|
Geschichten
Der Bardenwettstreit zu Carinthia
- elfte Fortsetzung -
Die Lieder, die nun in der großen Halle gesungen wurden, ähnelten sich alle auf gewisse Weise. Es gab darunter keines, das nicht frohen Mutes jenen zotigen und leicht schlüpfrigen Grundton übernahm, mit dem Rittersporn, in Geralts Gestalt, den bunten Reigen der fröhlichen Lieder eröffnet hatte. Natürlich wurden auch sanfte und einige schwermütige Balladen gesungen, die jedoch die Stimmung im Saal nur allzu schnell zu trüben begannen, sodass lauthals nach munteren Weisen und frischem Bier verlangt wurde; eine Aufforderung, der sowohl Fiona als auch ihr Bruder nur allzu gerne nachkamen. Ranold war es schließlich auch gewesen, der die grandiose Idee gehabt hatte, zwei oder drei Fässchen Bier in den Saal zu rollen, statt sich bei jeder neuen Runde in die Küche oder gar den Keller begeben zu müssen, um die stets ausgedörrten Kehlen der versammelten Barden ausreichend befeuchten zu können. Fiona war das nur Recht. Es hatte zudem noch den Vorteil, dass ihr Cailin vollkommen ungestört in der Küche verweilen konnte, ohne von der Musik abgelenkt zu werden, weil sie etwas besorgen musste. Ab und an verlangte einer der Gäste nach einem Kanten Brot oder etwas Käse (einige sogar nach geröstetem Schweinebauch, den sie nicht hatten), doch dies kam nur selten vor, sodass Fiona ihre Besuche der Küche in letzter Zeit leicht an einer Hand abzählen konnte.
„Ihr seid doch alle Schweine“, murmelte Fiona verbissen in ihren nicht vorhandenen Bart, während sie ein Tablett mit frisch gezapftem Bier mit ihrer rechten Hand balancierte, mit der linken die begehrlichen Pfoten der Barden abwehrte und dabei noch lächelte und strahlte, als sei sie nicht bei der Arbeit, sondern bei einem Picknick mit Freunden. Wenn sie könnte, wie ihr manchmal innerlich zumute war, so würde so mancher Krug am Kopfe eines dieser unverschämten Lüstlinge zerbrechen. Zum Glück war ihr Cailin in dieser Hinsicht ein ganz anderes Kaliber. Sanft, freundlich, zwar von Natur aus recht schweigsam, doch welche Frau wünschte sich nicht einen Mann, der zuhören konnte? Zumindest widersprach er ihr nicht, wenn auch nicht mit Worten, aber zur Not konnte sie ja einfach die Augen schließen, wenn das Gefuchtel seiner äußerst beredten Hände ihr wieder einmal zu viel wurde.
Ohne Zweifel, mit Cailin hatte sie einen guten Fang getan, von dem sie nur noch ihren Vater überzeugen musste, der aus einem ihr unbekannten Grund vehement eine tiefe Abneigung gegen Cailin an den Tag legte. Mehr als einmal hatte sie versucht, dieses Geheimnis zu ergründen, doch ihre mit Vorsicht gestarteten Vorstöße waren stets an einer eisigen Mauer des Schweigens und der Ablehnung zum Erliegen gekommen. Sei´s drum. Eines Tages würde ihm nichts anderes mehr übrig bleiben, als ihr die Wahrheit zu sagen, wenn er es nicht riskieren wollte, dass sie und Cailin - als allerletzten Ausweg - gemeinsam die verfluchte Stadt verließen und in Wyzima zusammen ein neues Leben begannen. Dort lebte eine ihrer liebsten Tanten, die ihnen sicherlich die erste Zeit aushelfen würde, bis sie auf eigenen Beinen stehen konnten, denn ihr Hang zur Romantik und ihre Vorliebe für seichte Liebespoesie war in der ganzen Familie bekannt. Und gefürchtet.
„Heda! Weg mit der Pfote! Dieser Hintern ist schon einem anderen versprochen!“, knurrte sie und ließ einen leeren Krug auf die vorwitzige Hand des Barden niedersausen, der es gewagt hatte, nicht nur ihren Po zu berühren, sondern auch ganz ungeniert seine Finger unter ihr Kleid wandern zu lassen. Mit Genugtuung hörte sie seinen leisen Aufschrei des Schmerzes und das Geräusch von gebrochenen Knochen.
Selbst schuld, dachte sie grimmig, das wird dich lehren, deine Hände bei dir zu behalten! Rasch schlüpfte sie zwischen zwei weiteren Barden hindurch, denen das Schicksal ihres Minnebruders nicht verborgen geblieben war und deren, ebenfalls nicht gerade keuschen Hände, nun rasch in den eigenen Schoß wanderten, während sie sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrten und putzige Maulaffen feil boten.
„So ist´s recht. Vielen Dank, die Herren!“, sprach sie laut und setzte ihr gewinnendstes Lächeln zur Schau, als wäre rein gar nichts geschehen.
Cailin war so in die Musik und den Gesang der Männer versunken, dass er jene Gestalt, die sich aus dem Schatten am anderen Ende des Raumes herausgeschält hatte, erst bemerkte, als sich die dürren Finger bereits in seine Schulter gebohrt hatten. Zum zweiten Mal an diesem Tag flatterte ihm das Herz bis an den Hals, doch diesmal zitterten seine Hände viel zu sehr, um seinem Gefühl Ausdruck verleihen zu können. Er zuckte zurück, fiel unsanft vom Stuhl zu Boden und hätte gleich darauf mit einem markerschütternden Schrei, sofern er dazu in der Lage gewesen wäre, sicherlich den Wettbewerb im Saal sofort zum Erliegen gebracht.
Cailin spürte, dass diesmal nicht viel gefehlt hatte, um ihn im nächsten Augenblick vor das Angesicht seiner Ahnen treten zu lassen. Zum Glück war es, den Göttern sei Dank, nicht soweit gekommen. Die Hand schützend vor sein Gesicht haltend, blickte er zitternd auf, um einen Blick auf die Person zu erhaschen, die ihn fast ins frühe Grab gebracht hätte.
Die alte Grid Mole!
Mit einem bedauernden Ausdruck in ihrem faltigen Gesicht beugte sie sich zu ihm hinab, was ihr aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters sicher nicht leicht fiel, und reckte ihm entschuldigend ihre runzlige und mit Altersflecken überzogene Hand entgegen. Nach kurzem Zögern griff er danach und ließ sich bereitwillig von der alten Krämerin aufhelfen. Ihr Griff war fest und stark, was den Jungen wunderte. Auch fühlte sich ihre Haut beileibe nicht faltig an. Ganz im Gegenteil. Wenn er die Augen schloss, dann konnte er sich durchaus der Illusion hingeben, es wäre die zarte Hand Fionas, die ihn umfasste, und nicht die schwielige und ungepflegte Pranke von der alten Vettel.
„Du musst mir runzligen, dummen Frau verzeihen“, flüsterte sie heiser und entblößte bei ihrer Version eines Lächeln eine Doppelreihe schwarzer Zahnstumpen, die so widerlich anzusehen waren, das Cailin kurz davor stand, sein nicht gerade üppiges Frühstück mit Freuden wieder von sich zu geben. Da die alte Grid nicht viel von Zahnpflege zu halten schien, stank ihr Atem dementsprechend. Dies war der erste Moment in seinem Leben, wo er die Besinnungslosigkeit einem weiterem Schwall Luft aus Grids Maul vorgezogen hätte. Selbst tot zu sein, wäre wohl eine mögliche Erlösung gewesen.
Ein Kribbeln zog sich durch seinen Körper, das irgendwo in seinen Zehen begann und langsam seine Extremitäten empor kroch, das Rückgrat kitzelte und schließlich in seinen Haarspitzen ankam, wo das Kribbeln mit einer kleinen, Blitzen nicht unähnlichen Entladung endete. Danach war alles anders. Zum ersten Mal vermochte er hinter die Miene der alten Frau zu sehen und erkannte, dass diese nur Lug und Trug war. Wo er zuvor noch verfaulende Stumpen erblicken konnte, sah er nun zwei Reihen der schönsten Zähne, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatten die Farbe von funkelnden Perlen. Auch ihr Mund war nun ein anderer. Voll und sinnlich, voll süßem Atem, schwebte er nur eine Spanne von seinem eigenen entfernt, zum Küssen nah, während ein belustigter, aber nicht unfreundlicher Blick aus smaragdgrünen Augen auf ihm ruhte, der aber im nächsten Moment einer Art Verwunderung Platz machen musste, die schließlich in überraschtes Staunen überging.
„Du kannst mich sehen!“ Eine Feststellung, keine Frage. „Du siehst tatsächlich, was wirklich ist und lässt dich nicht von dem Schein täuschen, den ich so gründlich gewoben habe.“
Cailins Hände formten eine Frage, doch Grid Mole schüttelte nur entschieden den Kopf, wobei sich aus ihrer Haube einige Locken mit kupfern schimmernden Haar in der Farbe frischer Kastanien lösten.
„Nein, Cailin, lass deine Hände ruhen. Nun, da du die Wahrheit erkannt hast, brauchst du deine Hände nicht mehr, um mit mir zu sprechen. Denke deine Frage und ich werde dir antworten, sofern es in meinem Interesse liegt!“
Wer bist du?
„Du kommst gleich zum Punkt, nicht wahr, mein Junge?“, sie lächelte erfrischend. „Leider kann ich dir diese Frage nicht beantworten. Nicht zu diesem Zeitpunkt! Was ich dir allerdings verraten kann ist, dass ich nicht Grid Mole bin, es nie war. Ich bin eine Zauberin, wie du dir sicherlich schon gedacht hast.“ Cailin nickte zustimmend. „Ach Cailin, so jung und schön. Du hast die Augen deines Vaters, wusstest du das?“
Cailin schnappte nach Luft und riss die soeben angesprochenen Augen weit auf:
Du kanntest meinen Vater? Woher? Wie war er? Was ist mit ihm geschehen?
„Nicht so viele Fragen auf einmal, Junge! Mein Kopf dröhnt ja schon wie die Glocken von Wyzima! Eins nach dem anderen. Natürlich kannte ich deinen Vater. Sehr gut sogar. Du hast nicht nur seine Augen von ihm“, sanft strich ihre Hand durch Cailins Haar, der kurz zurückzuckte, dann aber doch geschehen ließ, was er selbst Fiona untersagt hatte: vorsichtig legten die Hände der Zauberin seine Ohren frei, die beide mit sanftem Schwung in einer Spitze endeten. „Verleugne nicht das Erbe deiner Vorväter, Cailin. Es ist keine Schande, anders zu sein, vor allem nicht, wenn die Herkunft so edel ist wie in deinem Fall. Hat dir deine Mutter nichts über Leolas erzählt? Nein, deiner offenen Miene zufolge nicht. So höre, Cailin, Sohn des Leolas, dass dein Vater der Sohn eines Königs der Elfen war; zwar nur der dritte in der Reihe der Thronfolger, aber immerhin. Während seine beiden Brüder stets danach trachteten, ihrem Vater zu beweisen, wer von beiden geeigneter war, ihm auf dem Thron zu folgen, interessierte sich dein Vater immer nur für die schönen Dinge des Lebens: für Poesie, Musik und die Minne. Er würdigte Schwert und Rüstung keines Blickes, sondern lernte stattdessen die Laute, übte seine Stimme und schrieb wunderschöne Lieder, von denen du sicherlich einige kennst.“
Cailin nickte. Er konnte es nicht fassen. Er sollte von edlem Geblüt sein, der Sohn eines Prinzen? Und seine Ohren, die er stets für eine Missbildung der Natur gehalten und die seine Mutter ihn stets verbergen geheißen hatte, bewiesen dies? Er war ein Elf? Tausende Fragen schwirrten gleichzeitig durch seinen Kopf, fast hielt es ihn nicht mehr auf seinem Stuhl, doch die Zauberin legte ihm sanft ihre Hände auf die Schultern und beruhigte ihn damit zusehends.
„Ich weiß, du hast viele, so viele Fragen, aber lass mich zunächst zu Ende erzählen, dann klärt sich so einiges von selbst. Ja du bist nicht nur ein Elf, du bist der Sohn eines Prinzen und damit selbst einer, selbst wenn auch einiges an menschlichem Blut durch deine Adern fließt. Du vereinst das Beste beider Welten in dir und auch das Schlechteste. Nur du entscheidest, was sich Bahn brechen wird, und wenn ich mir dich so anschaue, dann hast du deine Wahl schon vor langer Zeit getroffen.“ Noch einmal strich sie über sein Haar, recht zärtlich, wie es schien, dann fuhr sie fort: „Ich lernte deinen Vater zu einer Zeit kennen, als er das Schloss seiner Ahnen bereits seit Jahren verlassen hatte, um in die Welt hinauszuziehen und sich ganz der Musik zu verschreiben. Er hatte der Krone, die ohnehin nie sein Haupt schmücken würde, den Rücken gekehrt und war auf seiner Reise schließlich hier in Carinthia gelandet, wo ich ihn das erste Mal traf und mich sogleich in ihn verliebte. Wie das grausame Schicksal es jedoch fügte, so empfand er für mich nicht mehr als freundschaftliche Gefühle, während sein Herz an eine junge Frau verloren war, die ...“
Meine Mutter! Ein Schauer überkam ihn.
„Ja, du Naseweis, deine Mutter! Und nun unterbrich mich nicht, oder möchtest du die Geschichte nicht zu Ende hören? Dachte ich es mir doch. Nun gut, er liebte deine Mutter, war ganz vernarrt in sie, so wie sie auch in ihn. Doch ihr Vater war gegen eine Beziehung, vor allem, da sich noch ein anderer für sie interessierte. Dann wurde deine Mutter jedoch schwanger und es war abzusehen, wer der Vater des Kindes sein würde. Bevor die Stadt von der Schande, die seine Tochter über ihn gebracht hatte, erfahren würde, sorgte ihr Vater dafür, dass Leolas die Stadt verlassen musste und seine Tochter ihr Kind, also dich, in der Fremde bekam und nie mehr nach Carinthia zurückkehren sollte. Ich muss zugeben, dass ich daran nicht ganz unbeteiligt war. Ich neidete den beiden ihr Glück und sprach einen Zauber über deinen Vater, dass sein Talent, seine Stimme ihm und seinen Nachkommen nur Unglück bringen sollte. Und so geschah es.“
Bedeutet das etwa, dass es an dir liegt, dass ich ...
Die Zauberin nickte langsam und Cailin sah ihren Augen an, dass sie wohl mehr als einmal ihre Entscheidung bereut hatte.
„Ja, Cailin, es ist meine Schuld, dass du nicht sprechen und somit auch nicht singen kannst.“
Der Junge ballte die Fäuste, entspannte sich aber schon kurz darauf wieder. Welchen Zweck sollte es auch haben, wütend auf die Zauberin zu sein? Man konnte ja doch nichts ändern.
„Wer behauptet, dass man daran nichts ändern kann? Ein Zauber wurde gesprochen, ein Zauber kann auch wieder gebrochen werden!“
Cailins Kopf flog empor, sein Blick voller Hoffnung und Zweifel zugleich.
Die Zauberin wehrte mit beiden Händen ab.
„Gemach, gemach, Prinz, so einfach ist es nicht. Leider hat sich der Zauber von damals mit einem anderen verwoben, der ebenfalls hier in der Stadt ausgesprochen wurde. Wiederum von mir, wie ich zu meinem Leidwesen zugeben muss. Sie können nur zusammen aufgehoben werden. Doch ich glaube, in diesem Fall ist der eine Zauber die Lösung für den anderen. Ich habe dir übrigens etwas mitgebracht!“
Er beobachtete, wie die alte Grid zurück in die Schatten huschte und nach kurzer Zeit mit einem großen Bündel zurückkam.
„Nimm dies, es gehört von Rechts wegen dir! Du wirst es brauchen können ...“
Cailin nahm das Bündel an und öffnete es. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm den Atem. So etwas schönes hatte er noch nie gesehen.
Das soll alles wirklich mein sein?, fragte er in Gedanken und presste das Bündel fest an seine Brust, als habe er Angst davor, man könne es wieder von ihm fort nehmen.
„Ja, es ist alles dein. Einst gehörte alles darin deinem Vater und er hätte es sicherlich gut geheißen, dass sein Sohn diese Dinge erhält. Du bist schließlich sein einziger Erbe.“
Mein Vater ist tot ... ein nie erlebtes tiefes Gefühl der Trauer ergriff ihn, obwohl er in seinem Inneren schon lange gewusst hatte, dass dem so war und gar nicht anders sein konnte. Die Gewissheit nun traf ihn wie ein Schlag vor der Brust. Er rang nach Luft, um sie dann in einem langen Seufzer wieder von sich zu geben. Er weinte nicht. Er würde damit warten, bis er später allein war, denn diese Art der Trauer wollte er mit niemandem teilen, noch nicht einmal mit Fiona. Dieses Gefühl gehörte nur ihm.
Die Zauberin nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest an sich, bis der Geruch nach altem Schweiß und Mottenkugeln, der ihrer Kleidung anhaftete und zu seinem Bedauern nicht auf Zauberei beruhte, ihn fast die Sinne schwinden ließ. Gerade noch rechtzeitig entließ sie ihn aus ihrer Umarmung. Ein Kribbeln, ähnlich dem von vorhin, erfasste ihn.
„Nun wird es aber Zeit, dass wir dich für den letzten Akt präparieren, mein Junge!“
„Der letzte Akt? Was meinst du damit?“
„Sieh an, er hat schon begonnen“, lächelte die Zauberin und ließ in Gedanken die lange verschlossenen Erinnerungen an Leolas ihren Lauf. Sein Sohn sah nicht nur haargenau so aus wie sein Vater, sondern verfügte auch noch über seine wundervolle Stimme, die noch einen Augenblick glockenhell in der Weite der Küche nachhallte, bis auch ihr Klang nur noch eine verblassende Erinnerung war.
Hätte Triss Merigold in diesem Moment einen Handspiegel zur Hand gehabt, so hätte sie sich wahrscheinlich über die Tränen gewundert, die sich klammheimlich in die Winkel ihrer Augen gestohlen hatten.
(Dan)
Witchers News, Jg. 4, Nr. 23 vom 01.06.2012, S. 26-30
|
|