|
Geschichten
Der Bardenwettstreit zu Carinthia
- zehnte Fortsetzung -
Cailin mochte es eigentlich, wenn Fiona ihn berührte, doch der feste Handgriff, mit dem sie ihn nun quer durch die Haupthalle des Roten Löwen in Richtung Küche zerrte, war für ihn doch zu viel des Guten. Er stieß einen unhörbaren Laut aus, der zugleich Missmut als auch Schmerz ausdrücken sollte, sich aber eher nach dem tonlosen Maunzen einer kleinen Katze anhörte. In solchen Momenten verfluchte er das Schicksal, das ihn seiner Stimme beraubt hatte.
Fiona hingegen bemerkte zunächst nichts von der Pein ihres Freundes, bis sie den Seiteneingang der Küche, der zu einem kleinen, aber geräumigen Vorratsraum führte, hinter sich gelassen hatte. Das Gesicht ihres Freundes war rot angelaufen und aus seinen Augen sprangen ihr kleine Blitze entgegen. Wütend entwand er sich ihrem Griff und betrachtete seine blutleere Handfläche, in die langsam wieder der Saft des Lebens zurückkehrte, während er sie ausgiebig massierte.
Erschrocken hielt sich Fiona eine Hand vor dem Mund, dann streichelte sie vorsichtig über den blonden Haarschopf ihres Gegenübers, eine versöhnliche Geste, die sich zwischen ihnen im Laufe der Zeit entwickelt hatte.
„Verzeih mir, Cailin“, flüsterte sie, um Verzeihung bittend, „ich wollte dir nicht wehtun, das musst du mir glauben! Es tut mir so Leid, aber du weißt doch, dass mein Vater sich immer so aufregt, wenn er dich sieht. Du hast Glück, dass er gerade mit den Barden beschäftigt ist und kaum Zeit hat, sich jeden einzelnen Gast anzusehen, der durch die Tür kommt. Was willst du überhaupt gerade heute hier?“
Cailin begann beredt unter Zuhilfenahme der Hände und seiner Mimik seiner Angebeteten zu erklären, warum er trotz der Gefahr, von Fionas Vater entdeckt zu werden, den Weg in den Roten Löwen gesucht hatte, allerdings so schnell, dass Fiona kaum hinterher kam und ihm schließlich in die Hände fallen musste.
„Nicht so schnell, mein Lieber! Ich komme ja gar nicht mehr mit. Habe ich dich jetzt richtig verstanden, dass du heute gekommen bist, weil du die Faden schwingen sehen willst…? Das ergibt doch überhaupt gar keinen Sinn…“
Cailin schüttelte verärgert den Kopf und ließ erneut seine Hände und Finger sprechen, diesmal allerdings in einer auch für seine Freundin verständlichen Geschwindigkeit. Diese schlug sich lachend an den Kopf.
„Ach, jetzt versteh ich! Du willst die Barden singen hören.“
Die Augen des jungen Mannes strahlten, als er eifrig nickte. Seit er denken konnte, waren die Musik und die anderen Künste aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Begeistert lauschte er den vorbeiziehenden Sängern, wenn sie in der Stadt Rast machten, um mit ihrem Spiel ein wenig Geld für Unterkunft und Verpflegung zu verdienen. Das gerade die Barden es ihm angetan hatten, ging auf einen speziellen Grund zurück. War doch sein Vater, den er selbst persönlich nie kennen gelernt hatte, auch ein Vertreter dieser Zunft gewesen. Von ihm hatte Cailin auch sein eigenes musikalisches Talent geerbt, denn schon von Kindesbeinen an bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, die mannigfaltigen Musikinstrumente spielen zu lernen. Ohne Mühe beherrschte er rasch jedes Instrument, welches ihm in die Hände fiel: Gekonnt zupfte er die Saiten der unterschiedlichsten Lauten, schlug er hingebungsvoll die Trommel und das Tamburin, immer im Takt der Lieder, die sich wie von selbst Note für Note in seinem Kopf zusammen zu setzen schienen. Wenn er zu den Liedern auch noch seine Stimme hätte erheben können, dann wäre er sicher wie sein Vater ein großer Barde geworden, der von innerer Unruhe getrieben durch die Lande zog, um sowohl Menschen als auch Anderlinge mit seiner Musik zu begeistern und seiner Stimme zu erfreuen.
Seine Mutter, die gestorben war, als er gerade sechs Jahre zählte, hatte seine Talente bereits früh erkannt und ihn mit ihren bescheidenen Mitteln gefördert, wo sie nur konnte. Nicht selten übernachteten die jungen herumziehenden Barden, die sich ihren Ruf erst noch erarbeiten mussten, in ihrem Hause für Kost und Logis, indem sie Cailin etwas von ihrem Können lehrten. Seine Mutter selbst sang ihm stundenlang die Lieder seines Vaters vor, bis sich schließlich jeder Ton, jede Nuance davon tief in sein Herz eingebettet hatte und dort nur darauf wartete, eines Tages wieder hervor kommen zu dürfen. Leider würde er diesen Tag nie erleben, solange seine Lippen stumm blieben. Er fühlte sich deshalb manchmal wie ein nutzloses Musikinstrument, bei dem die Saiten fehlten oder wie ein unvollendetes Lied, das nie jemand singen würde. Cailin seufzte innerlich, während er nach außen hin seine Freundin anstrahlte.
„Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, Cailin“, bedenklich schüttelte sie den Kopf, lenkte aber rasch ein, als sie Cailins enttäuschten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ist ja schon gut! Ich werde mal schauen, ob die Luft rein und du hier einigermaßen sicher bist.“
Cailin nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Fiona kicherte überrascht und errötete, entzog ihm allerdings nicht ihre Hand, bis er sie schließlich selbst freigab. Mit beschwingtem Gang ließ sie ihn zurück. Er sah sich um, nahm einen Stuhl und stellte ihn direkt vor die Tür, welche ihn von dem großen Saal trennte, in dem der Wettstreit bald beginnen würde. Vorsichtig lehnte er sein Ohr gegen die nicht allzu dicke Tür und lauschte den Einführungsworten der Jury, als wie aus dem Nichts Fiona wieder auftauchte und Cailin einen gehörigen Schrecken einjagte. Theatralisch griff er sich an die Brust und imitierte mit der flachen Hand ein wild flatterndes Herz.
„Verzeih mir auch dieses Mal“, flüsterte sie liebevoll, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn so sanft und süß, dass ihm fast die Sinne schwanden.
„Ich bringe gute Nachrichten. Vater hat sich in seine Kammer zurück gezogen und Ranold und meiner Wenigkeit die Verantwortung übertragen. Du hast also nichts zu befürchten, ganz im Gegenteil. Wenn du möchtest, kannst du sogar in die Hauptküche gehen und von dort auch noch einen Blick auf die Meute erhaschen.“
Cailin sprang erfreut auf und packte Fiona an den Hüften, um sie durch die Luft zu wirbeln. Der enge Raum erlaubte allerdings nicht mehr als eine halbe Drehung, die in einer festen Umarmung gipfelte. Er war auch so zufrieden. Lachend befreite sie sich aus seinen starken Armen, in denen sie durchaus noch gern ein wenig verweilt hätte.
„Eine Bedingung hab ich allerdings, mein Lieber: Sieh zu, dass du Ranold und mir nicht im Weg stehst. Es wird schon schwierig genug werden, die ganzen Männer da draußen einigermaßen in Schach zu halten, da muss ich nicht noch in der Küche ständig über dich stolpern. Verstanden?“ Cailin nickte. „Gut, dass wir uns einig sind. Am Besten setzt du dich neben die offene Tür. So kannst du stets einen Blick auf denjenigen erhaschen, der gerade sein Lied vorträgt, ohne selbst gesehen zu werden.“
So wurde es getan. Cailin hatte sich kaum auf seinem Platz gesetzt, als auch schon Geralt von Riva aufstand, um die Runde mit einigen selbst vorgetragenen Versen zu erheitern. Lautlos lachend und mit Tränen der Belustigung lauschte er dem Lied, das der Hexer zum Besten gab, bis ihm am Ende seiner Vorstellung die Saiten barsten; ein Umstand, der den jungen Mann nachdenklich stimmte, denn bislang hatte Geralt das Instrument seines Freundes Rittersporn vortrefflich gespielt, auch wenn es den Anschein hatte, als würde er absichtlich einige Noten falsch spielen. Warum aber sollte er dies tun? Cailin verstand Rittersporns Entrüstung über das beschädigte Instrument nur zu gut, doch sein unmittelbar folgender Abgang wirkte in seinen Augen etwas aufgesetzt. Es blieb ihm allerdings nicht viel Zeit, um über diesen Umstand länger nachzudenken, da schon der nächste Barde, ein junger Kerl mit roter Mähne und gesprenkeltem Gesicht, vortrat, um sein Lied zum Besten zu geben. Gespannt lauschte er den ersten Akkorden und ließ sich dabei auch nicht von Fiona stören, die mit einem Tablett leerer Krüge durch die Tür huschte und seinen Kopf dabei nur knapp verfehlte. Er würde besser aufpassen müssen. Nun lehnte er sich zurück, schloss die Augen und ließ sich ganz und gar von der Musik gefangen nehmen.
„Alsdann, im fahlen Morgenlicht ..."
der edle Dichter zu uns spricht.
Auf einem Fels wie einem Thron
sitzt der Meisterbarde Dandelion.
Das Publikum, es lauscht gespannt
wie er die Mär in Verse bannt.
Die Laute hält er und dann singt
von Leid, das nur die Liebe bringt:
"Alsdann, im fahlen Morgenlicht,
die Sonn' die kalte Nacht durchbricht
sieht man, derweil die Erd' sanft schweigt,
einen Zwerg, zu Übermut er neigt.
Er lacht, frohlockt und ist gar toll,
ihm läuft das Herz so übervoll,
da, was es auch bei Zwergen gibt,
er deutlich spürt: Ich bin verliebt!
… Das Lied handelte von der Liebe eines Zwerges zu einer schönen Elfin, die sich ihm voller Lust hingibt, aber nur mit seinem Herzen spielt, da sie seine Gefühle nicht erwidert.
Die Blumen ruhen jetzt in der Gosse,
vorbei ist nun die schändlich' Posse,
zum Narren hat sie ihn gemacht,
was ihn um den Verstand gebracht.
So sitzt er in der dunklen Ecke
schärft sein Messer zu dem Zwecke,
dass er sich, gänzlich ohne Paus',
damit das Herz schneide heraus.
Die Arbeit ist dann rasch getan,
noch einmal fällt ihn Trauer an,
derweil in seiner blutigen Hand,
das Verräterherz die Ruhe fand.
Auch die Elfe zahlt zuletzt den Preis
für ihren Betrug, wie sie nun weiß;
mit einem bitter-süßen Schmerz
trifft des Verlobten Schwert ihr Herz.
So hauchen fast auf die Sekunde
beide aus in dieser Stunde
ihr Leben, das nur kurz vereint,
und um das nun keiner weint…“
Der letzte Ton, ein sanft Akkord,
trägt Trauer bis zum See hinfort.
Es ist ganz still, kein Wort im Wald
- bis tobender Applaus erschallt!
Die Menge jubelt und umringt
den Dichter, der vom Felsen springt.
"Er lebe hoch!", ein jeder meint,
"Nie hab ich im Leben so geweint." Auch in Cailins Augen sammelten sich die Tränen, welche sich allmählich ihren Weg über seine schmalen Wangen bahnten und schließlich an seinem Kinn wieder vereinten. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht.
„Wahrlich, eine schöne Ballade. Nur schade, dass der Rotschopf sie nicht selbst geschrieben hat.“
Cailins Kopf ruckte herum. Hinter ihm stand der Barde Rittersporn und deutete eine leichte Verbeugung an.
„In Wahrheit hat kein anderer diese Ballade geschrieben als meine Wenigkeit. Frag ruhig Geralt, der war dabei, als ich mich über Versmaß und Inhalt den Kopf zerbrach. Für die deftigen und etwas delikaten Stellen im Lied ist er sogar verantwortlich. Du glaubst gar nicht, was er einem alles von seinen amourösen Abenteuern erzählt, wenn er erst ein paar Krüge Bockbier zu viel hatte. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben mit seinen Liebschaften. Unter Pseudonym, versteht sich.“
Der Junge runzelte die Stirn und stellte Rittersporn mit seinen Händen eine Frage, die der zu seiner Überraschung sofort verstand.
„Warum ich nichts dagegen habe, dass der Rotschopf mein Lied singt? Nun, in den Statuten ist nirgends vermerkt, dass man nur eigenes Liedgut verwenden darf. Außerdem, schau ihn dir doch an: Er ist jung, unerfahren und seine Hände zittern noch vor Aufregung. Er muss sich seinen Rang unter den Barden erst noch erkämpfen. Mit eigenen Kompositionen und mehr Selbstvertrauen. Auch ich habe mein Repertoire zunächst aus dem Kanon anderer berühmter Barden geschöpft. Ganz unter uns“, ein breites Grinsen erschien auf des Barden Gesicht, „der gute Rittersporn war zu Beginn seiner Karriere auch nicht besser als der da!“
Munter stellten Cailins Hände die nächste Frage.
„Aha, war es so auffällig? Ich muss zugeben, selbst ich fand meinen Abgang etwas zu theatralisch, doch es war die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass ich singen muss. Ich verrate dir ein Geheimnis, junger Cailin, da ich weiß, dass du es niemandem sagen wirst: Ich bin gar nicht der Barde Rittersporn, sondern der Hexer Geralt!“
Cailin stutzte und starrte den Barden an, der ihm verschmitzt zuzwinkerte, bevor er mit einer großen silbernen Servierplatte in den Vorratsraum verschwand, wo er ihn lauthals hantieren hörte. Was sollte das gerade? Hatte ihn der Barde an der Nase herumführen wollen? Bestimmt hatte sich Meister Rittersporn nur einen kleinen Scherz mit ihm erlaubt, denn er konnte unmöglich der Hexer Geralt sein, denn dieser saß doch unübersehbar am Richtertisch und lauschte angestrengt den Vorträgen der unzähligen Barden.
Schließlich tauchte Rittersporn wieder auf, mit beiden Händen ein voll beladenes Tablett balancierend. Ein riesiges Stück Fleisch vom Schwein, eine ganze Hammelkeule, diverse Tiegel mit aromatischen Soßen, unzählige in Fett gebackene Kartoffeln, etwas Schmalzgebäck und einige Früchte der Saison thronten darauf. Cailins Augen weiteten sich und er konnte nicht anders, als dem Barden diese Frage zu stellen.
„Nein, ich verstecke keine Privatarmee in unserer Kammer! Das ist alles für mich, ein kleiner Imbiss, du verstehst?“ Der Barde sah den zweifelnden Blick des Blondschopfes und folgte der Richtung, den dieser nahm. „Nun hör Mal, junger Freund, was starrst du mir so auf den Arsch? Der ist knackig, wie es sich gehört. Ich habe nun mal einen, äh, unglaublichen Stoffwechsel, wie ein Kolibri! Was kann ich dafür, dass du nicht weißt, was ein Kolibri ist? Komm, nimm den und gib Ruhe. Für einen Stummen bist du äußerst geschwätzig, finde ich.“
Cailin fing den Apfel, den ihm Rittersporen mit einer schlenkernden Handbewegung zuwarf, ohne den Inhalt des Tabletts dabei auch nur ins Wanken zu bringen. Er grinste und biss in die süße Frucht, deutete nun seinerseits eine leichte Verbeugung an, die von dem Barden nur mit einem Schnaufen quittiert wurde, das allerdings mehr amüsiert als verärgert klang, dann wandte er sich wieder dem Geschehen in der großen Halle zu. Er hatte durch die Unterhaltung mit Meister Rittersporn einige Lieder verpasst, doch das war zu verschmerzen, denn die wahren großen Barden hatten ihren Auftritt erst noch vor sich. Cailin bemerkte nicht die Gestalt, die sich aus dem Schatten am anderen Ende des Raumes heraus schälte, kaum das Rittersporn die Küche verlassen hatte und die nun langsam näher kam, unbemerkt und mit ungewissen Absichten.
(Dan)
Witchers News, Jg. 4, Nr. 22 vom 01.04.2012, S. 56-60
|
|