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Der Kampf war bereits vorbei, bevor er eigentlich begonnen hatte. Sein Gegner hatte drei entscheidende Fehler begangen, die unweigerlich dazu führen mussten, dass er letztendlich mehr als nur den Kampf verlor:
Der erste Fehler war gewesen, ihm einen Auftrag mit hoher Entlohnung in Aussicht zu stellen, der sogleich das Misstrauen des Hexers weckte, hatte er einen ganz ähnlichen, um nicht zu sagen genau denselben schon einmal von dem Stadtschreiber im Rathaus von Wyzima erhalten und letztlich zu dessen vollster Zufriedenheit auch erfüllt. Hätte sein Widersacher nur ein wenig besser recherchiert, so wäre ihm schon bald zu Ohren gekommen, dass es in den Abwasserkanälen von Wyzima keine Gorgo mehr gab. Die letzte dort hatte Geralt von Riva mitsamt ihrem Nest vernichtet, sodass es ihm nicht schwer fiel, die Falle, die ihm sein Widersacher aus noch unbekannten Gründen stellen wollte, schon Meilen im Voraus zu erkennen.
Fehler Nummer Zwei bestand darin, ihm diesen Hinterhalt ausgerechnet an dem Ort legen zu wollen, wo sich Geralt besser auskannte als jeder andere in der Stadt. Mehr als einmal war er damals, als die hochwohlgeborene Striege Adda mitsamt den Salamandra ihren Vater zu stürzen versuchte, dort ein- und ausgegangen, hatte jeden Winkel der stinkenden und von Ertrunkenen nur so wimmelnden Gänge und Ecken durchstreift und erforscht. Geralt bezweifelte stark, dass sein Auftraggeber dasselbe auch von sich behaupten konnte.
Der dritte Fehler jedoch, und das war bei weitem der entscheidende aus der Sicht des Hexers, beging sein Gegner, indem er ihn in der Nähe des ehemaligen Nestes der Gorgo, eine Ironie des Schicksals, die seinem Gegenüber wahrscheinlich nicht einmal bewusst war, aufzulauern und mit lautem Gebrüll auf ihn zuzustürmen, statt sich im Dunkeln an ihn heranzuschleichen und aus den Schatten heraus zu attackieren.
Der Hexer lächelte verächtlich, zog sein Schwert und spießte ohne große Mühe den Mann, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, damit auf. Schmatzend bahnte sich der Stahl durch die Brust des Mannes, dessen weit aufgerissene Augen mit einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit auf das emotionslos wirkende Gesicht des weißhaarigen Hexers starrten. Sein Schwert, mehr ein dünnes Florett, mit dem man noch nicht einmal ordentlich Fleisch schneiden konnte, geschweige denn einen Kerl wie den Hexer bezwingen, fiel klirrend aus der kraftlosen Hand auf den schmalen Sims, der parallel zu den übel riechenden Abwässern verlief. Geralt bohrte sein Schwert so tief in den Körper des Mannes hinein, bis die blutige Spitze am Rücken wieder austrat. Sein Gesicht war dem seines Gegners so nahe, dass es für einen unbeteiligten Beobachter aus der Ferne so aussehen konnte, als schicke er sich an, dem Mann einen Kuss zukommen zu lassen. Einen Kuss, der den Tod brachte.
„In wessen Auftrag bist du hier? Sprich, solange das Leben in dir noch pulsiert!“, knurrte der Hexer ungehalten. „Sobald ich mein Schwert auch nur ein Stück drehe, zerfetzt es deine inneren Organe und du wirst dein Leben aushauchen, das ist gewiss. Also, sprich, solange du noch kannst und vielleicht lasse ich dann Gnade walten!“
Sein Gegenüber, ein Mann von seiner Größe, mit dunklem Haar und einem markanten, aber bartlosen Gesicht, schwieg. Zu tief saß der Schock, um eine Antwort geben zu können und als die angsterfüllte Starre endlich von ihm abzufallen begann, beging er seinen letzten Fehler. Anstatt endlich das Maul aufzureißen und dem Hexer Rede und Antwort zu stehen, versuchte er doch tatsächlich, dem Schwert zu entkommen, das mittig in seiner Brust stak, nur knapp neben seiner Lunge, dem Herzen und den anderen Organen, denn der Hexer war ein Meister seines Faches. Nur gegen Dummheit konnte er nichts ausrichten, und dumm verhielt sich sein Gegner eindeutig, als er sich nun seitwärts bewegte, der Drohung des Hexers trotzend. Vielleicht wollte er auch nur seiner misslichen Lage ein rasches Ende setzen, um nicht dazu gezwungen werden zu können, seinen Hintermann zu verraten. Geralt würde es nie erfahren, denn nur wenige Augenblicke später führte sein Schwert ohne sein weiteres Zutun aus, wozu es geschaffen wurde: es brachte den Tod.
Irrte sich Geralt oder erschien auf dem bartlosen Gesicht des Mannes im Todeskampf, während das Blut aus seinem Mund in Schüben hervorquoll, tatsächlich ein überlegenes Lächeln? Die Augen brachen, das Lächeln erlosch und unbefriedigt ließ der Hexer den Leichnam von seinem Schwert in die unterirdische Gosse rutschen. Es würde nicht lange dauern, bis die ersten Ertrunkenen sich über den armen Kerl hermachen würden, verirrte sich doch zu ihrem Leidwesen, sofern sie dazu fähig waren, doch nur noch selten ein solch leckerer Happen in ihre Behausung. Schon konnte Geralt das Scharren und Schlurfen der widerlichen Kreaturen hören, das gierige Schnaufen und das hungrige Schnappen ihrer spitzzähnigen Mäuler, von denen sicherlich schon der Sabber in Strömen lief. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, um dem Toten doch noch einige Informationen zu entlocken, die er ihm zu Lebzeiten freiwillig nicht geben wollte. Rasch durchforstete er seine Taschen, fand jedoch nicht mehr als einige angelaufene Münzen, einen abgenutzten Schlüssel und eine dünne Schnur zwischen zwei kunstvoll geschnitzten Holzgriffen, deren Verwendungszweck nur allzu offensichtlich war.
„Hättest mich besser mit der Garrotte angegangen, statt mich in meiner eigenen Disziplin schlagen zu wollen“, spuckte der Hexer verächtlich aus und gab der Leiche einen Tritt, die sie auf die Seite rollen ließ. Etwas Weißes Blitzte auf. Offensichtlich steckte es zwischen zwei Lagen des dicken Stoffes, aus dem das Wams des Mannes bestand und das nur deshalb zum Vorschein gekommen war, weil sein Schwert eben jene beiden Lagen durchtrennt hatte. Etwas Blut klebte daran, doch das focht den Hexer nicht an. Es war ein Brief, adressiert an einen bekannten Auftragsmörder, dessen Spitzname, wie konnte es auch anders sein, Garrotte lautete.
„Interessant“, murmelte der Hexer, während er die Zeilen überflog. Interessant genug, um mal einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie er fand. Anscheinend war er auf der Agenda des Mörders nur eine Zwischenstation gewesen, denn dieses Schreiben offenbarte ihm einen Auftrag größeren Ausmaßes, bei dem Geralt nicht anders konnte, als sich persönlich der Sache anzunehmen.
Etwas Abwechslung täte mir mal gut zu Gesicht stehen, dachte der Hexer und blickte an sich herab. Es gab nur ein Problem. So wie er war, konnte er sich dort, wohin ihn dieser Brief führen würde, nicht sehen lassen. Er brauchte Hilfe und zum Glück wusste er auch schon, wo er diese finden würde. Sorgfältig wischte er das Blut von dem Stahlschwert, bevor es seinen angestammten Platz wieder einnahm und machte sich auf den Weg zum nächsten Ausstieg aus der Kanalisation. Geralt sah nicht zurück, als er die ersten Ertrunkenen hörte, die sich über den Leichnam von Garrotte hermachten, ihn lautstark in Stücke rissen, um ihn anschließend mit Haut und Haar und allem übrigen zu verschlingen. Der Hexer wusste, dass sie ihn in Ruhe lassen würden. Zum einen waren sie zu beschäftigt mit ihrem unerwarteten Mahl und zum anderen war ihr Respekt und ihre Furcht vor dem Zwei-Klingen-Mann größer, als ihre Gier nach Fleisch. So endete die Geschichte von Garrotte, dem gefürchtetsten Mörder von Wyzima und den Nördlichen Königreichen. Eine alte Weisheit besagt jedoch, dass dort, wo eine Geschichte endet, eine neue alsbald beginnt.

„Nun zapple doch nicht so herum, Geralt, verflucht noch eins“, knurrte Triss genervt und blies sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.
„Was zum Henker hast du nun noch mit mir vor, Zauberin? Die Haare versteh ich ja noch und auch dieses ganze Zeugs, welches du mir ins Gesicht geschmiert hast, aber was soll das jetzt werden?“, fragend zeigte der Hexer auf die beiden kleinen und gewölbten Gebilde, die Triss Merigold in ihrer offenen Handfläche balancierte.
Wer Geralt von Riva kannte, und dies waren nach all seinen unzähligen Abenteuern und Hexertaten nicht gerade wenige, hätte nun im Haus der Zauberin in Wyzimas Händlerbezirk seine liebe Mühe gehabt, den Hexer als solchen wiederzuerkennen. Sein Haar war nun kohlrabenschwarz mit einem leichten Schimmer, die Narben im Gesicht bis auf eine kleine Stelle oberhalb seines Auges verschwunden und seine Haut schimmerte rosig wie die eines Neugeborenen.
Triss Merigold trat der Schweiß auf die Stirn und sie verfluchte sich insgeheim schon dafür, dass sie zugestimmt hatte, als Geralt mit seiner doch für ihn ungewöhnlichen Bitte an sie herangetreten war. Zugegeben, es hatte sie gereizt und auch ein wenig ihrer Eitelkeit geschmeichelt, dass er sich in dieser Sache gerade an sie gewandt hatte. Der Anfang war auch gar nicht so schwer gewesen. Sie hatte als erstes seine Haare gefärbt, wozu sie eine Mischung aus Holunderrinde und Efeu, fein zerstoßen und zu einem Brei vermengt, auf seinem Haupt aufgetragen hatte. Schneiden durfte sie ihm das Haar jedoch nicht. Schon als sie die Schere nur angesehen hatte, kam eine heiser gemurmelte Warnung von ihm.
„Denk nicht mal daran oder wir sind geschiedene Leute, Merigold!“
Männer! Dabei hätte einer dieser neuartigen Pagenschnitte, die in Wyzima gerade groß in Mode waren, ihm sicherlich gut gestanden und die Feinheit seiner Gesichtszüge noch zusätzlich betont. Nun gut, wenn er unbedingt mit dieser langen, ständig von Disteln und kleinerem Reisig bedrohten Schultermatte herumlaufen wollte, so war dies ganz allein seine Entscheidung. Zumindest war es jetzt sauber und der Zopf, den er sich sofort wieder gebunden hatte, sah gar nicht mehr so garstig aus. Insgeheim genoss er es sicherlich, so verwöhnt zu werden, doch er würde eher dem Teufel den Arsch küssen, als es jemals vor ihr einzugestehen.
Sein Gesicht war ein schon weitaus schwierigeres Terrain für die Magierin gewesen. Nicht nur, dass sein Teint so hell schien wie die frisch gekalkte Wand hinter ihr, nein, da war auch noch diese vermaledeite Narbe, wegen der er in ganz Temerien so bekannt war wie ein dreibeiniger Hund. Sie zog sich oberhalb des linken Auges beginnend hinunter und fand ihre Fortsetzung in dem fleischigen Teil der Wange unterhalb des besagten Auges. Sie verschwinden zu lassen, bereitete Triss einige Mühe.
Was hatte sie nicht alles ausprobiert! Diverse Zaubersprüche, die allerlei Wirkung gezeigt hatten, nur nicht die gewünschte, wie die Zauberin innerlich schmunzelnd zugeben musste. Besonders gefallen hatten ihr die kleinen rosa Pusteln, die wie zarte Blüten aufgegangen und zum Glück bereits verschwunden waren, bevor der Hexer den Grund für ihre offensichtliche Heiterkeit herausfinden konnte. Letzten Endes hatte sie sich dafür entschieden, das Übel auf eine althergebrachte, wenn auch ungewöhnliche Art und Weise anzugehen. Sie hatte etwas Pflanzensaft der Akazie genommen, es verdicken lassen, bis es eine zähflüssige, fast durchsichtige Konsistenz angenommen hatte und es dann dazu benutzt, um die tiefen Krater seiner Narbe damit aufzufüllen. Einzig eine Stelle innerhalb seiner gespaltenen Augenbraue hatte sie ausgespart, da sie doch etwas kniffliger war, als sie gedacht hätte. Das ganze hatte sie anschließend mit einer wasserfesten Schicht ihres besten Gesichtspuders überdeckt und war mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Sie verschwieg Geralt wohlweislich, dass sie das Mittel, das sie zum Auffüllen seiner Narbe genommen hatte, normalerweise dazu gebrauchte, um ihre zahlreiche Korrespondenz mit den anderen Zauberinnen der Loge sicher zu verschließen.
Die Augen allerdings stellten sie vor die größte Herausforderung. Diese animalischen schwefelgelben Augen mit den schwarzen Blitzen darin, die gerade mit einem tiefen Ausdruck des Misstrauens auf ihr ruhten. Es lag nicht daran, dass sie nicht gewusst hätte, wie dieses Problem zu lösen wäre, nein, vielmehr bestand die Schwierigkeit darin, ihn davon zu überzeugen, dass ihre Lösung ohne Alternative war.
„Das hier sind zwei magisch eingefärbte Schweinelinsen, die deine Augen etwas, nun sagen wir menschlicher wirken lassen … verdammt, jetzt ist mir eine davon auf den Boden gefallen!“
Mit einem Seufzen drückte sie Geralt die zweite Linse in die Hand, bevor sie auf die Knie ging, um mit weit ausholenden Handbewegungen den Boden abzusuchen.
„Halte ja die Füße still, Hexer“, mahnte sie ihn mit dumpfer Stimme, „ es war schwierig genug, die zwei herzustellen, als dass du jetzt darauf herumtrampeln dürftest. Ha, gefunden! Ach nein, nur ein Oren … was ist das? Ich glaub, ich hab das unsichtbare Schwert gefunden, das ich dir vor Jahren versprach … na endlich, da ist sie ja!“
Triumphierend setzte sie sich auf und präsentierte stolz ihren Fund. Misstrauisch betrachtete Geralt den Inhalt seiner Hand. Ihn schauderte leicht, denn das Gebilde fühlte sich kalt und ein wenig glitschig an.
„Und was genau hast du damit vor, Triss? Du willst mir doch nicht sagen, dass diese Teile hier in meine Augen sollen, oder?“
„Genau das“, schnaubte sie, säuberte die Linse und trat hinter Geralts Stuhl und zog seinen Kopf mit einem groben Griff in sein Haar nach hinten. „Genauer gesagt kommen sie auf deine Augen. So, und nun halt gefälligst still!“
Sie tropfte eine kühle Flüssigkeit in seine Augen und ehe er sich versah hatte sie ihm bereits die erste der beiden Schalen aufgesetzt. Er blinzelte unter Tränen. Triss balancierte schon die zweite auf ihrer Fingerspitze und nur wenige Augenblicke später saß auch diese an Ort und Stelle. Sie reichte ihm einen Spiegel. Geralt pfiff anerkennend.
„Ich verneige mich vor deinem Talent, Dinge anders erscheinen zu lassen, als sie in Wahrheit sind. Ich sehe ja wirklich, nun, menschlicher aus!“
Lächelnd ordnete sie ihr Haar.
„Mein Werk ist damit fast getan. Es fehlen nur noch die passenden Kleidungsstücke zu deiner Maskerade, Geralt. Ich suche sie heraus, während du mir bitte erklärst, was genau du eigentlich vorhast.“
Sie verschwand in einer der hinteren Ecke ihres Ankleidezimmers, wo sie in einigen schweren Truhen zu hantieren begann. Zauberinnen hatten fast so gute Ohren wie Hexer und so begann Geralt zu erklären.
„Ich fand einen Brief bei einem dieser bezahlten Mörder, der es auf mich abgesehen hatte“, er hörte Triss im Hintergrund mitleidig lachen und „Arme Irre!“ sagen. „Es handelt sich um eine Einladung zu einer Art Party in einem abgelegenen Herrenhaus in der Nähe der Stadtgrenzen Wyzimas. Dem Brief liegt eine Liste mit neun Namen bei, von denen mir nahezu alle vollkommen unbekannt sind, die jedoch einen wie den anderen dasselbe Schicksal ereilen soll: der Tod. Zudem enthält er explizite Anweisungen, sich als Zuckerhändler auszugeben und sein übliches Werkzeug, die Garrotte, diesmal nicht zu benutzen, da im Hause genügend Möglichkeiten zur Verfügung gestellt würden, um sein Werk möglichst diskret zu einem befriedigenden Ende bringen zu können.“
„Gehe ich Recht in der Annahme, dass diesen bezahlten Auftragsmörder dasselbe Schicksal ereilt hat wie seine diversen Vorgänger?“
Triss lachte erneut.

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„Nicht ganz“, ein sardonisches Grinsen huschte kurz über Geralts Gesicht, „diesmal brauchte ich ihn nicht zu verscharren. Die Ertrunkenen kümmern sich jetzt um die Entsorgung seiner kümmerlichen Überreste.“
Die Zauberin kehrte mit einigen Kleidungsstücken zurück, die sie dem Hexer reichte. Sie waren nicht zu kostspielig, wirkten jedoch auch nicht zu billig, gerade gut genug, um die Maskerade eines erfolgreichen, allerdings noch nicht zu großem Reichtum gekommenen Händlers vorgaukeln zu können. Sie passten wie angegossen und sie rochen zudem auch noch nach Zucker und feinem Backwerk. Besser ging es nicht.
„Gehe ich Recht in der Annahme“, imitierte Geralt den Tonfall der Zauberin, während er sich vor dem großen Spiegel ausgiebig und kritisch betrachtete, „dass du da hinten eine, wie mir scheint, nicht unbeträchtliche Sammlung von Männerkleidung hast? Wie kommt's?“
Triss errötete. Rasch nahm sie eine pelzverbrämte Kappe zur Hand und setzte sie Geralt aufs Haupt.
„Nun, ab und an vergisst hier schon mal ein ... äh ... Besucher das eine oder andere, vor allem, wenn er mein Haus in anderer Gestalt verlässt, als er es ursprünglich betreten hat ...“
Frag lieber nicht nach, dachte der Hexer, und setzte die Kappe wieder ab. Triss schüttelte unwirsch den Kopf und löste dadurch eine Flut von kastanienbraunen Locken aus, die erst wieder gebändigt werden mussten.
„Das tut im Übrigen jetzt gar nichts zur Sache, Geralt! Erkläre mir lieber mal, warum du die ganzen Strapazen auf dich nimmst, um dich um Dinge zu kümmern, die dich doch gar nichts angehen. Du kennst doch von den Leuten, die dort auf der Liste stehen, niemand persönlich, wenn man von dem jetzt toten Mörder einmal absieht. Warum also die ganze Posse?“
Geralt nahm seine Schwerter und wickelte sie vorsichtig in Tuch ein. Er hatte nicht vor, sie zurückzulassen. Er würde sie sicherlich noch gut brauchen können.
„Das stimmt so nicht ganz, Triss. Einen Namen davon kenne ich bereits. Er steht auf der Liste an letzter Stelle und ist der Grund, warum ich mich einmischen muss.“
„Und wer ist es? Wer ist so wichtig, dass du dir das alles hier antust?“
Geralt flüsterte nur, doch die Zauberin verstand es ohne Mühe:
„Rittersporn ...“
Triss sagte lange kein Wort, doch ihr Mund öffnete sich zu einem kleinen, überraschten o, der in Geralt unsinnigerweise das Verlangen weckte, sie auf der Stelle hier und jetzt zu küssen. Und das tat er dann auch. Und noch mehr …

Das Haus stand auf einer Anhöhe einige Meilen westlich von Wyzima. Es war das einzige Gebäude weit und breit und hatte bereits bessere Zeiten gesehen, das erkannte der Hexer auf den ersten Blick. Nun verzierte der Schnee, der in dicken Flocken vom graubewölkten Himmel rieselte wie Zucker auf ein Backwerk, gnädiger Weise mit einem weißen Guss die offensichtlichsten äußeren Verfallserscheinungen, die erst der nächste Frühling wieder zum Vorschein bringen würde, und der lag noch in weiter Ferne.
Geralt sah sich genauer um.
Das zweistöckige Haus war groß und ohne Zweifel als Landsitz für einen der reicheren Pfeffersäcke Wyzimas gedacht gewesen. Dichter Rauch quoll aus dem massiven Schornstein auf der Südseite des Hauses, dessen Fenster allesamt ohne Ausnahme vergittert waren. Auch die Eingangstür, vor der er nun stand, schien verstärkt worden zu sein.
„Wie anheimelnd“, murmelte er, nach einem weiteren Blick auf die Fenster. „Da fühlt man sich doch so recht herzlich zum Verweilen eingeladen.“
Geralt führte den braunen Wallach, ein treues Tier mit einem Hang zum übermäßigen Zuckerverzehr, zur Rückseite des Hauses, wo, wie er richtig gerochen hatte, die Stallungen zu finden waren. Dort taten sich bereits einige andere Pferde bei Hafer und Wasser gütlich. Mit einer Handvoll trockenem Stroh rieb er gewissenhaft sein Pferd ab, das mit dem Maul unablässig gegen den prall gefüllten Beutel stupste, welchen Geralt am Gürtel trug.
„Heda, Junge, ruhig“, flüsterte er dem Wallach in die hoch aufgestellten Ohren, „du kriegst schon deine Ration, keine Sorge.“
Er griff in den Beutel und holte einige Stücke Zucker hervor. Er wusste nicht, welcher Teufel Triss geritten hatte, ihm all das süße Zeug mitzugeben: rot-weiße Stangen, kleine Pralinen und hartes Spritzgebäck, um nur einige Dinge zu nennen, die in dem nicht gerade kleinen ledernen Sack Platz gefunden hatten und anscheinend auch nicht weniger wurden, ganz gleich, wie viel davon er an dieses gefräßige Tier abgab.
„Teil es dir gut ein, die nächste Zeit musst du dich mit Hafer zufrieden geben, wie alle anderen Pferde auch“, sagte er und tätschelte dem Wallach aufmunternd die Flanke, bevor er sich zum Haus aufmachte.
Die Tür war nicht verschlossen und Geralt hielt sich gar nicht erst damit auf, vor dem Eintreten freundlich zu klopfen. Er durchquerte einen dunklen Flur, an dessen Ende heller Lichtschein durchschien und lautes Gelächter erklang, begleitet von fröhlicher Lautenmusik. Geralt schloss die Augen. Rittersporn. Sein Spiel konnte er unter tausenden heraushören. Jederzeit. Der Barde war der Grund, warum er hierhergekommen war, in dieser Verkleidung und unter fremder Identität.
Er erinnerte sich lächelnd daran, wie Triss schwer atmend, ihre mit Schweiß bedeckten Brüste hoben und senkten sich dabei ein wenig asynchron, nach ihrem gemeinsamen Liebesspiel die entscheidende Frage stellte, die zu Anfang auch ihm durch den Kopf gegangen war.
„Wenn du den bestellten Mörder beseitigt hast, dann ist doch die Gefahr für Rittersporn und die anderen acht gebannt, oder nicht?“
„Nein“, hatte er geantwortet und seine Zunge sanft über ihren Bauchnabel bis zu ihrer dunklen vollen Brustwarze gleiten lassen, die sich unter seiner Berührung sogleich aufstellte, was ihr einen wohligen Schauer bescherte. „Ein solcher Auftrag wird selten nur an einen vergeben. Die meisten Auftraggeber sichern sich gewöhnlich damit ab, dass sie mindestens zwei, wenn nicht mehr Mörder denselben Kontrakt zukommen lassen. Das erhöht die Chance, dass er auch wirklich erfüllt wird, beträchtlich und vielleicht schwindet am Ende sogar die Anzahl derer, die dafür eine Belohnung kassieren können. Du siehst“, sein Mund schloss sich über dem salzigen Nippel und saugte kurz, aber intensiv daran, bevor er von ihm abließ, „die Gefahr ist nicht geringer geworden, ganz im Gegenteil. Bereit für eine weitere Runde, Zauberin?“
Sie war mehr als bereit gewesen.
Als Geralt endlich den entscheidenden Schritt durch die Tür am Ende des dunklen Ganges machte, schloss er zunächst geblendet die Augen. Es dauerte einen Augenblick, bis sich seine linsenbedeckten Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten. Was er dann sah, ließ ihn laut aufstöhnen und wünschen, er könne der Veranstaltung gleich stehenden Fußes wieder enteilen.
Der Raum war festlich geschmückt. An den Wänden hingen Girlanden aus Tannengrün, in die man bunte Bänder und getrockneten Äpfel hineingeflochten hatte. Eine große Tanne stand inmitten des Raumes. Auch diese war mit allerlei dekorativem und glänzendem Tand behängt, und auf der Spitze thronte doch wahrhaftig ein geflügeltes Wesen, das man im ersten Moment durchaus mit einem Albino-Flatterer hätte verwechseln können. Diese Figur hingegen hatte lange goldene Locken und trug ein knappes Kleidchen, das keinerlei Zweifel an dem Geschlecht des Wesens übrig ließ. Die weit ausgestreckten Federn der Flügel schimmerten silbern im Schein der unzähligen Kerzen, die im ganzen Zimmer verteilt waren. Als hätte die Wärme dieser Lichter nicht schon ausgereicht, den Raum über das zulässige Maß an Temperatur zu bringen, so brannte etwas abseits vom Baume noch ein offener Kamin, gleichfalls festlich geschmückt, dass einem ganz übel davon wurde.
Er ließ seinen Blick von der Spitze der Tanne abwärts wandern und tatsächlich, da lagen sie: in buntes Papier eingewickelte Päckchen und Pakete, die nur darauf warteten, von ungeduldigen Fingern aufgerissen zu werden, um die Geschenke zu enthüllen, die darunter verborgen waren.
Ich glaube, ich fang gleich an zu kotzen, dachte Geralt angeekelt, bin ich da doch glatt auf eine dieser Jahresendfeiern von Triss' bescheuerten serrikanischen Freunden gelandet. Wie nannte sie diese Art Fest noch gleich? Ach ja, Weihnachten! Und ich hatte schon geglaubt, ich würde dieses Jahr diesem Mumpitz entkommen …
Schaudernd dachte er an die letzten beiden Jahre zurück. Besonders die Feier im vorletzten Jahr war ihm in lebhafter Erinnerung geblieben. Hatte er doch dank Rittersporns Schusseligkeit bei der Herstellung des Punsches eine alternative Realität durchleben müssen, die ihm noch Wochen später schwer in den Knochen gesteckt hatte.
Apropos Rittersporn. Sein Blick wanderte durch den Raum und schon bald hatte er seinen besten Freund erspäht, der, wie konnte es anders sein, gleich von mehreren Gästen umringt war, die versonnen seinen Liedern lauschten:
http://journal.the-witcher.de/media/content/wn-xmas3_baum_s.png„Lasst uns froh und glücklich sein ...“
Während der Hexer noch darüber grübelte, auf welche Weise er unbemerkt mit dem Barden ein klärendes Gespräch führen könne, spürte er plötzlich, wie sich von hinten ein schlanker wohlgeformter Arm um seine Hüfte legte und sich der dazugehörige Körper kurzerhand um Geralts Achse herum drehte, bis die Besitzerin des Armes ihm vis-à-vis gegenüberstand. Leider befand sich ihr Arm in einer wesentlich besseren Verfassung als ihr Gesicht, in das die vergangenen Jahre unbarmherzig so manche Bresche und Furche geschlagen hatten. Darüber konnten auch Tonnen von Cremes, Puder und grellen Lidstrichen nicht hinwegtäuschen, von den mühsam in Form gequetschten Brüsten, die beim allnächtlichen Ausziehen sicher als erstes im besten Sinne des Wortes in die Knie gingen, mal ganz abgesehen. Das einzig Junge an ihr waren die Augen, die silberblau wie der Mond und so groß wie ein Zwei-Oren-Stück waren.
„Na, wen haben wir denn da?“, gurrte die Frau mit grellrot geschminkten Lippen, die zumindest mit den hoch aufgetürmten gleichfarbigen Haaren harmonierten, wenn auch sonst mit nichts. „Wie heißt Ihr denn, mein Hübscher? Sagt mir, wer seid Ihr?“
Geralt blinzelte. Darüber hatte er bislang noch nicht einmal nachgedacht. Wer war er? Ein Zuckerbäcker, ein Kaufmann, der mit Backwaren und süßen Verführungen sein Geld verdiente. Hatte in dem Brief sonst noch etwas über die falsche Identität gestanden? Nein. Der Hexer hasste es unter Druck improvisieren zu müssen, ohne dabei eines seiner beiden Schwerter in der Hand zu halten, doch was blieb ihm anderes übrig?
„Nun, edle Maid“, antwortete er in vollem Wissen, dass diese Frau weder edel noch ihr Honigtöpfchen tatsächlich unberührt war (vielmehr schien es ihm, dass bereits Foltests Vater davon genascht haben könnte), „mein Name ist Gandalf und ich bin hier“, seine Stimme ging in ein leises Flüstern über, das bei der vorherrschenden Lautstärke mehr als deplatziert wirkte, „um euch alle zu töten!“
Im gleichen Augenblick bereute er auch schon diesen Scherz. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hatte ein wenig mehr Zeit zum Überlegen gewinnen wollen, doch als er nun in die weit aufgerissenen Augen dieser Frau sah, so konnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie lauthals anfing zu … lachen?
Sie lachte wahrhaftig, lachte, bis ihr die Tränen kamen, klopfte dabei vor Vergnügen immer wieder auf ihre dürren Schenkel, die jedoch entgegen seiner Befürchtung dabei nicht brachen wie zwei Stücke Reisig.
„Ach, Ihr seid ein kleiner Witzbold, gebt es zu! Der Scherz ist Euch wohl gelungen, aber kommt schon damit raus, wer seid Ihr nun wirklich?“
Anstelle einer Antwort griff Geralt, einer inneren Eingebung folgend, tief in seinen Beutel und zauberte eine in Glanzpapier gehüllte Praline hervor, die er mit offener Hand und einer tiefen Verbeugung darbot. Entzückt klatschte sie in die Hände.
„Hmm“, schwärmte sie nach dem ersten Bissen, „eine edle Praline aus feinster Schokolade! Auch noch mit Trüffel verfeinert! Ihr müsst wahrhaftig ein Meister Eures Faches sein. Habt Dank, werter Gandalf.“
„Stets zu Diensten, ... äh ...“
„Oh wie unhöflich von mir“, kicherte sie gewollt kokett (es klang jedoch eher wie ein Specht, der einem Baum gerade den Garaus machte), „mein Name ist Lady Peckinpah. Sicher habt ihr schon von den Peckinpahs aus Oxenfurt gehört, nicht wahr? Wir sind dort eine wohlhabende und seit Generationen hochgeachtete Familie.“
Der Hexer nickte scheu lächelnd, ohne dabei rot zu werden. Er hatte keine Ahnung, wer diese Frau oder ihre Familie war, doch er war sich sicher, dass es hier jemanden im Raum gab, der wahrscheinlich bereits mit dem gesamten weiblichen Zweig der Familie inklusive der Bediensteten geschlafen hatte, sofern man sie als jung und knackig bezeichnen konnte.
„Seid Ihr auch wegen des Schatzes da?“
„Verzeiht, ein Schatz?“
Sie kicherte erneut.
„Schon wieder ein Scherz von Euch! Natürlich seid Ihr auch wegen des Schatzes gekommen, der hier im Haus versteckt sein soll. Deshalb sind wir doch alle gekommen, nicht wahr? Wie stand es noch in der Einladung? Ach ja, wer den Schatz innerhalb einer Nacht findet, der darf ihn behalten, wenn am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang die Tür wieder entriegelt wird ...“
„Entriegelt?“
Lady Peckinpah bekam keine Gelegenheit mehr, um auf seine Frage zu antworten, löste sich doch gerade ein Mann mit roter Weste aus der Traube um Rittersporn, der, als er Geralt sah, laut in die Hände klatschte, woraufhin jegliches Gespräch und selbst des Barden Lautenspiel erstarb.
„Silentium, werte Damen und Herren, darf ich um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bitten“, er drehte sich einmal im Kreis, um sicher zu gehen, dass er auch wirklich von jedermann beachtet wurde. „Soeben ist der letzte Gast eingetroffen, das Spiel kann somit in Kürze beginnen.“
Die Anwesenden klatschten begeistert die Hände.
„Nur nicht so schüchtern, werter Herr“, winkte der etwas rundliche Mann Geralt herbei, der dieser Aufforderung schließlich Folge leistete. „Ihr müsst Weißbart, der Zuckerbäcker sein, wenn ich die Gästeliste richtig entziffere. Naja, Nomen ist doch nicht immer Omen, was?“ Er lachte.
„Gandalf Weißbart, wenn’s genehm ist und fürwahr, der Name traf wohl eher auf meinen Vater zu, Melitele möge ihm ewige Ruhe schenken, als auf mich. Doch ich gelobe in Zukunft Besserung und die kommenden Jahre werden zeigen, ob ich den Namen zu Recht trage.“
„Sicher, sicher“, erwiderte sein Gegenüber ein wenig verwirrt. „Da Sie, werter Gandalf, ein wenig später eingetroffen sind als die anderen, erkläre ich noch einmal kurz die Regeln des Spiels. In diesem Haus gibt es einen versteckten Schatz, den es zu finden gilt. Wer immer ihn auch finden mag, darf ihn behalten, vorausgesetzt er kann ihn mir morgen früh bei Sonnenaufgang wohlbehalten präsentieren ...“
„Ihr selbst nehmt auch an dem Spiel teil, sehe ich das richtig?“ Gandalf Weißbart strich nachdenklich um sein definitiv bartloses Gesicht. Der Mann wehrte mit beiden Händen ab.
„Bei allen guten Göttern, nein! Sobald ich Ihnen die Regeln erklärt habe, verlasse ich dieses Haus und kehre erst morgen früh zurück, um wieder aufzuschließen!“
„Das heißt, wir können das Haus diese Nacht nicht verlassen, wenn uns danach sein sollte. Interessant! Gibt es noch andere Regeln, die ich wissen sollte?“
Sein Gegenüber grinste schelmisch.
„Nur noch eine, mein Herr: alles ist erlaubt. Nun, ich denke, damit ist alles erklärt. Mit Verlaub, dann werde ich mich jetzt zurückziehen. Wir sehen uns morgen früh ...“
„Guter Mann, habt Ihr nicht etwas vergessen?“ Rittersporn erhob sich und schwenkte ein Glas mit durchsichtigen Flügeln anstelle von Henkeln, welches mit einer hellgelben, fast weißlichen Flüssigkeit gefüllt war, deren alkoholischer Gehalt Geralt bereits im Flur in die Nase gestiegen war. „Es wäre doch schade um den schönen Eierpunsch!“
Der Barde bot dem Mann ein frisch gefülltes Glas an, doch der griff nach einem bereits halb geleerten, das augenscheinlich seines war, und leerte es in einem Zug.

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„Dank Euch, Rittersporn, es wird Euch sicherlich ...“, der Mann stockte, versuchte einige Worte zu sagen, krächzte jedoch nur unverständliches Zeug, bevor er sich an seinen Hals griff und sein Gesicht erst rötlich und schließlich purpurfarben anlief.
„So helft ihm doch“, kreischte Lady Peckinpah, „seht ihr denn nicht, dass der gute Mann erstickt?“
Es war Rittersporn, der die Initiative ergriff. Mit beiden Armen umschlang er die kaum vorhandene Taille des Mannes und drückte eine Faust zwischen die beiden Rippenbögen, während er die andere dazu benutzte, die erste mit wohldosierten Stößen in Richtung Zwerchfell zu drücken. Der Oberkörper und der Kopf hingen schlaff vornüber. Der Mann in der roten Weste würgte zwar und spuckte etwas Punsch aus, doch es brachte ihm keine wirkliche Erleichterung. Sollte irgendwo in der Luftröhre noch ein Fremdkörper stecken, so sprach er auf die Gegenmaßnahmen nicht an. Mit einem schmerzvollen Seufzen verschied der Mann schließlich in den Armen des Barden.
„Ach, welch ein Unglück“, wehklagte die Lady und die anderen stimmten ein.
„Das war kein Unglück“, widersprach ihr Geralt und schnupperte intensiv an dem Glas, das der Tote auf den Boden hatte fallen lassen, der zum Glück mit dicken Teppichen ausgelegt war, sodass das Glas noch ganz war. „Das war kein Unglück“, wiederholte Geralt eindringlich, „sondern Mord! Er wurde vergiftet!“
„Wie kommt Ihr darauf, Gandalf?“, verlangte Rittersporn zu wissen.
„Ganz einfach“, antwortete der Hexer, der hoch erfreut darüber war, dass anscheinend selbst der Barde seine Maskerade nicht zu durchschauen vermochte. „Riecht doch selbst an dem Glas, aus welchem der Tote getrunken hat, doch gebt Obacht, das Gift ist noch wirksam. Riecht Ihr nicht das feine Mandelaroma?“ Der Barde nickte stirnrunzelnd. „Nun, das ist ein untrügliches Zeichen für Blausäure, die aus bitteren Mandeln gewonnen wird, daher auch der Geruch.“
„Woher wisst Ihr das alles?“, fragte der Barde misstrauisch.
„Habt Ihr vergessen, was meine Passion ist? In meinem Beruf habe ich tagtäglich mit den unterschiedlichsten Backzutaten zu tun, die in geringer Dosierung höchsten Gaumengenuss versprechen, doch in der falschen Menge ebenso tödlich wirken können.“
„Wie auch immer, aber mich hält hier nichts mehr, Schatz hin oder her!“, rief ein junger spitzohriger Mann. Einige andere stimmten dem Elfen lautstark zu, der zielstrebig auf die einzige Tür im Hause zusteuerte, durch die man ins Freie gelangen konnte. Doch am Ende des Flures, nun beleuchtet durch einige Kerzen, die die Auskehrwilligen kurzerhand genommen hatten, erwartete sie eine herbe Enttäuschung. Die Tür war bereits verschlossen. Und das war noch nicht alles.
„Ein magisches Feld“, fluchte der blonde Elf und spuckte verächtlich aus. „Es scheint, als hätte sich jemand richtig Mühe gegeben, um andere davon abzuhalten, in das Haus hineinzugelangen, während das Spiel läuft.“
Naiver Tor, schalt Geralt den Elfen im Geheimen. Dieses magische Feld soll andere nicht aussperren, sondern dich und mich einsperren. Eine offensichtliche Tatsache, die Geralt einiges Kopfzerbrechen bereitete. So wie er es sah, hatte das Spiel nun endgültig begonnen und ja, es gab tatsächlich keine weiteren Regeln. Alles war erlaubt. Gerade das jedoch bereitete dem Hexer die meisten Sorgen.

Die Gesellschaft, die sich daraufhin wieder in der großen Halle versammelte, war eine illustre Runde der verschiedensten Individuen, wie Geralt feststellen konnte.
Sie alle hatten, das wusste er bereits durch einige belanglose Fragen, das Herrenhaus erst im Laufe des Tages erreicht. Es war ziemlich offensichtlich, dass keiner der hier Anwesenden einen der anderen kannte, oder bereits einmal persönlich getroffen hätte. Keiner wusste mehr über den anderen, als dieser im Laufe der folgenden Stunden unter dem Siegel der Verschwiegenheit selbst von sich preisgegeben hatte. Die restlichen Informationen setzten sich aus den hier und da aufgeschnappten Gerüchten und Gesprächsfetzen zusammen, die das Bild zwar allmählich abzurunden begannen, aber auch ebenso viel Raum für wilde Spekulationen ließen. Diese Erfahrung machte nun auch der Hexer, während die Gäste in kleinen Gruppen beieinander standen. Eine bis zum Zerreißen angespannte Atmosphäre erfüllte den Raum. Sie war fast greifbar und bewirkte einen äußerst interessanten Nebeneffekt: die Gäste wurden ziemlich gesprächig und gaben allerlei Privates von sich preis. Fast schien es, als hätte der Tod des Mannes und seine nicht allzu weit entfernt liegende Leiche die im Raum Anwesenden plötzlich daran erinnert, das jedes Leben einmal ein Ende hatte, ihr eigenes eingeschlossen. Der Alkohol, der ohne Unterlass in die Punschgläser eingeschenkt wurde, tat sein Übriges dazu. Geralt brauchte nichts anderes zu tun, als einfach dazustehen und mit seinen Hexerohren zu lauschen.
Lady Peckinpah kannte er ja bereits zur Genüge und zu seinem Leidwesen näher, als ihm lieb gewesen war. Ihr aufdringliches Parfüm lag noch immer wie geschmolzenes Blei auf den Rezeptoren seiner empfindlichen Nase. Zu seinem Glück jedoch hatte sich ihr Interesse jetzt eindeutig in Richtung Rittersporn verlagert, dessen genervter Blick im offensichtlichen Widerspruch zu seinem aufgesetzten Lächeln stand und dieses damit Lügen strafte. Geralt hatte kein Mitleid mit dem Barden. Besser er als ich, dachte er ein wenig schadenfroh.
Der hochgewachsene Elf, der zuvor noch vehement mit einigen anderen das Haus verlassen wollte, hieß Dauphin Rot. Angeblich gehörte er dem verarmten Zweig eines großen Elfengeschlechtes an, der sich allerdings keinen Deut um diesen, lästigen Teil der Verwandtschaft zu scheren schien. Dauphin war sich seines ausnehmend ansprechenden Äußeren durchaus bewusst, so wie es jeder andere Elf auch gewesen wäre. Er jedoch hatte im Laufe der Jahre gelernt, aus diesem naturgegebenen Geschenk seines Geschlechtes seinen Vorteil zu ziehen und in klingende Münze umzusetzen, wie sein geschmackvoller, teuer verhüllter und gut gebauter Körper ohne Zweifel erahnen ließ. Sein Privatleben hielt er allerdings unter strengem Verschluss und wies alle in diese Richtung gehenden Fragen sehr rüde zurück, was die anwesenden Damen nur noch mehr anzustacheln schien und sie keineswegs davon abhielt, ihn förmlich mit ihren Blicken auszuziehen. Wahrscheinlich, spottete Geralt bei sich, war häufiges Ausziehen genau das, was der Elf tun musste, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Die zweite Dame im Bunde stellte sich dem Hexer als Anya Cicou vor, ihres Faches freie Mitarbeiterin der Wyzima Daily News. An ihrem Gürtel hing tatsächlich, wie seine scharfen Augen sogleich erkannt hatten, ein gebundener Block mitsamt einem Stift an einer silbernen Kette. Geralt erkannte bald, dass sie von ihrem Handwerkszeug kaum Gebrauch machte, sondern sich vielmehr für den richtigen Sitz ihrer prachtvollen Haare und der erlesenen Kleider, die sie am Leibe trug, interessierte. Fand sie die Lage, in der sie sich selbst und die anderen aufgrund eines Mordes vor ihren eigenen Augen befand, nicht einmal interessant genug, um sich dazu Notizen zu machen? Hier bot sich die Gelegenheit für eine Story, wie man sie nicht alle Tage bekam und was tat sie? Nichts. Recht merkwürdig, wie der Hexer fand.
Einen besonders interessanten Gesprächspartner entdeckte Geralt kurz darauf in Gestalt des Zwerges Lodaran Silberschmied, dessen Beruf er nicht erst lange zu erraten brauchte. Lodaran war zunächst recht einsilbig und knurrte seine Antworten mehr, als dass er sie verständlich artikulierte. Er war ein recht junger Zwerg, wie Geralt rasch herausfand, denn er vertrug im Gegensatz zu anderen erfahrenen Zwergen wie seinem alten Freund Zoltan nicht allzu viel Alkohol. Bereits zwei Gläser Punsch befreiten seine Zunge aus dem selbst verordneten Exil und offenbarten dem Hexer den Grund für dessen bisherige Einsilbigkeit: Lodaran nuschelte recht stark und hatte kaum zu überhörende Schwierigkeiten mit der temerischen Hochsprache. Er vertauschte ab und an die Zeiten und benutzte einige Wörter recht eigenwillig, wenn auch noch durchaus verständlich, was deren Sinn anging. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er punschselig über das ganze Gesicht strahlte und sich zufrieden über seinen feuerroten Bart strich, der ihm fast bis an die Knie reichte und in dem, seinem Berufsstand angemessen, reichlich eingeflochtene Silberstücke glänzten.
Die letzte Dame dieser Gesellschaft hatte sich in eine stille Ecke in der Nähe des Kamins zurückgezogen, wo sie ganz ungeniert mit einem jungen Adeligen mit Namen Val Percy flirtete, der zwar nicht ganz so blond wie der Elf war, ihm aber in puncto Aussehen, soweit man das bei einen Menschen sagen konnte, durchaus das Wasser reichen konnte. Zu zweit standen sie unter einem Büschel mit milchig-weißen Früchten und langen hellgrünen Blättern, doch anscheinend kannte keiner der beiden den mit dem Mistelzweig verbundenen Brauch. Die gleichaltrige Maid, die diese Bezeichnung durchaus zu Recht trug, auch wenn ihre fast fiebrig glänzenden Augen darauf schließen ließen, dass sie gewillt war, diesem Zustand alsbald mit dem richtigen Partner ein lustvolles Ende zu bereiten, weckte offensichtlich auch sein Interesse. Sie hörte auf den schönen Namen Diave und trug ein bezauberndes hochgeschlossenes Kleid, dessen Säume mit unzähligen glitzernden Diamanten bestickt waren, die mit ihren goldenen Locken um die Wette funkelten. Nun ja, dachte der Hexer, gleich und gleich gesellt sich gern. Zu gern hätte er dem ständig intensiver werdenden Balztanz der beiden, der in seinen Augen unweigerlich mit einem heißblütigen Duett in der horizontalen enden würde, noch länger zugesehen, doch der Letzte im Bunde beanspruchte nun seine ganze Aufmerksamkeit.
Dieser Mann war ihm ein Rätsel. Geralt hatte über ihn, im Gegensatz zu den anderen Gästen, so gut wie gar nichts erfahren können, sodass er nun vollkommen auf seine Beobachtungsgabe angewiesen war. Der Mann befand sich schon im fortgeschrittenen Alter, was seine ergrauten Schläfen und sein vom Wetter gegerbtes Gesicht unzweifelhaft verrieten. Er trug sein Haar militärisch kurz und seine ganze, straffe Körperhaltung wies ihn als einen erfahrenen, höchstwahrscheinlich im Ruhestand befindlichen Soldaten aus. Mit angespanntem Oberkörper lehnte er gerade an einer Wand und stopfte sich eine kleine Pfeife mit schnellen und präzisen Handgriffen, während seine zu Schlitzen verengten Augen ... ihn beobachteten.
Der Hexer ließ sich nichts anmerken, doch er war überrascht, wenn nicht gar ein wenig überrumpelt. Gespielt gelassen, aber aufmerksam, begann er, zwischen den anderen Gästen entlangzuschlendern, nahm angeblich interessiert das verschwenderische Buffet, das der unbekannte Gastgeber dieser Party hatte aufbauen lassen und welches aufgrund des plötzlichen Gifttodes des Mannes mit der roten Weste kaum noch einer anzurühren wagte, in Augenschein und beobachtete seinerseits den Soldaten. Der wiederum verfolgte ihn nach wie vor mit Blicken.
Konnte es sein, dass der Soldat der Mörder war? Eher unwahrscheinlich, dachte Geralt, dieser Mann würde seinen Gegner im offenen Kampf stellen und nicht auf solche hinterhältigen Mittel wie Gift zurückgreifen. Dies war eher die Waffe einer Frau, wenngleich er sich nicht vorstellen konnte, dass eine der anwesenden Damen dazu fähig wäre. Oder etwa doch?
Geralt bog um eine Ecke, um dem Blickfeld seines Beobachters zu entkommen, als dieser plötzlich vor ihm stand. Innerlich fluchend neigte er den Kopf zu einem unverbindlichen Gruß. Sein Gegenüber erwiderte diesen auf gleiche Weise.
„Meister Weißbart, wie ich annehme“, sprach er mit einem Unterton in der Stimme, der Geralt sogleich wissen ließ, dass er eigentlich das genaue Gegenteil von dem meinte, was er ausgesprochen hatte.
„So sagt man“, antwortete Geralt ebenso kryptisch. Der Soldat lächelte.
„Auf ein Wort, wenn es Euch recht ist, Meister Weißbart.“
Geralt nickte und folgte dem Mann zu einem ruhigen Platz, an dem man ungestört miteinander reden konnte.
„Ich soll Euch von einem gemeinsamen Freund grüßen ...“
„Und der wäre?“, unterbrach ihn der Hexer.
„Ich werde seinen Namen hier nicht nennen, doch er bat mich, Euch auszurichten, dass er Euch immer noch sehr zu Dank verpflichtet ist, dass Ihr ihm nicht das Fell über die Ohren gezogen habt, als Ihr die Gelegenheit dazu hattet.“
Der Hexer lächelte. Vincent Meis. Das erklärte einiges. Geralt beschloss, ihn einem letzten Test zu unterziehen.
„Wie geht es dem guten Jethro? Verpulvert er sein mageres Gehalt immer noch mit Würfelpoker?“
Der Soldat hob fragend eine Braue.
„Mitnichten. Jethro ist tot. Die letzte Ladung Fisstech hat ihm wohl den Rest gegeben. Zumindest starb er mit heruntergelassener Hose und einem glücklichen Lächeln auf den Lippen.“
„Das passt ... es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis ihn das Schicksal auf diese Weise ereilen würde. Doch zurück zu Euch: Dann steht Ihr also in Diensten unseres gemeinsamen Freundes? Er schickte Euch?“
Der Soldat nickte.
„Und mit welchem Namen darf ich Euch ansprechen?“
Der Soldat beugte sich vor.
„Nennt mich einfach Flith, Gwynbleidd“, flüsterte er verschwörerisch. „Eure Zauberin kam zu uns und erklärte unserem Freund den Ernst der Lage. Wir hatten das Glück, einen der eingeladenen Gäste vor seiner Ankunft hier abfangen zu können, sodass ich nun seine Stelle einnehme. Dies hier trug er übrigens bei sich“, er reichte Geralt ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier. „Nebenbei bemerkt: die Maskerade ist Eurer Freundin sehr gelungen. Auch ich hätte Euch kaum wiedererkannt.“
„Hatten wir denn schon mal das Vergnügen, Flith?“, fragte der Hexer, während er die vertrauten Zeilen des Briefes überflog. Er war identisch mit dem Schreiben, das er Garrotte abgenommen hatte. Nur die Anschrift war eine andere. Er pfiff anerkennend.
„Ich hielt damals Wache bei der Versammlung im Neu Narakort, als Ihr zu einer ... äh ... Privataudienz mit Prinzessin Adda in ein Nebenzimmer verschwandet.“
Geralt wedelte mit dem Brief.
„Ich hoffe, Ihr habt den Mann, dem Ihr dies abgenommen habt, gut weggesperrt!?“
„Natürlich. Wer einmal bei uns in der Zelle sitzt, kommt so schnell nicht wieder heraus, Weißbart.“
Der Hexer runzelte missbilligend die Stirn.
„Nun, das habe ich schon anders erlebt“, erwiderte er und dachte dabei an den Professor, den willigen Gehilfen Azar Javeds. „Sei’s drum. Was gedenkt Ihr nun zu tun? Es gibt einen Toten und zumindest ein Mörder läuft hier noch frei herum.“
Flith hob nur die Schultern.
„Ich tue gar nichts. Ich habe andere Order. Nachdem Ihr das Haus betreten hattet, wurde ein Zauber Eurer Freundin aktiviert, der die Tür blockiert und der erst morgen früh bei Sonnenaufgang wieder erlischt. Sie tat dies mit einem Zähneknirschen, aber letztlich auch zu Eurem Wohl. Im Moment gibt es nur eines, was wir tun können“, sprach der Untergebene von Vincent Meis und stand auf. Geralt folgte ihm. Fliths Schritte führten ihn zu der Leiche des Mannes. Er beugte sich über ihn.
„Es ist eine Schande“, murmelte Geralt, während er Flith bei seiner unauffälligen Untersuchung des Leichnams vor den möglichen Blicken der anderen Gäste abschirmte. „Sicherlich war das Gift für einen anderen Gast bestimmt. Das nenne ich wahrlich Pech!“
„Das sehe ich anders. Hier, nehmt das“, forderte der Soldat ihn auf. Ein Schlüssel wechselte ungesehen den Besitzer. „Wie es aussieht, war dieser Mann einer der zehn, um die es in diesem Brief ging ...“
„Was veranlasst Euch zu dieser Vermutung?“
„Schaut Euch doch um, Weißbart! Habt Ihr mal die Anwesenden gezählt?“
Geralt tat, wie ihm geheißen. Tatsächlich kam er nur auf neun lebende Gäste. Dazu ein Toter. Der Soldat griff nach einem der bodenlangen weißen Vorhänge, mit denen die Fenster verhangen waren, und riss ihn laut mit einem Ruck aus seiner Halterung. Es wurde still im Raum. So still, dass man nur noch das Knacken des Harzes im Kamin hören konnte. Jegliches Gespräch war verstummt und aller Augen waren nun auf sie beide gerichtet. Flith ließ sich davon weder ablenken noch beeindrucken. Mit einer Geste des Bedauerns bedeckte er mit dem Vorhang den Leichnam, nachdem er ihm gnädiger Weise die immer noch weit aufgerissenen Augen geschlossen hatte. Dann stand er auf, streckte sich und warf einen verächtlichen Blick in die Runde.
„Ihr widert mich an, alle, wie ihr da seid“, spuckte er aus. Lady Peckinpah öffnete den Mund zum Protest, schloss ihn allerdings lautlos, als Fliths Blick sie herausfordernd fixierte. Diave zuckte erschrocken zusammen und flüchtete in die starken Arme ihres Val Percys, der dies sichtlich genoss. Der Zwerg grinste nur dämlich und an dem Elfen schien die Beleidigung des Soldaten abzuperlen wie Wasser. Rittersporn spielte einen spöttischen Akkord, worin sich sein Kommentar auch schon erschöpfte. Lediglich Anya Cicou ließ diesen Satz nicht unkommentiert.
„Was fällt Ihnen eigentlich ein?“ Sie zückte nun tatsächlich ihren Block und Stift und sah ihn herausfordernd an. „Wie ist Ihr Name?“, verlangte sie zu wissen und leckte an ihrem Stift. „Am besten Buchstabe für Buchstabe, damit er in der Wyzima Daily News auch richtig wiedergegeben wird.“
Der Soldat schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ich wollte dies eigentlich nicht schon jetzt tun, aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig“, er zückte einen rundlichen Gegenstand aus einer seiner Taschen und zeigte ihn in die Runde. „Dieses Siegel der Stadtwache weist mich als Bevollmächtigten des hochgeschätzten Hauptmannes Vincent Meis aus. In seinem Namen erkläre ich diese unsinnige Suche nach einem Schatz, der meiner Meinung nach ohnehin nie existiert hat, für beendet. Sie werden sich jetzt alle in Ihre Räume begeben, hinter sich abschließen und erst wieder hervorkommen, wenn der Hauptmann morgen früh hier eintrifft, um die Untersuchung höchstpersönlich zu leiten.“
Er sah sich um. Die anderen hörten ihm widerspruchslos zu, selbst die Reporterin, deren mahlender Kiefer jedoch unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass sie mit diesen Anweisungen gar nicht einverstanden war und kurz davor war „Zensur!“ und „Beschneidung der Pressefreiheit!“ zu rufen. Flith blieb dies nicht verborgen. Er brauchte nur zwei lange Schritte, bis er so nahe vor ihr stand, dass ihre Nasen sich fast berührten. Sie zuckte nicht zurück.
„Sollte jemand auf die Idee kommen, dieser Anweisung nicht Folge leisten zu wollen, so darf er sich bereits jetzt auf eine gemütliche Zelle im Kerker von Wyzima freuen, denn dort würde er wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt unweigerlich landen. Habt Ihr verstanden“, lächelte er streng und sah dabei Anya direkt in die Augen.
Die Reporterin schnaubte nur entrüstet, machte allerdings auf dem Absatz kehrt und flüchtete die Treppe empor, nachdem sie mit einer unwirschen Geste, aber zitternden Händen, den Block wieder an ihrem Gürtel befestigt hatte. Der Saal leerte sich allmählich. Dauphin Rot deutete beim Hinausgehen eine spöttische Verbeugung an, während der Zwerg doch bereits beachtlich schwankte und deshalb nur mit Hilfe von Diave und ihrem Liebsten die für Menschen gedachte Treppe hinauf kam. Lady Peckinpah hakte sich ungefragt bei dem Barden unter und lotste ihn in Richtung ihres Zimmers. Sein Gesichtsausdruck sprach dabei Bände, doch Geralt hatte so eine Vorahnung, dass Rittersporn den Absprung rechtzeitig schaffen würde, bevor er ein Opfer von Lady Peckinpahs schier unersättlich scheinender Libido wurde. Schließlich blieben nur noch er und der Soldat übrig, wenn man von der Leiche einmal absah.
„Nun, Geralt von Riva“, redete ihn der Soldat zum ersten und letzten Mal mit seinem richtigen Namen an, „diese Aufforderung gilt auch für Euch! Am besten nehmt Ihr ein Zimmer im zweiten Stock, da seid Ihr vollkommen ungestört.“
„Zumindest wird es dort komfortabler sein als in Vincent Meis’ Privatpension. Gitter habe ich heute schon genügend gesehen. Was werdet Ihr jetzt tun, bis der Hauptmann eintrifft?“
Flith strich über sein Gesicht.
„Ich werde mir die Nacht um die Ohren schlagen und Wache halten. Was sonst? Wir wollen schließlich nicht, dass noch jemand zu Schaden oder - Melitele bewahre - gar zu Tode kommt!“
Geralt griff nach der Schulter des Soldaten und nickte.
„Wohlan, Flith. Wenn Ihr abgelöst werden wollt, dann wisst Ihr ja, wo Ihr mich findet.“

Lodaran lauschte. Es dauerte eine Weile, bis Ruhe in die Räume der anderen einkehrte, nachdem die Türen hinter ihnen laut zugefallen und die Schlüssel hörbar in den Schlössern herumgedreht worden waren. Als er sich ganz sicher war, dass keiner mehr einen Mucks von sich gab, sprang der Zwerg lautlos und für einen Betrunkenen recht behände aus dem Bett und öffnete vorsichtig die Tür zum Flur. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, ohne Lichtquelle im Dunkeln voranzukommen, hatten Zwerge doch von Natur aus ausgezeichnete Augen, die in den unterirdischen Stollen im Berg auch vonnöten waren. Auch jetzt leisteten sie ihm gute Dienste.
Pah, auf den Schatz sollte er verzichten? Was dachten sich diese Menschen eigentlich? Diese einfältigen, dummen Menschen. Es war fast zu leicht gewesen, diesen Idioten den wortkargen, etwas dümmlichen Zwerg vorzuspielen, der keinen Alkohol vertrug. Selbst diesen seltsamen Zuckerbäcker hatte er mit seiner gelungenen Vorstellung ganz und gar überzeugen können. Nur der Elf schien Lunte gerochen zu haben. Verdammte Spitzohren! Er würde sich später mit Vergnügen um den Elf kümmern …
Kein Schatz? Vincent Meis’ Speichellecker mochte vielleicht die anderen von seinem Ammenmärchen überzeugt haben, doch er war es nicht. Sicherlich gab es hier so etwas wie einen Schatz. Alte Häuser waren dafür bekannt, dass es in ihnen von Geheimverstecken und verborgenen Winkeln nur so wimmelte. Das Haus hatte einst einem reichen Pfeffersack aus Wyzima gehört, der unter mysteriösen Umständen verschwunden war. Seine Erben hatten das Haus tagelang auf den Kopf gestellt, doch weder ein Testament, noch auch nur eine einzige Münze des Vermögens gefunden. Hihi, Menschen! Hatten einfach nicht den richtigen Riecher für solche Dinge. Er schon und deshalb würde er auch finden, woran andere gescheitert waren. Und dann gehörte alles ihm!
„Mein Schatz“, murmelte er kichernd, um sich im nächsten Augenblick auf den Mund zu schlagen. Zunächst einmal ging es darum, diesem Schergen von Meis aus dem Weg zu gehen. Das gelang ihm einfacher, als er gedacht hätte. Der Mann saß in einem hohen Stuhl direkt vor dem Kamin und sein Schnarchen war kaum zu überhören. Menschen, dachte er erneut verächtlich, einem Zwerg wäre das nicht passiert!
Vorsichtig setzte Lodaran seinen Weg fort. Er wusste genau, wo er mit seiner Untersuchung beginnen wollte. Im Arbeitszimmer des Pfeffersacks.

Diave reckte und streckte sich. Langsam dehnte sie ihre erhitzte Muskulatur und blickte lächelnd auf Val Percy herab, der mit offenem Mund neben ihr lag.
„Ich hoffe, für dich war es genauso schön wie für mich, Liebster“, flüsterte sie leise und schloss behutsam seine blutunterlaufenen Augen. Sanft küsste sie ihn auf die Stirn, bevor sie aufstand.
Der junge Adelige, sofern er wirklich einer gewesen war, hatte sich als härtere Nuss herausgestellt als anfangs gedacht. Sie hasste die Nummer als unschuldige Maid, die sich bei dem ersten Anzeichen von Schwierigkeiten in die starken Arme eines Mannes flüchtete, doch das war immer noch eine ihrer besten Maskeraden. Männer waren so berechenbar. Man brauchte nur ihren Beschützerinstinkt zu wecken, ein wenig mit den Brüsten zu wackeln und in blumigen Worten ab und an einfließen zu lassen, das man durchaus gewillt war, mit ihnen die Daunen fliegen zu lassen. Idioten!
Sie waren zu zweit auf sein Zimmer gegangen, schließlich hatte es dieser Kerl von der Stadtwache ja nicht ausdrücklich verboten.
„Was er nicht weiß, macht uns erst heiß“, hatte sie Val mit heiserer Stimme zugeflüstert und nach der eindeutigen Reaktion unter seinen Beinlingen zu urteilen, war Val mit ihrer Einschätzung der Lage durchaus einer Meinung gewesen. Dieser Narr.
In seinem Zimmer angekommen, hatten sie sich nicht allzu lange mit Nebensächlichkeiten aufgehalten. Überraschend gekonnt hatte er ihr das Kleid vom Körper geschält und recht fantasievoll sofort mit dem Vorspiel begonnen, in einer Weise, die selbst sie nach kurzer Zeit auf Touren gebracht hatte. Es geschah selten, dass man die Arbeit auf so angenehme und erregende Weise mit dem Vergnügen verbinden konnte. Natürlich hatte der Spaß ein jähes Ende gefunden, als seine forschen Finger auf die Ungereimtheit in ihrer Vita gestoßen waren:
„Du bist ja überhaupt keine Jungfrau!“
„Und du wirst keinem mehr davon erzählen können“, antwortete sie kühl und griff nach dem zweiten Kopfkissen, um es dem Adeligen aufs Gesicht zu pressen, während ihre starken Lenden seine rechte Hand an Ort und Stelle gefangen hielten. Er versuchte sich krampfhaft mit links zu wehren, doch das war nicht seine starke Seite. Sie lachte leise auf, lockerte das Kissen, sodass er ein wenig Luft bekam, bevor sie wieder zudrückte. Das tat sie einige Male, bis sie beim letzten Mal einen scharfen Schmerz an ihrem Arm spürte. Ein dünnes Rinnsal Blut lief ihren Oberarm hinab, doch zum Glück ging der Schnitt nicht allzu tief. Mit einem Knurren schlug sie Val Percy das große Messer aus der Linken und drückte das Kissen anschließend mit aller Kraft auf sein Gesicht.
Wo hatte er nur plötzlich das Messer her? Er musste es unter seinem Kopfkissen versteckt haben, um … ein leiser Schauder lief über ihren Rücken, als ihr klar wurde, dass sie es nur ihrer fehlenden Jungfräulichkeit zu verdanken hatte, dass sie nun ihn tötete und nicht umgekehrt.
„Wer zum Teufel bist du nur gewesen?“, hatte sie seine weit aufgerissenen Augen nach vollbrachter Tat gefragt. Die Antwort war er ihr allerdings schuldig geblieben.
Behutsam versorgte Diave ihre Wunde und bedeckte ihren noch verschwitzten Körper mit einem hautengen schwarzen Dress. Ganz gleich, wer er auch gewesen sein mochte: Er hatte versagt. Ihr würde das nicht passieren, dafür war sie zu sehr Profi. Nur noch acht …

Flith hatte einen leichten Schlaf, den er sich während der unzähligen langweiligen Wachen im Kerker von Wyzima rasch angewöhnt hatte. Man konnte nie wissen, wann Vincent Meis einen seiner berüchtigten Kontrollgänge machte, nach denen man sich leicht auf der anderen Seite der Gitter wiederfinden konnte, wenn man das Pech hatte, von ihm schlafend angetroffen zu werden. Die Aussicht, eine längere Zeit mit dem Abschaum von Wyzimas Straßen, den man zum Teil selbst eingebuchtet hatte, in einer Zelle verbringen zu müssen, war das letzte, was er sich vorstellen wollte. Normalerweise schnarchte er nicht, doch in diesem speziellen Fall tat er es doch, galt es doch die anderen Gäste auch akustisch glauben zu lassen, er würde tatsächlich schlafen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Mörder aus seinem Versteck kroch und sein Werk fortsetzen würde. Da er jedoch der einzige war, der sich nicht hinter einer verschlossenen Tür befand, würde der Mörder ohne Zweifel sein Glück erst einmal bei ihm versuchen. Flith saß vor dem Kamin wie auf einem Präsentierteller.
Er hatte nicht lange zu warten brauchen, bis er die ersten Geräusche hörte, die sich ihm vorsichtig näherten. Durch einen schmalen Spalt seiner sonst geschlossenen Augen erkannte Flith zu seiner Überraschung den Zwerg.
Sieh einer an, dachte er bei sich und grinste innerlich, so besoffen warst du also doch nicht, Lodaran! Ich hätte eigentlich eher mit dem Elf gerechnet, aber was soll’s? Ein Anderling ist so gut wie der andere.
Seine Rechte umklammerte die eisernen Handfesseln, die er unter seinem Wams versteckt hielt, doch er konnte sie nicht einsetzen, denn als der Zwerg sein lautes Schnarchen vernahm, drehte er ab und verschmolz wieder mit der Dunkelheit.
Nanu, was soll denn das nun? Behutsam schälte sich der Soldat aus dem Lehnstuhl vor dem Kamin, weiterhin Schnarch-Geräusche imitierend. Wohin wollte der Zwerg? War er etwa doch nicht der Mörder?
Ein lautes Zischen lenkte ihn von dem Zwerg ab. Er fuhr herum und konnte gerade noch beobachten, wie das Feuer im Kamin erlosch.
„Was zum Teufel ...“, murmelte er und stellte sich vor den gemauerten Sims. Vorsichtig steckte er seinen Kopf in die immer kälter werdende Feuerstelle. Der Grund für das plötzliche Erlöschen war rasch gefunden. Schnee. Eine ganze Ladung davon war durch den engen Schacht nach unten gefallen und hatte … doch still, was war das? Er konnte ein dumpfes Geräusch hören, das aus dem Kamin kam. Langsam schob Flith seinen Körper in die Öffnung hinein und blinzelte empor. Er sah fast nur Schwärze doch am Ende leuchtete wie ein Licht in einem dunklen Tunnel ein weißer Fleck auf, der im nächsten Moment wieder verschwand, um einer weiteren Ladung Schnee Platz zu machen, der er nicht mehr ausweichen konnte. Fröstelnd schüttelte er die weiße Masse ab.
Verdammt, da war jemand auf dem Dach! Gab es etwa einen heimlichen Ausgang durch den Kamin? Er tastete sich vor und ergriff nach kurzer Suche einen metallischen Bügel und kaum eine Handbreit darüber noch einen. Ein Ausstieg! Ohne weiter darüber nachzudenken erklomm er die Metallbügel, einen nach den anderen. Dieser Kerl würde ihm nicht entwischen, das war sicher!
Der zehnte Bügel war mit einem dünnen Draht verbunden, der riss, als der Soldat ihn berührte, und damit eine Kettenreaktion in Gang setzte, die nicht mehr aufzuhalten war. Im oberen Drittel des Kamins lösten sich einige, vorher gelockerte Steine und fielen auf ihn herab. Flith hatte keine Möglichkeit ihnen auszuweichen, sodass gleich der erste schwere Brocken seinen Schädel arg krachen ließ, ohne ihn jedoch sofort zu töten. Im Fall verkanteten sich seine Gliedmaßen derart im schwarzen Gemäuer, dass er kurz über der offenen Feuerstelle mit einem lautlosen Schrei steckenblieb.
„HoHoHo!“, dieses bemerkenswerte tiefe Lachen war das letzte, was der Angehörige der Stadtwache noch bewusst wahrnahm, bevor der nächste Stein sein Gehirn völlig zu Mus zerstampfte.

Geralt konnte nicht schlafen. Zu sehr drehten sich seine Gedanken noch um die Ereignisse des letzten Tages. Wer war der Mörder? War es wirklich nur noch einer oder hatte er etwa einen entscheidenden Hinweis übersehen, der ihm die Lösung näher gebracht hätte?
Auf- und abgehend wälzte er diese und andere Gedanken immer und immer wieder in seinem Kopf herum, bis ihm fast schwindelig wurde davon. An Schlaf war nicht zu denken. Gerade war er wieder auf seiner Runde durchs Zimmer an seinem Bett angekommen, als er ein Geräusch an der Tür hörte.

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Witchers News, Jg. 3, Weihnachtsspecial Nr. 3 vom 23.12.2012, S. 3-35


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