Geschichten


Der Bardenwettstreit zu Carinthia


- neunte Fortsetzung -

„Nicht jetzt!“, murmelte Rittersporn und steckte den Brief samt Umschlag zwischen Wams und Leinenhemd, denn er sah über Geralts Schultern hinweg schon das nächste Problem auf sie zukommen: eine Gruppe munter plaudernder und lachender Barden, angeführt von seinem Bruder.
„Ganz gleich, was sie dich fragen oder sagen“, flüsterte er dem Hexer zu, „gib, wenn möglich, nur allgemeine Phrasen von dir. Am besten wäre es, du würdest nur lächeln und nicken, aber bloß nicht übertreiben dabei. Mach um Meliteles Willen nur nicht den Fehler, einen von ihnen zu bevorzugen! Barden sind nachtragende Diven!“
Geralt lächelte sein bestes Rittersporn-Lächeln.
„Du musst es ja wissen ...“
Bevor Rittersporn zu einer schnippischen Antwort ansetzen konnte, hatte der kleine Trupp Barden sie auch schon erreicht. Ansgar nickte Geralt mit einem aufrichtigen Strahlen in seinem Gesicht zu, zögerte kurz, dann umarmte er seinen Bruder. Für diesen Fall hatte Geralt keine Instruktionen von seinem Freund erhalten, sodass er nach einem Moment des Zauderns die Umarmung einfach erwiderte, was Ansgar wiederum zu erstaunen schien.
„Guten Morgen, lieber Bruder“, Ansgars Stimme bebte leicht, fand aber rasch zu ihrem gewohnten Timbre zurück, „ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht. Dir macht es doch wohl nichts aus, wenn ich kurzerhand deinen Freund Geralt von deiner Seite entführe? Wir haben noch einiges zu bereden. Du weißt schon, Jury-Angelegenheiten, nichts Weltbewegendes. Warum gehst du nicht schon nach unten und ölst deine Stimme? Wie ich gehört habe, erwarten unsere Kollegen schon mit Spannung deinen Beitrag zum Wettbewerb.“
Geralt warf Rittersporn einen fragenden Blick zu. Die Panik darin war nicht zu übersehen. Der Barde schloss seine schwefeligen Augen und dachte nach. Irgendwie musste er verhindern, dass Geralt unabsichtlich seinen Ruf ruinierte, doch im Moment beanspruchte sein Bruder seine volle Aufmerksamkeit. Die Lösung dieses Problem hatte noch Zeit, denn der Wettbewerb würde ohne die Anwesenheit der Jury sicher nicht beginnen. Er sah zu, wie Geralt von den anderen Barden in ihre Mitte genommen wurde, die ihn zugleich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch versorgten. Der Hexer lächelte tapfer, zog ab und an eine von Rittersporn Brauen in die Höhe und warf ein „Ach!“ oder „Ist nicht wahr?!“ in die Unterhaltung ein. Braver Junge, dachte Rittersporn, während die kleine Gruppe mit Geralt den Gang hinabging und schließlich im Treppenhaus seinem Blick entschwand. Ansgar wandte sich Rittersporn zu.
„Es ist gut, dass wir vor Beginn noch einige Augenblicke unter uns sind, Meister Geralt.“
Rittersporns Miene war unbewegt. Er neigte lediglich ein wenig den Kopf und hoffte, sein Bruder würde dies als ein Zeichen der Zustimmung interpretieren, was dieser auch tat. Komm zum Punkt, Ansgar, dachte der Barde. Er kannte seinen Bruder. Er würde die nächsten Minuten damit verbringen, um den heißen Brei herum zu tänzeln, bevor er endlich zur Sache kam und das ansprach, was ihm auf der Zunge brannte. Das hatte er schon als Kind gut gekonnt und damit nicht nur einmal ihre sonst so friedliebende Mutter zur Weißglut und schlimmerem gereizt.
„Ich will nicht viele Worte machen“, begann Ansgar, dann sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. „Aus sicherer Quelle weiß ich, dass einige unserer Sangesbrüder planen, den Wettbewerb zu sabotieren. Ich kenne ihre Namen noch nicht, weiß aber, dass mein Bruder Rittersporn eine wichtige Rolle in ihrem Plan spielt. Deshalb habe ich auch dafür gesorgt, dass mein werter Bruder nicht in der Jury sitzt, wie es zunächst geplant war, sondern Ihr. Anscheinend hat das noch nicht gereicht. Wir müssen unbedingt verhindern, dass mein Bruder singt. Es ist anzunehmen, dass er auf irgendeine Weise zum Sieger erklärt werden soll, was den Wettbewerb sicherlich sprengen würde. Unter uns“, Ansgar beugte verschwörerisch seinen Kopf soweit vor, dass Rittersporn dessen Atem am eigenen Hals spüren konnte, „Rittersporn genießt in unserer Zunft nicht gerade den besten Ruf, Ihr versteht? Futterneid. Er ist einfach zu erfolgreich und lässt alle anderen neben sich verblassen. So mancher Barde hat noch eine Rechnung mit ihm offen, von der er gar nichts weiß.“
Rittersporn schloss erneut die Augen. Eine Welle der Übelkeit durchströmte ihn vom Kopf abwärts durch den ganzen Körper, bis er das Gefühl hatte, sie würde ihn im nächsten Moment von den Füßen reißen, was aber zu seiner Erleichterung nicht geschah.
„Ich verstehe“, antwortete er stattdessen mit belegter Stimme. Ansgar hatte sich wirklich verändert. So offen hatte er ihn noch nie erlebt. Ob es daran lag, dass er glaubte, sich mit Geralt von Riva zu unterhalten? Würde er auch so offen mit ihm sprechen, wenn er sich in seinem eigenen Körper befunden hätte und nicht in dieser Ansammlung von Muskeln und Narben?
„Was schlagt Ihr vor?“
Ansgar rieb sich nachdenklich das Kinn, kratzte sich an den Nasenflügeln, bis ihn ein Geistesblitz zu treffen schien, denn er schnippte mit den Fingern und ein helles Strahlen überflutete sein Gesicht.
„Ihr werdet ihn davon abhalten! Auf mich würde er nicht hören. Ich schrieb ihm einen kurzen Brief, in dem ich ihn mit knappen Worten warnte, doch Ihr habt ja seine Reaktion beobachten können, als ich eintraf. Er scheint die Warnung nicht besonders ernst zu nehmen. Euch vertraut er allerdings! Sprecht mit ihm, haltet ihn von seinem Vortrag ab oder nehmt Euch seine Laute vor, wenn es nötig sein sollte ...“
Rittersporn zuckte zusammen.
„Ich glaube nicht, dass er seine Laute unbeaufsichtigt lassen würde. Sie war ein Geschenk einer Elfe aus Dol Blathanna. Er hatte sie einmal bei einer ... nun ... Schülerin in Wyzima vergessen und lässt sie seitdem so gut wie nie mehr aus den Augen.“
„Dann werden wir uns etwas anderes überlegen müssen“, antworte Ansgar nachdenklich, während sie sich zusammen auf den Weg nach unten machten.

Im Schankraum hatte man inzwischen die Tische so zusammengestellt, dass sie nun einem großen Hufeisen ähnelten, in dessen Mitte ein Stuhl stand, auf dem der jeweilige Teilnehmer sein Lied zum Besten geben konnte. An der Kopfseite dieses Hufeisens saßen bereits einige Barden, die augenscheinlich zur Jury gehörten, da sie, anders als ihre Kollegen, die noch eifrig dem Frühstück inklusive Kaffee zusprachen, bereits in diversen Pergamenten blätterten, die wohl für den Wettstreit von einiger Bedeutung waren.
Rittersporn entging keineswegs der Blick, den sein Bruder Ansgar Ranold, dem Sohn des Wirtes, zuwarf und der von diesem errötend erwidert wurde. Er glaubte auch kurz Fiona zu erblicken, die sich verstohlen umsah, bevor sie eine Gestalt in einen der Nebenräume geleitete. Wahrscheinlich war das dieser Cailin oder Caitlin, überlegte er, dieser stumme Idiot von gestern. Mittags auf ein Feld zu gehen, um seiner Liebsten einen Blütenkranz zu pflücken, mochte zwar romantisch anmuten, doch in Gegenwart einer Mittagserscheinung war dieses Unterfangen wirklich nur ausgesprochen dämlich zu nennen. Vielleicht wäre es aber ein passender Stoff für eine tragische Ballade? Er notierte sich diesen Einfall in Gedanken.
Dann erblickte er Geralt. Ein seltsames Gefühl überkam ihn, als er sich selbst dort inmitten der anderen Barden stehen, lachen und scherzen sah. Seine Wangen waren gerötet und seine Bewegungen erschienen fahrig, was Rittersporn auf den Becher in seiner Hand zurückführte, in dem sich heißer, noch dampfender Kaffee befand. Er kannte dieses Getränk gut. Es war, in Maßen zu sich genommen, ein anregendes Gebräu, das einem die Nächte verkürzen konnte, wenn man nicht in den Schlaf fand. Mit dem Kaffee war es jedoch wie mit der Medizin: die Dosis machte den Unterschied. Waren ein oder zwei Tassen noch anregend und erfrischend, so schlug der Effekt nach einem halben oder gar ganzem Dutzend rasch ins Gegenteil um. Und wenn er sich Geralt nun so besah, dann konnte er davon ausgehen, dass dessen zweite Tasse Kaffee schon einige Zeit zurücklag.
„Kommt zu den anderen Juroren, wenn Ihr soweit seid!“ Ansgar verbeugte sich förmlich und ging mit angemessenen Schritten auf den Tisch an der Kopfseite zu.
Rittersporn hingegen pickte sich unter Zuhilfenahme seiner Ellbogen Geralt aus der Meute heraus und lotste ihn in eine ruhigere Ecke.
„Wir müssen reden!“
„Dann fang mal an ...“ Geralt schwenkte den Becher, bis die dunkelbraune, fast schwarze Flüssigkeit über den Rand schwappte. Rittersporn wand den Becher aus Geralts Hand, äugte misstrauisch hinein, schnüffelte kurz und zuckte zurück.
„Verdammt“, fluchte er. „Doppelt geröstet und dann auch noch pechschwarz. Warum hast du nicht Milch und Zucker dazugenommen?“
Geralt sah ihn mit verwundertem Blick an. „Weil ich ein Hexer bin und kein Weichei!“
„Wie viele Tassen hast du davon schon getrunken?“
Der Hexer in Gestalt des Barden winkte verächtlich ab. „Nun stell dich mal nicht so an, Geralt“, antwortete er, wobei er seinen eigenen Namen kaum hörbar betonte, „das waren doch gerade mal sieben oder acht Tassen! Was ist schon dabei?“
Rittersporn schnaubte. „Das bekommst du schon früh genug mit! Stell dich schon mal auf Herzrasen und Hitzewallungen ein, mein Lieber! Und Schlaf wirst du dann wohl auch nicht so schnell finden. Ich bin heilfroh, gerade mal nicht in meiner eigenen Haut zu stecken. Sei's drum! Ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen. Es geht das Gerücht um, einige Barden wollen den Wettbewerb sabotieren und du, also Rittersporn, wirst dabei eine Rolle spielen. Wir müssen dafür sorgen, dass du auf keinen Fall singst ...“
„Das hatte ich ohnehin nicht vor, werter Freund!“
„Du verstehst den Ernst der Lage nicht“, zischte Rittersporn, „wenn du nicht singst, dann ist mein ohnehin lädierter Ruf, wie Ansgar mir beteuerte, bald ganz zum Teufel. Singst du aber, dann nimmt der Wettstreit kein gutes Ende und Wolfram von Aschenbach kann folglich nur hoffen, dass er sein verbliebenes Auge nicht auch noch verliert. Von den anderen Barden mal ganz abgesehen. Ich denke nicht, dass die brave Familie des Wirts große Lust verspürt, den Boden von Blut und verstreuten Körperteilen reinigen zu müssen. Du hast ja keine Ahnung, wie scharf so eine Lautensaite sein ...“
Rittersporn kam eine Idee. Er packte Geralt bei den Schultern, doch etwas zu hart, denn sein Gegenüber stöhnte unter dem Griff auf.
„Wenn ich nachher auf dich zukomme und dich um etwas bitte, dann sträube und ziere dich erst einmal etwas, bevor du meinen Wunsch erfüllst. Hast du verstanden?“
Geralt steckte den kleinen Finger in sein Ohr und rüttelte in der Muschel herum. „Laut und deutlich, mein Freund, ich bin schließlich nicht taub.“
„Wir sehen uns dann!“
Der Lärm im Raum hatte merklich abgenommen und die Barden nahmen allmählich ihre Plätze an den Tischen ein. Da allerdings mehr Sänger anwesend als Sitzplätze vorhanden waren, stand der Rest hinter ihren sitzenden Kollegen. Geralt, der langsam zu dem offenen Ende des Hufeisens geschlendert war, sah neben den ganzen Minnesängern auch noch einige der verbliebenen Dorfbewohner, die sich dieses Spektakel anscheinend nicht entgehen lassen wollten.
Da er aufmerksam den Gesprächen der anderen Barden zugehört hatte, ohne sich selbst allzu sehr darin verwickeln zu lassen, kannte er ganz gut die näheren Umstände des Wettstreites und vor allem, welche Personen neben Ansgar und seiner eigenen Wenigkeit darüber richtete, wer den Titel des besten Barden erringen würde. Da saß zum Beispiel der kahlköpfige und bereits in die Jahre gekommene Malin von Versfeld. Er hatte seine besten Jahre schon lange hinter sich gebracht und war recht zufrieden mit seiner Stellung als Professor für angewandte Harmonik an der Universität Oxenfurt. Gerade im Moment trafen sich ihre Blicke und Geralt senkte ehrfurchtsvoll den Kopf, da er wusste, dass dieser Mann bereits Rittersporn unterrichtet hatte.
Anders verhielt es sich mit René de Bellegout. Ein widerlicher Kerl mit einem dürren Kinnbart, der gerade einmal aus drei Haaren zu bestehen schien. Er war jung, ehrgeizig und relativ skrupellos, was seine Methoden anging, um zu Ruhm und Ansehen zu gelangen. Sein großes Manko jedoch war sein Mangel an Talent. Jede Nebelkrähe sang besser als er, sodass er sich darauf spezialisiert hatte, andere junge Talente gegen Entgelt unter seine Fittiche zu nehmen, ihnen die Texte für ihre Balladen zu schreiben und kräftig von ihren Einnahmen, die sie durch Auftritte vor Publikum erwirtschafteten, abzusahnen. Geralt mochte ihn nicht. Wenn er jemanden in Verdacht hatte, den Wettstreit zu manipulieren, dann gehörte René de Bellegout ohne Zweifel an die Spitze seiner Liste.
Der letzte Juror in dieser Reihe hatte freilich selbst ihn überrascht, denn dabei handelte es sich um eine Frau. Eine Bardin hatte er selbst bislang nur einmal getroffen, doch auch ihm war schon die Kunde von Gwenhyfher der Schönen, wie sie genannt wurde, zu Ohren gekommen. Diese zierlich anmutende Frau mit den elfenhaften Gesichtszügen hatte es tatsächlich geschafft, ihren Platz in einer von Männern beherrschten Domäne nicht nur zu erobern, sondern zudem noch auf Dauer zu behaupten.
Malin von Versfeld erhob sich. Fast augenblicklich verstummte auch das letzte Gespräch, bis nur noch ein leises Murmeln und vereinzeltes Räuspern zu hören war. Malin sah sich um und betrachtete mit einem wohlwollenden Lächeln die Anwesenden.
„Meine Lieben, ich freue mich, dass Ihr so zahlreich zu diesem Wettstreit erschienen seid, in dem wir den Besten unter uns ermitteln wollen. Eine organisatorische Notwendigkeit noch vorweg: Wer bislang die Teilnahmegebühr in Höhe von 50 Oren noch nicht bezahlt haben sollte, kann dies innerhalb der nächsten Stunde bei unserem Gastgeber, dem ehrenwerten Leo MacDanold, nachholen. Der Preis für den besten Barden beläuft sich nach aktueller Zählung auf 7900 Oren.“ Die Menge applaudierte und klopfte zustimmend mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Die Regeln unseres Wettstreites erklärt Euch nun meine werte Kollegin Gwenhyfher!“ Malin setzte sich, Gwenhyfher zugewandt applaudierend, zurück auf seinen Platz. Die Bardin erhob sich und legte eine Hand auf ihr Herz. Dann erhob sie ihre Stimme und Geralt spürte, wie sich bei ihrem Klang ein wohliges Gefühl in seinem ganzen Körper ausbreitete. Er war bezaubert.
„Auch ich grüße alle anwesenden Barden auf das Herzlichste. Die Regeln sind kurz und einfach: Jeder Teilnehmer trägt ein Lied oder Ballade seiner Wahl vor, Thema und musikalische Untermalung sind ihm überlassen. Einzige Ausnahme ist, wenn zwei Teilnehmer dasselbe Musikstück zum Vortragen auswählen sollten. In diesem Fall muss derjenige, der als zweites singt, ein anderes Stück auswählen. Es ist nicht erlaubt, den Sänger bei seiner Vorführung durch Pfiffe, Zwischenrufe oder das Werfen von Lebensmitteln oder Bierkrügen zu stören. Dies führt sofort zur Disqualifikation desjenigen, der diese schändliche Tat ausführt hat. Eine Rückerstattung der Teilnahmegebühr ist in diesem Fall aus verständlichen Gründen nicht möglich und auch nicht angebracht. Habt Ihr noch Fragen dazu?“ Sie sah sich aufmerksam um, doch keiner meldete sich zu Wort. „Nun gut, dann können wir wohl beginnen ...“
Geralt sah, wie sich Rittersporn auf den Tisch aufstützte und sich langsam erhob. Formvollendet ergriff er Gwenhyfhers Hand und führte sie an seine Lippen.
„Verzeiht mir, werte Gwynhyfher, dass ich Euch so ungalant unterbreche. Ich weiß, dass ich in dieser Gesellschaft der Außenseiter bin und ich empfinde es als große Ehre, dass Ihr mich in Eure Runde so wohlwollend aufgenommen habt. Daher möchte ich, Eure Erlaubnis vorausgesetzt, auch etwas zum Besten geben, wenn ich auch nie den hohen Anforderungen der hier Anwesenden genügen kann.“
Gwenhyfher kicherte überrascht, entzog ihm aber nicht ihre Hand, die er daraufhin ein zweites Mal an seine schmalen Lippen führte.
„Ich wüsste nicht, das etwas dagegen sprechen würde, werter Meister Geralt. Ich bin sicher, meine Kollegen sehen das ebenso!“
Geralt bemerkte, wie René de Bellegout nachdenklich die Stirn in Falten legte und auch Ansgar sah man an seiner Miene an, dass er nicht wusste, wie er Rittersporns Angebot deuten sollte. Lediglich Malin lächelte und schmatzte zufrieden vor sich hin.
„Ich muss gestehen“, erläuterte Rittersporn mit einem verschmitzten Lächeln, „dass ich mir in einsamen Nächten in Kaer Morhen die Zeit damit vertrieben habe, ein wenig auf der Laute zu spielen, ohne jemals die hohe Kunst und das Können eines Rittersporns erreichen zu können ...“
Geralt senkte den Kopf. Trag nicht zu dick auf, Barde!
„Nun, der Rede kurzer Sinn, darum möchte ich meinen Freund Rittersporn bitten, mir zu diesem Zweck seine Laute zu borgen ...“
Der Hexer zuckte zusammen. Das Spiel begann also.
„Mein lieber Rittersporn“, antwortete er deshalb mit überraschter Miene, „ich fühle mich zwar geehrt, dass du gerade mein Instrument auserwählt hast, doch ich muss deinem Ersuchen leider eine Abfuhr erteilen. Zu wertvoll ist mir die Laute, die, wie du weißt, ein Geschenk war, wie man es nicht alle Tage erhält!“
„Natürlich ist mir das bewusst, mein Freund, doch bitte ich dich, für mich eine Ausnahme zu machen.“
Geralt tat, als würde er angestrengt nachdenken. Dann nahm er die Laute von seinem Rücken, betrachtete sie mit einem wie er hoffte liebevoll wirkendem Blick, seufzte theatralisch und ging langsam zum Tisch der Juroren.
„Meinetwegen, Geralt, doch ich warne dich: behandle sie gut. Vielleicht ist dies auch eine gute Möglichkeit, um allen hier zu zeigen, dass Hexer lieber bei ihren Leisten bleiben und uns Barden besser das Singen überlassen sollten.“
Vereinzeltes Gelächter brandete auf. Rittersporn ergriff vorsichtig seine Laute aus den Händen von Geralt, der sich wieder zum Ende des Hufeisens zurückzog, um der Dinge zu harren, die jetzt folgen würden.
Der Barde fand es ungewohnt, mit Geralts Fingern, die das Spielen eines Musikinstruments so gar nicht gewohnt waren, die Saiten nachzustimmen. Das Instrument kam ihm vor wie ein rohes Ei, das in viel zu kräftigen Händen gehalten wurde, aber er war ein Barde und würde auch diese Herausforderung meistern. Wäre ja gelacht!
Er zupfte versuchsweise an den Seiten, was im Publikum zu leichten Heiterkeitsausbrüchen führte, während er überlegte, was er zum Besten geben konnte. Auf keinen Fall eine seiner eigenen Kompositionen, soviel stand fest. Etwas einfaches sollte es sein, nicht zu hochtrabend, eher wie die Lieder, wie sie die Hafenarbeiter in Cintra sangen. Er lächelte still in sich hinein. Nun, dann beginnen wir mal mit etwas Selbstironie!
Rittersporn erhob die Stimme, summte einige Laute, während die Töne seines Musikinstruments allmählich klar hervortraten. Mit einigen von ihm absichtlich eingefügten Misstönen natürlich, damit sein wahres Können nicht sogleich zutage trat:

„Meister Rittersporn wird von vielen geschätzt
im Leben hat er noch nie eine Frau versetzt
Männer sehen ihn von hinten
meist nur rasch entschwinden
nachdem er ihnen die Hörner hat aufgesetzt
nachdem er ihnen die Hörner hat aufgesetzt ...“

Rittersporn sah in die Runde, weiterhin die Melodie auf der Laute spielend. Überraschung hatte sich auf den meisten Gesichtern der anderen Barden ausgebreitet, um dann einem lauten, tosenden Beifall Platz zu machen. Einige Barden lachten Tränen und selbst in den Augenwinkeln der schönen Gwenhyfher sah er welche funkeln, wenngleich sie auch versuchte, sich ihre Belustigung nicht anmerken zu lassen. Selbst Geralt schmunzelte, obwohl er sich den Anschein von stoischer Ruhe zu geben versuchte. Rittersporn sang die Strophe noch ein zweites Mal und diesmal sangen die Barden den letzten Satz lauthals und mit Begeisterung mit, wie sie es auch bei den folgenden Strophen tun sollten.

„Einst boten zwei Nonnen aus Wyzima
freizügig mir ihre verhüllten Körper dar.
Wollte sie gerade beglücken,
als die Rechnung sie zücken:
Das kostet dich dann 500 Oren in bar!
Das kostet dich dann 500 Oren in bar!

Ich traf mal eine hübsche Maid in Vergen.
Schon lang lebte sie dort bei den Zwergen.
Und es war rasch klar:
Dort die größte sie war.
Und das lag nicht nur an ihren zwei Bergen.
Und das lag nicht nur an ihren zwei Bergen.

Ich kannte eine Dame aus Tretogor;
stets schickte sie ihre Magd mir vor.
Sie sollte mich testen,
war eine der Besten.
Drum blieb die Herrin stets außen vor.
Drum blieb die Herrin stets außen vor.

Eine Lady stolzierte durch Oxenfurt.
Jung war sie und von edler Geburt.
Sie schien ohne Tadel,
von ganz hohem Adel.
Und doch hat sie mit mir herumgehurt.
Und doch hat sie mit mir herumgehurt.

Letztes Jahr machte ich Rast in Ghelibol.
Eine Stadt, die mit hübschen Frauen voll.
Das Gesicht wurd' immer länger,
denn ich hatte einen Hänger.
Da half über die Runden mir nur der Alkohol.
Da half über die Runden mir nur der Alkohol.

Aus dem Umland des schönen Beauclair
kommen die herrlichsten Frauen oft her.
Sie werden rasch tätlich,
sind einfach unersättlich,
bis ich rufe: Ich kann jetzt nicht mehr!
bis ich rufe: Ich kann jetzt nicht mehr!

Einmal kam ich im Sommer nach Dorian,
dort machte sogleich eine Magd mich an.
Kaum war runter der Rock,
da kam schon der Schock:
An der Magd hing unten noch was dran!
An der Magd hing unten noch was dran ...“

Der ganze Saal tobte, als Rittersporn nach der letzten Strophe noch einige Akkorde spielte, um das Lied abzurunden. Beim letzten Akkord geschah es: Rittersporn verstärkte unmerklich die Spannung seiner Finger und brachte zwei Saiten der Laute zum Reißen. Ein Raunen ging durch die Menge, Geralt sprang entsetzt mit theatralischem Geschick auf und eilte zu seinem Freund, um ihm die Laute mit gespielter Empörung aus der Hand zu nehmen und den Schaden zu begutachten.
„Ich hatte es geahnt“, jammerte Geralt ganz in Rittersporns Art, „du und deine vermaledeiten Wurstfinger! Dir ist klar, dass ich die Saiten der Laute nicht einfach ersetzen kann, oder? Hätte ich sie dir doch nur nicht überlassen! Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als mich aus dem Turnier zurückzuziehen ...“ Er verbeugte sich mehrmals vor den Juroren und verließ bewegt mit eiligen Schritten den Saal.
Rittersporn sah ihm perplex nach und tauschte einen raschen Blick mit Ansgar aus, der ein Grinsen nicht unterdrücken konnte. Er bewegte die Lippen, ohne einen Ton zu sagen, doch Rittersporn verstand ihn auch ohne Worte: Gut gemacht!
Der Barde nickte ihm unbemerkt zu. Geralt war erst einmal vom Feld genommen und es blieb ihnen nur die Hoffnung, dass die Saboteure nicht noch ein Ass im Ärmel hatten, das sie auszuspielen gedachten.

(Dan)

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Witchers News, Jg. 4, Nr. 21 vom 01.02.2012, S. 29-35


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