum Teufel, ist das denn für eine Sprache?“
Geralt wurde hellhörig. Sein Medaillon zitterte.
„Oge tu, tu oge til de maica brek…“
„Rittersporn! Nicht!“ Geralt eilte herbei, doch Rittersporn hatte den Text bereits zu Ende gelesen. Ein sanftes Leuchten erschien zunächst in der einen tönernen Schüssel und dann ein zweites helleres in der anderen. Beide nahmen an Intensität zu, bis beide Männer geblendet die Augen schließen mussten. Die Statuette begann in Rittersporns Händen zu vibrieren. Er versuchte sie loszulassen, doch seine Finger gehorchten ihm nicht mehr.
„Wirf das Ding weg!“ rief Geralt.
„Ich würde ja gern, aber ich kann nicht!“
Entschlossen griff Geralt nach der Statuette, um sie dem Barden aus der Hand zu nehmen. Seine Finger schlossen sich gerade um den tönernen Leib, als der Zauber seine ganze Macht zu entfalten begann. Mit einem lauten Knall brach die Figur in tausend Stücke. Die dabei entstandene Druckwelle schleuderte Rittersporn und Geralt voneinander fort. Geralts Rücken krachte gegen das Bettgestell. Rittersporn hingegen machte Bekanntschaft mit der harten Wand und rutschte neben Geralts Stiefel zu Boden. Eines hingegen hatten sie gemeinsam: beide verloren im gleichen Augenblick das Bewusstsein, während sich die Überreste der Statuette als feiner, glänzender Staub auf die Binsen legte, als hätte sie nie existiert.

(Dan)

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Witchers News, Jg. 3, Nr. 18 vom 01.08.2011, S. 18-21


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