Witchmas Whodunit - tödliche Weihnacht


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http://journal.the-witcher.de/media/content/wn-xmas3_zuckerst_s.pngDas Arbeitszimmer war groß und geräumig und Lodaran wagte es, eine Lampe anzuzünden, nachdem er die einzige Tür zum Zimmer hinter sich zugezogen hatte. Nachdenklich betrachtete er die unzähligen Regale an den Wänden, die mit einer Flut von Pergamenten, Folianten und aufgerollten Verträgen vollgestopft waren. Bewundernd blieb sein Blick an der umfangreichen Waffensammlung hängen, die der ehemalige Besitzer dazwischen wie Trophäen aufgehängt hatte. Eines musste man dem Pfeffersack lassen: in der Wahl der Waffen hatte er eindeutig Geschmack bewiesen. Es waren einige sehr schöne wie auch seltene Exemplare dabei, die er sich genauer ansehen würde, wenn er gefunden hatte, wonach er suchte.
Geschickt strichen seine Hände am Holz entlang, suchten nach verborgenen Mechanismen, die geheime Räume öffneten, wurde aber zu seinem Bedauern nicht fündig. Enttäuscht setzte er sich auf den mit rotem Leder gepolstertem Stuhl an den Schreibtisch und wühlte sich mehr lustlos als interessiert durch die unzähligen Schubladen, die mit allerlei Papieren und wertlosem Krimskrams angefüllt waren. Die unterste ließ sich nicht vollständig herausziehen, denn knapp nach der Hälfte klemmte sie fest. Er rüttelte daran, doch sie bewegte sich kein Stück.
Interessiert kletterte er vom Stuhl herab und warf einen Blick auf den Unterboden der Lade, legte eine Hand auf das glattpolierte Holz und spürte einen leichten Widerstand, den er mit einigen geschickten Bewegungen schließlich zur Aufgabe zwang. Ein leises Klicken ertönte und hinter ihm in der vertäfelten Wand erklang das so wohlvertraute Schnarren einer Feder.
„Na also, geht doch“, dachte er bei sich und machte sich daran, die einzelnen, kunstvoll verzierten Holzquadrate näher zu untersuchen, bis er schließlich jenes fand, hinter welchem sich das geheime Versteck befand. Allzu groß schien es nicht zu sein, aber immerhin groß genug, um Platz für Beutel mit Perlen und Edelsteinen, kleinen Gold- und Silberbarren zu bieten, die allesamt leichter zu transportieren waren als irgendeine voluminöse Schatztruhe. Und nicht minder wertvoll.
Dem Zwerg lief vor Erwartung schon das Wasser im Munde zusammen. Zugegeben, eine seltsame Angewohnheit, da es hier ja um Wertgegenstände ging und nicht um ein Fünf-Gänge-Menü im besten Hause Wyzimas.
Seine Hände waren ganz ruhig, als er die Holzplatte eindrückte und sah, wie diese langsam zur Seite und hinter der nächsten Platte verschwand, um den Blick auf ein schwarzes Loch freizugeben. Ein neues Schnarren erklang, gefolgt von einem Klicken.
Noch ein Geheimfach? Er streckte den Kopf vor, um besser sehen zu können, als etwas rot-weiß gestreiftes aus der dunklen Öffnung hervorgeschnellt kam und sich direkt in seinen Schädel bohrte. Er verdrehte die Augen, bis er endlich sah, was ihn da genau getroffen hatte.
„Eine Zuckerstange?“, ächzte er ungläubig. Zu seinem Glück besaßen Zwerge einen ziemlichen Dickkopf, sodass das Geschoss aus der verborgenen Armbrust, die er nun deutlich erkennen konnte, nicht tödlich gewirkt hatte. Er brauchte sie nur herauszuziehen und dann ...
„Hände weg von der Zuckerstange“, ausgerechnet die flache Seite eines Zwergenhammers traf seine Hüfte. Stöhnend ging er zu Boden. Er wandte sich herum und erblickte über sich Lady Peckinpah mit wutverzerrtem Gesicht und besagtem Hammer hoch über ihrem Kopf erhoben.
„Diese Falle war nicht für dich bestimmt, Zwerg!“ Sie blies eine rote Strähne aus ihrem Gesicht, umfasste den Hammer neu und schwang ihn bedrohlich hin und her. „Nun gut, sie erfüllt trotzdem ihren Zweck. Warum habt ihr Zwerge auch nur solche verdammten Dickschädel?“
Der Hammer sauste herab und trieb die harte Zuckerstange tiefer in den Kopf des Zwerges Lodaran Silberschmied hinein, dessen Körper noch einige Male zuckte, bevor er regungslos liegenblieb.
„Alles muss man aber auch selber machen“, fluchte Lady Peckinpah und wischte etwas glibberiges Zwergenhirn aus ihrem Gesicht.
„Und mein Makeup hast du Idiot auch noch ruiniert“, zischte sie und versetzte dem leblosen Körper einen letzten demütigenden Tritt, bevor sie den besudelten Hammer auf den Schreibtisch legte und den Raum durch die geheime Tür verließ, durch die sie unbemerkt eingetreten war und die der Zwerg übersehen hatte.

Die verdächtigen Laute vor seiner Tür verstummten ebenso schnell, wie sie gekommen waren. Einen Moment lang hatte Geralt geglaubt, jemand schicke sich an, sein Zimmer zu betreten. Natürlich hatte er die Tür hinter sich abgeschlossen, als er sich in seine Unterkunft zurückgezogen hatte. Vielleicht spielten ihm seine über alle Maßen geschärften Sinne auch nur einen Streich. Er begann ja schon überall Verrat und Mord zu wittern! Das war gar nicht gut. Wahrscheinlich war es nur der Soldat Flith gewesen, der seine Runden durch das Haus drehte, um sicherzustellen, dass sich wirklich alle an seine Anweisungen hielten. Wenn das aber der Fall sein sollte, warum hörte der Hexer dann nicht seine festen Schritte im Flur vor der Tür? Flith hatte es nun wirklich nicht nötig, sich als Leisetreter zu verdingen.
Nein, draußen schlich jemand auf leisen Sohlen durch die Gegend und wer immer das auch sein mochte, eines war klar: Er oder sie führte nichts Gutes im Schilde.
Der Hexer beschloss, der Sache nachzugehen. Es tat ihm bestimmt gut, sich ein wenig die Beine außerhalb seines Zimmers zu vertreten, allein schon, um etwas Abstand zu seinen Gedanken zu bekommen, die sich ohnehin nur im Kreise drehten. Bei der Gelegenheit konnte er gleich bei Meis‘ Untergebenem vorbeischauen, ob dieser eine Ablösung oder Hilfe in anderer Form benötigte.
Leise öffnete Geralt von Riva die Tür. Den Schlüssel nahm er heraus und drehte ihn von außen im Schloss. Es tat nicht Not, dass sich in seiner Abwesenheit womöglich noch jemand bei seinen Habseligkeiten zu schaffen machte. Nicht, dass dies viel gewesen wäre, da seine übrigen Hexersachen wohlbehütet im Hause von Triss lagen, wo die Zauberin ein Auge darauf hatte; doch es wäre äußerst schade um seine beiden Schwerter gewesen, die er unbemerkt in einer speziellen Doppelscheide unter dem langen pelzbesetzten Mantel seiner Maskerade als Zuckerbäcker verborgen und so ins Haus geschmuggelt hatte.
Nein, seine Schwerter brauchte er jetzt nicht. Der kleine silberne, mit funkelnden Edelsteinen besetzte Dolch, den Triss ihm förmlich aufgedrängt hatte und den er nun gut versteckt im weiten Ärmel trug, würde vollkommen ausreichen. Er bezweifelte, dass er mit diesem Spielzeug bei einem Gegner ernstlich Schaden anrichten konnte, doch er wusste genau, wie die Menschen so tickten. Meist ließ sie schon der Anblick eines Dolches oder einer anderen Waffe schnell alle Dummheiten vergessen, die sie zu begehen gerade im Begriff gewesen waren.
Geralt kam nicht weit. Sein Zimmer lag am Ende des Ganges im zweiten Stock. Bislang war er davon ausgegangen, dass er allein dort residierte, musste sich nun aber eines Besseren belehren lassen, als er am Absatz der Treppe in den ersten Stock fast in eine Tür hineinlief, die sich plötzlich und unerwartet vor ihm öffnete. Der Anblick, der sich ihm dann allerdings bot, ließ den Beinah-Zusammenstoß wie eine Lappalie wirken.
Der Elf Dauphin Rot trat aus seinem Zimmer. Er trug einen knielangen seidenen Morgenmantel, der mit gelben und grünen Rankenmotiven bestickt war und der mehr durchscheinen und erkennen ließ, als dem Hexer lieb sein konnte. Sein langes blondes Haar verhüllte ein feinmaschiges schwarzes Netz und auf seiner Stirn prangte eine dunkle Schlafbrille, die wohl in aller Hast hochgeschoben wurde, denn sie saß ein wenig quer. Besonders ins Auge fielen dem Hexer die Lippen des Elfen. Sie glänzten seltsam in einem hellen Rosa. Hatte er sich etwa eine Creme ins Gesicht geschmiert? Ein scharfer Geruch nach frischer Zitrone lag in der Luft. Geralt deutete eine Verbeugung an.
„Ah, Ihr seid es, Dauphin“, grüßte er ihn lächelnd und schnupperte. „Fast hätte ich Euch nicht wiedererkannt. Sagt mir, ist das Zitrone, die ich da rieche?“
Der Elf nickte gelangweilt.
„Durchaus, Meister Weißbart, das habt Ihr richtig erkannt. Was da so duftet ist meine Spülung. Mein Haar leidet seit einiger Zeit unter Spliss, deshalb auch das Haarnetz“, erklärte er zwanghaft lächelnd und folgte Geralts prüfendem Blick. „Ja, und ich trage einen Wolfsaloebalsam gegen rissige Lippen und eine Creme aus Feainnewedd für die Nacht. Was schaut Ihr so?“, fragte er ein wenig gereizt. „Glaubt Ihr etwa, Ihr seid besser dran? Ich rieche Holunderrinde schon von weitem, außerdem scheint am Ansatz Eure wahre Haarfarbe durch. Weiß, nicht wahr – Gwynbleidd?“
Geralt ließ sich nichts anmerken.
„Dass mir das nicht eher aufgefallen ist?! Das Vergener Puder hab ich ja schon aus zehn Metern Entfernung gesehen. Dachte, Ihr seid einer jener Männer, die es etwas femininer mögen, doch spricht Eure helle Haut am Halse dagegen. Also kaschiert das Puder etwas. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich …?“, ungeniert strichen Dauphins Finger über Geralts linke Gesichtshälfte. „Dachte ich´s mir doch!“ Vorsichtig rieb er die Finger aneinander. “Interessant. Gummi aus eingedicktem Pflanzensaft. Euer Maskenbildner hat wahrlich Fantasie bewiesen. Was hat er gegen Eure mutierte Augen unternommen?“
„Schweinelinsen. Fragt nicht nach Details …“
Der Elf lächelte herzhaft.
„Woher kennt Ihr mich, Dauphin? Sind wir uns schon einmal begegnet?“
Der Angesprochene strich nachdenklich mit seinen sorgsam manikürten Fingern über sein spitzes Kinn.
„Das ist durchaus möglich. Ich hatte mich eine gewisse Zeit lang den Scoia´tael unter Iorweths Befehl angeschlossen, allerdings rasch festgestellt, dass diese ganze Eichhörnchensache doch nicht das Richtige für mich war ...“
Der Elf steckte seine Hände in die Taschen seines Morgenmantels, wodurch sich dem Hexer ungewollt ein tiefer Einblick in die Physiologie des Anderlings darbot. Krampfhaft versuchte er, seinen Blick nicht dorthin schweifen zu lassen, doch seine Neugier siegte letztendlich. Er war recht überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet, vor allem nicht mit dem strohblonden Naturton. Die Spülung half also nicht nur gegen Spliss. Der Elf fuhr währenddessen mit seinem Bericht fort.
„… der ganze Schmutz, diese undurchdringlichen Wälder und ständigen Waffenübungen brachten mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Über allem hing zudem der Geruch von unzähligen ungewaschenen Männerkörpern, das war einfach nicht auszuhalten. Wisst Ihr eigentlich, wer nach fünf Tagen Manöver im tiefsten Dickicht schlimmer stinkt? Zwerge oder Elfen? Ich sage Euch: Es macht keinen Unterschied. Sie stinken beide einfach bestialisch. Als ich dann den ersten allergischen Ausschlag bekam, machte ich mich bei Nacht und Nebel vom Acker. Nein, meine Sache war das nicht …“
„Ich kannte Iorweth, ein guter Mann. Ihr erinnert mich ein wenig an ihn, wenn ich es mir recht überlege …“
Der Hexer kam nicht mehr dazu, diesen Gedanken zu vertiefen, denn im ersten Stock knallte eine Tür, etwas ging zu Bruch und ein Schrei erklang, der von einem Augenblick zum nächsten plötzlich abriss. Geralt und Dauphin sahen sich an und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, sprinteten beide los, der Elf vorneweg.
Ich hätte ihm noch dazu raten sollen, etwas anderes anzuziehen, dachte Geralt, während er auf die festen Hinterbacken des Elfen starrte, die der flatternde Morgenmantel im Lauf immer wieder freilegte. Immerhin hat er sich da nicht auch noch etwas drauf geschmiert.
Im ersten Stock trafen sie auf Lady Peckinpah, die gerade von unten die Treppe heraufgeeilt kam. Zu Geralts Erleichterung war sie noch nicht dazu gekommen, sich für die Nacht fertig zu machen. Noch ein Negligé hätte er wirklich nicht ertragen können.
„Was ist hier los?“, fragte sie atemlos.
„Seht doch“, Dauphin wies auf eine Tür, die halb offen stand, „das ist das Zimmer des Barden und da liegt auch seine Laute! Zumindest das, was davon noch übrig ist.“
Der Elf hob das in mehrere Teile zerbrochene Musikinstrument auf und musterte es, bevor er es wieder auf den Bogen legte.
„Eine Wald- und Wiesenlaute, recht billig. Sogar eine Saite fehlt. Ich hätte Rittersporn schon etwas mehr Geschmack zugetraut.“
Geralt hörte nicht auf die Worte des Elfen sondern drängte ihn etwas rüde beiseite, denn er ahnte übles, und zu seinem Leidwesen bestätigte sich seine böse Vorahnung auch zugleich. Auf dem Boden in unmittelbarer Nähe der Tür lag der leblose Körper des Barden. Sein Gesicht war purpurblau angelaufen, zu dem seine hässlich hervorgequollenen Augen einen makabren Kontrast bildeten. Das Grauen war von Gevatter Tod tief in Rittersporns Gesicht gegraben worden, der mit verkrampften Händen noch verzweifelt versucht hatte, die Lautensaite, die sein Mörder ihm um den Hals geschlungen hatte, um ihm die Luft abzudrücken, abzuwehren, aber vergeblich. Tief hatte sie sich ihren Weg durch Stoff und Fleisch gebahnt und dabei erstaunlich wenig Blut vergossen. Wer immer der Mörder gewesen war, er hatte sein Handwerk verstanden.
Der Hexer kniete nieder. Mechanisch prüfte er Puls und Atmung, wie er es einst von Vesemir in Kaer Morhen gelernt hatte, obwohl selbst ein Blinder sehen konnte, dass der Barde tot war, doch es dauerte noch eine geraume Weile, bis diese Erkenntnis auch bis zu Geralt vordrang. Dann jedoch traf sie ihn mit voller Wucht.
Geralt erstarrte. Mit einem Schlag fühlte er sich vollkommen leer. Er hätte genauso gut neben dem Barden liegen können, so leblos kam er sich in diesem Moment selbst vor. Irgendetwas in ihm starb gerade, brachte sein Herz dazu, nur noch wenige Male in der Minute zu schlagen. Die Welt um ihn herum verlangsamte sich, versank in Dunkelheit. Er sah nur noch Rittersporn vor sich, hörte sein spöttisches Lachen und dachte an all die spitzfindigen Bemerkungen, die er im Laufe der Jahre von sich gegeben hatte. Erinnerungen an gemeinsam bestandene Gefahren und Abenteuer überfluteten ihn wie ein Sturzbach und ehe er sich´s versah - er wusste gar nicht, was er da tat - ergriff er den schlaffen Körper des Barden und wiegte ihn zärtlich in seinen Armen. Geralt spürte, wie seine Augen feucht wurden, warf seinen Kopf in den Nacken: Ein lautloser Schrei löste sich von seinen Lippen und stieg zur Decke des Zimmers empor, wo er ungehört verhallte.
Die anderen schwiegen. Ohne zu fragen, wussten und spürten sie, dass sich hier ein Freund von dem anderen verabschiedete. Die Intensität, mit der dies jedoch geschah, überraschte sie hingegen. Sie warteten einige Minuten, bis der Hexer plötzlich aufstand, die Leiche des Barden aufhob und sie zum Bett brachte, wo er Rittersporns sterbliche Überreste niederlegte und liebevoll mit der Überdecke des Bettes verhüllte. Einen Augenblick lang verharrte er noch im stillen Gedenken, dann wandte er sich ab, straffte seine Gestalt und blickte den anderen entgegen, das Gesicht zu einer undurchdringlichen Maske erstarrt. Nur seine Tränen verrieten ihn, doch er schämte sich ihrer nicht. Sie waren sein letzter Tribut an den Freund.
Ein weiterer Schrei zerriss die Stille, laut und hysterisch und im Gegensatz zu Rittersporns Todesschrei schien dieser kein Ende nehmen zu wollen, wenn man von den kurzen Pausen, in dem Luft geholt wurde, einmal absah.
„Das ist Diave“, bemerkte Lady Peckinpah, nachdem sie sich von ihrem ersten Schreck sichtbar erholt hatte. Ihre Hände flatterten noch wie aufgeregte Kolibris vor ihrer Brust.
„Von wo mag der Schrei gekommen sein?“, mutmaßte der Elf. Der Hexer runzelte die Stirn.
„Auf alle Fälle von unten“, antwortete er und hielt den Elf an der Schulter zurück, bevor dieser wieder wie zuvor die Initiative ergreifen und voranpreschen konnte.
„Dauphin“, flüsterte er ihm zu, „ich an Eurer Stelle würde mir lieber etwas weniger Aufreizendes anziehen, bevor Lady Peckinpah Euch noch mit Haut und Haaren verschlingt. Sie scheint äußerst an Eurem enormen Gehänge, welches Ihr ja recht unverblümt zur Schau stellt, interessiert zu sein, so wie sie sich die Lippen leckt …“
Der Elf errötete und nickte schließlich zustimmend.
„Es wurde tatsächlich ein wenig luftig untenrum. Ich folge Euch, sobald ich etwas Passendes übergeworfen habe. Habt Dank!“

Sie fanden Diave völlig aufgelöst im Arbeitszimmer, wo sie über die Leiche des Zwerges gestolpert war. Sie flüchtete in die Arme von Lady Peckinpah, die sie umgehend umarmte und ihr tröstend über das Haar strich. Nur kurze Zeit später, Geralt war noch dabei, Lodarans toten Körper zu untersuchen, betrat auch der Elf den Tatort. Er hatte sich Beinlinge angezogen und dazu ein blütenweißes Leinenhemd, das er vorne allerdings nicht geschlossen hatte, sodass man immer noch in den Genuss des Anblicks seiner definierten Bauch- und Brustmuskeln kam.
Der Depp rafft es einfach nicht, dachte Geralt und verdrehte unbemerkt die Augen, als er kurz aufsah, um Dauphins Erscheinen zu registrieren.
„Kein besonders schöner Anblick“, bemerkte Geralt, stand auf und säuberte sich die Hände an seinen Hosenbeinen.
„Wer macht denn bloß so etwas?“ Lady Peckinpah war vollkommen fassungslos. Einige Strähnen ihrer roten Turmfrisur hatten sich gelöst und hingen ihr im Gesicht. Ihr Make-up war derangiert und unter ihren Augen befanden sich dunkle Schatten. Anscheinend hatte sie keine gute Nacht erlebt.
„Das ist noch nicht alles“, der Elf wies mit einer Hand nach oben und sprach an Geralt gerichtet etwas leiser : „In einem anderen Zimmer habe ich gerade die Leiche von Val Percy gefunden. Irgendjemand hat ihn erstickt, wahrscheinlich mit einem Kissen.“
Dauphin blickte Geralt an und sah ihm genau in die Augen, als erwarte er, dort eine Antwort auf all ihre Probleme finden zu können. Der Hexer würde schon wissen, was jetzt zu tun sei, dessen war sich der Elf sicher. Er fand jedoch in den menschlich wirkenden Augen seines Gegenübers … nichts. Gwynbleidd wirkte seltsam apathisch, als könne er all die Informationen und Ereignisse der letzten Stunden nur schwer in Einklang bringen mit seinen bisherigen Erfahrungen. Bislang war er immer derjenige gewesen, der das Heft des Handelns in seinen Händen gehalten hatte. Nun wirkte er mehr wie ein Getriebener, der die Fäden des Schicksals aus den Augen verloren hatte, statt mit ihnen sein eigenes Muster zu weben.
Diave schrie auf und presste ihr Gesicht gegen den mütterlichen Busen der Lady, die ihre Streicheleinheiten daraufhin verstärkte und mit leisen Worten beruhigend und sanft auf sie einzuwirken begann.
„Was tun wir denn jetzt?“, verlangte sie zu wissen.
Geralt wusste es auch nicht. Seine Gedanken rasten, führten aber zu keinem brauchbaren Ergebnis. Rittersporn hätte jetzt mit einer flapsigen aber zutreffenden Bemerkung seine verkrusteten Gedankengänge aufgebrochen, um Platz für die Lösung zu schaffen.
Rittersporn!
Geralt schloss die Augen. Er war so müde. Am liebsten hätte er sich jetzt auf den Boden gesetzt und nichts getan. Sollten doch die anderen die Suppe auslöffeln, die ihnen wer weiß wer eingebrockt hatte! Was hatte er mit ihnen denn zu schaffen? Er war einzig aus dem Grund hierher gekommen, weil er seinen Freund vor dem beschützen wollte, was letztlich doch geschehen war: Rittersporn war tot! Er hatte versagt und das würde er sich nie verzeihen. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er bereits vor Stunden mit dem Barden diesen vermaledeiten Ort verlassen. Lebend …
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Das einzige, was er nun noch für seinen toten Freund tun konnte, war seinen Tod aufzuklären und denjenigen zur Verantwortung zu ziehen, der sich mit des Barden Blut die Hände beschmutzt hatte. Dafür würde er jetzt sogar diese lächerliche Maskerade aufrecht erhalten, wenn es ihn seinem Ziel näher brachte.
„Wir sollten uns alle zusammen an einen Ort begeben, wo wir sicher sind“, schlug Dauphin vor. „Am besten in der großen Halle, bis Hauptmann Meis in ein paar Stunden hier eintrifft.“
Lady Peckinpah schnaubte spöttisch.
„Wenn er denn eintrifft“, warf sie süffisant ein, „bislang haben wir nur das Wort eines angeblichen Untergebenen von ihm ...“
„Er hat uns doch allen sein Siegel gezeigt!“
„Das ebenso gefälscht sein könnte, Elf“, erwiderte sie. „Überhaupt, wo steckt dieser Mistkerl eigentlich? Hat ihn jemand gesehen?“
Die anderen verneinten. Geralt wusste, dass Flith der war, für den er sich ausgab, konnte dies den anderen aber nicht mitteilen, wenn er nicht seine eigene Tarnung auffliegen lassen wollte. Trotzdem sprach nichts dagegen, dem Soldaten mal ein wenig auf den Zahn zu fühlen, denn Geralt kamen allmählich auch Zweifel an der Rolle, die der Soldat in diesem Stück spielte. War er vielleicht der Diener zweier Herren?
„Soweit ich weiß, wollte er in der großen Halle Wache schieben“, warf er schließlich ein. „Vielleicht haben wir ihn schlicht übersehen oder er hält gerade ein Nickerchen.“
“Dann lasst uns nachsehen!“
„Nach Euch, Dauphin!“

Der Empfangssaal, in dem immer noch der bedeckte Leichnam des Mannes mit der roten Weste lag, war leer. Er war recht überschaubar und außer ein paar metallenen Handfesseln, die neben dem Stuhl am erloschenen Kamin lagen, gab es vom Soldaten Flith keine Spur. Die Anspannung unter den Anwesenden wuchs spürbar.
„Ich hatte doch recht mit meiner Vorahnung“, zischte Lady Peckinpah, „er muss der Mörder sein! Wir waren schön blöd, ihm vorbehaltlos zu vertrauen und auf ihn zu hören. Geht in eure Zimmer, pah, damit er uns einen nach den anderen meucheln kann!“ Ihre Stimme überschlug sich fast. Diave zuckte zusammen. Ihre Tränen trockneten allmählich und nur ab und an stahl sich ein holpriger Seufzer aus ihrer Brust. „Ich sag euch“, fuhr die Lady fort, „der Soldat ist unser Mörder! Wir müssen ihn finden und zur Strecke bringen!“
Ein aufgeregter und lautstarker Disput zwischen den dreien entbrannte, aus dem Geralt sich wohlweislich heraus hielt. Er dachte sich stattdessen seinen Teil. Schließlich trat er zwischen die heftig diskutierenden Kontrahenten, bevor sie noch anfingen, aufeinander loszugehen.
„Meine Damen … und werter Elf, es bringt doch nichts, Vermutungen und wilde Anschuldigungen in den Raum zu werfen, die wir weder beweisen noch leugnen können. Ich schlage vor“, sagte er und sah in die vom Streit erhitzten Gesichter, „dass wir losziehen und Flith suchen gehen. Vielleicht wurde ja auch er ein Opfer unseres Mörders oder liegt verletzt in einer dunklen Ecke und braucht unsere Hilfe. Vielleicht ist er der Mörder, vielleicht aber auch nicht? Das werden wir allerdings erst mit Sicherheit wissen, wenn wir ihn gefunden und befragt haben. Was denkt ihr?“
Die anderen sahen sich an und stimmten schließlich zu.
„Wir sollten uns in zwei Gruppen aufteilen“, schlug der Elf vor. Geralt fand den Vorschlag vernünftig. „Wenn niemand etwas dagegen hat, bilden Diave und ich ein Team und suchen die Räume im unteren Teil ab.“
Der Hexer lächelte gequält.
„Nun denn, Lady Peckinpah“, er deutete eine Verbeugung an, „dann wären wir beide wohl für die oberen Stockwerke zuständig!“
Sie lächelte ihn an, rückte ihr Haar zurecht und ehe er sich’s versah, hakte sie sich bei ihm unter und lotste ihn in Richtung Treppe. Ein Déjà-vu kam über ihn. Genauso hatte sie es bei Rittersporn getan ... Rittersporn! Sein Name brachte den Schmerz zurück.
„Worauf warten wir dann noch?“, fragte sie mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen. „Suchen wir den verfickten Schweinehund und geben ihm, was er verdient!“
„Erst finden wir ihn, dann sehen wir weiter, Lady“, warf Geralt ein, der sich allmählich fragte, welche Art von Kinderstube diese sogenannte Lady genossen hatte. Sie konnte zumindest nicht besonders damenhaft gewesen sein. Unter Vesemirs strenger Hand hatte er auf alle Fälle mehr Anstand und Vernunft eingebläut bekommen, als dieser verwelkte Spross einer degenerierten und sogenannten besseren Gesellschaft.
Das konnte noch heiter werden. Geralt wünschte sich nicht zum ersten Mal in dieser Nacht, er wäre nicht hier, sondern woanders. Meinetwegen mit einer Kikimore im Nacken und einer Horde Ertrunkener voraus. Damit konnte er zumindest umgehen. Diese ganzen Heimlichkeiten und Ränkespiele der Menschen hingegen waren ihm zutiefst zuwider, wie er wieder einmal feststellen konnte.

„Ihr seid also der berühmte Elf, von dem die Frauen in Wyzima ohne Unterlass sprechen? Ich gebe zu“, Diave spielte mit einer Locke ihres Haares, während sie unbewusst ihre Lippen befeuchtete, „ich dachte immer schon einmal daran, zu einer Eurer berüchtigten Vorstellungen zu kommen, doch fehlte mir bislang immer der Mut dazu. Züchtige Mädchen wie ich“, sprach sie und zog den bodenlangen Mantel, den sie sich übergeworfen hatte, fester um ihre Hüfte und schloss ihn am Halse ganz, „müssen auf ihren guten Ruf achten, das versteht Ihr doch?“
„Durchaus, meine Liebe.“
Dauphin konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden, während sie nebeneinander hergingen. Zweifellos war Diave ein Musterbeispiel an Bescheidenheit und jungfräulicher Demut, doch diesen Typus Frau hatte er in seinen Vorstellungen zu oft gesehen. Gerade die zurückhaltendsten unter ihnen mit ihrem scheuen Augenaufschlag hatten sich ihm nach seinen Shows hinter der Bühne nur zu bereitwillig hingegeben und wirklich alles getan, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Diese junge Maid hätte sicherlich schon während seines Auftritts mit ihm geflirtet und hinterher keine Konkurrenz neben sich geduldet. Er war froh, dass Gwynbleidd ihm dazu geraten hatte, sich umzuziehen, denn selbst in seinen Beinlingen wurde der Platz jetzt ziemlich eng.
„Wenn Ihr wollt, gebe ich Euch gerne eine private Vorstellung, wenn wir erst mal diesem Haus entkommen sind.“
Diave errötete und schlug den Blick nieder. Dauphin wertete diese Reaktion als ein eindeutiges Ja, was die Enge in seiner Hose nur verstärkte. Er schluckte und räusperte sich.
„Ich schlage vor“, gab er dem Gespräch eine andere Richtung, „wir fangen mit unserer Untersuchung in der Küche an. Was denkt Ihr?“
„Ich wollte gerade dasselbe vorschlagen. Mir ist nur etwas unwohl bei dem Gedanken, dass wir keine Waffe bei uns haben. Was ist, wenn dieser Kerl irgendwo auf uns lauert, um uns umzubringen?“
Der Elf warf sich in die Brust.
„Keine Angst“, beruhigte er sie, „was kann ein knochiger alter Soldat gegen einen durchtrainierten Elfen wie mich schon ausrichten? Nichts! Zudem gibt es so vieles im Haus, das man notfalls als Waffe gebrauchen kann, ich denke da nur an die ganzen Gerätschaften in der Küche …“
Die blonde Maid blieb stehen und sah den Elfen bewundernd an, dann trat sie nah an ihn heran und schmiegte sie sich eng an seine starke Brust. Er genoss es.
„Bei Euch, werter Dauphin, da fühle ich mich so geborgen und sicher. Ich glaube, Ihr würdet alles tun, um mich zu schützen“, sagte sie und fügte in Gedanken hinzu: selbst sterben.
Nur noch drei.

Geralt versuchte indessen, die Aufgabe so effizient und genau wie möglich zu erledigen, ohne dabei allzu sehr in Lady Peckinpahs Nähe zu geraten, die mit langsamen Schritten und gelangweiltem Gesichtsausdruck hinter ihm herschlurfte. Es war erstaunlich, wie viele Zimmer es in diesem Haus gab und wie viele versteckte Winkel und verborgene Geheimgänge er fand, während er nach Flith suchte. Was er allerdings nicht fand, war der Soldat selbst, sodass er sich bereits am Ende des ersten Stocks sicher war, dass sie nur noch seine Leiche finden würden, wenn überhaupt.
Das wiederum, wurde ihm klar, konnte nur bedeuten, dass Flith nicht der Mörder sein konnte, sondern, wenn man es nach den Gesetzen der Logik betrachtete, einer der anderen, noch lebenden für alle Morde im Haus verantwortlich sein musste. Es sei denn, er selbst hätte die Taten begangen, was er aber recht zuverlässig ausschließen konnte.
Er warf einen verstohlenen Blick auf Lady Peckinpah, die sich gerade an eine Wand gelehnt hatte und anscheinend großes Interesse an ihren lackierten Fingernägeln entwickelte. Konnte es sein, dass sie die Gesuchte war? Zugegeben, sie war groß und ihr Körperbau nicht gerade schmächtig zu nennen, doch reichte dies schon aus, um sie verdächtig erscheinen zu lassen? Auch ihre schlechte Kinderstube, ihr Hang zum Vulgären und das aufbrausende Temperament, das sie ihr Eigen nannte, reichten als Indizien kaum aus, um sie schuldig oder freizusprechen, Es konnte trotzdem nicht schaden, sich etwas vorzusehen, denn schließlich war Vorsicht die Mutter an der Fisstechtruhe.
„Habt Ihr schon etwas gefunden, Weißbart?“, fragte sie zunehmend gereizt, während Geralt sich in einem weiteren Raum umsah.
„Außer Unmengen von Staub und Schmutz nicht“, antwortete er geduldig. „Na, das nenn ich mal eine Spinne!“
Er verschwieg ihr, dass die riesige Spinne nicht das Einzige war, was sich in diesem Zimmer verbarg. Das Tier huschte rasch mit seinem schwerfälligen roten Hinterteil über das kalkweiße Gesicht von Anya Cicou, die gefesselt in einem Schaukelstuhl saß, der noch immer sanft hin und her schwang. Der Mörder hatte ihr etliche Blätter ihres Notizblocks in den Mund gestopft und über ihre angsterfüllten Augen „Zeitungsente“ auf die Stirn geschrieben. Nun, wer immer der Täter war, er hatte offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zur Presse. Der Hexer beschloss, kein weiteres Aufhebens um die Reporterin zu machen. Bis zu diesem Moment hatte sie keiner vermisst. Warum sollte er jetzt etwas daran ändern?
Die Lady im Flur schauderte und verzog angewidert das Gesicht bei dem Gedanken an das achtbeinige Untier. „Ist Euch eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, dass Meis’ Untergebener doch nicht der Täter sein könnte?“
Der Hexer steckte den Kopf kurz aus der Tür. „Von Anfang an. Ihr überrascht mich, Lady. Ihr wart doch diejenige, die als erstes nach seinem Kopf verlangt habt! Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?“
„Jeder kann sich mal irren, Zuckerbäcker. Ich glaube inzwischen nicht, dass wir ihn noch finden werden. Ihr mögt mich für verrückt halten, aber es ist so ein Gefühl“, Geralt schnaubte, doch sie achtete nicht darauf, „ein Gefühl, das mir sagt, dass der wahre Mörder einer der beiden anderen ist. Vermutlich der Elf. Ich habe diesem verschlagenen Pack noch nie getraut …“
Geralt hatte die Untersuchung des Raumes beendet und baute sich nun mit verschränkten Armen im Türrahmen auf. Ein herablassendes Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Sagte die Frau, die ihre Augen nicht von seinem riesigen Schwanz lassen konnte …“
„Ich gebe ja zu, dass dieser Elf mehr als attraktiv ist“, ihre zuckenden Mundwinkel sprachen Bände, „doch das ist doch alles nur Fassade, eine Falle, um arme, unbescholtene Bürger wie Euch oder mich in die Irre zu führen, dass müsst selbst Ihr zugeben“, erwiderte sie mit zu Schlitzen verengten Augen.
Der Hexer wandte sich heimlich schaudernd ab. In ihrem Inneren schien Lady Peckinpah genauso hässlich und von ihren negativen Emotionen zerfressen zu sein, wie es ihr Gesicht nach außen reflektieren würde, wären da nicht Unmengen von Schminke und schlecht gefärbten Haaren, die dies zu übertünchen versuchten.
Ein Poltern, so laut wie eine Explosion, erklang aus dem Erdgeschoss, gefolgt von einem kurzen Schrei.
„Was war das?“, verlangte sie mit schriller Stimme zu wissen. Geralt hörte sie nur zu gut, obwohl er bereits die ersten Treppenstufen nach unten übersprungen hatte.
„Nun, Lady, es gibt nur zwei Möglichkeiten“, rief er trocken über seine Schulter hinweg, „entweder haben Diave und Dauphin Flith gefunden oder …“
„Oder was?“ verzweifelt versuchte sie mit dem Hexer Schritt zu halten und stolperte ihrerseits die Treppe hinunter.
„Oder er hat sie gefunden …“
Vielleicht bringen sich die beiden auch gerade gegenseitig um, dachte Geralt, doch diese - aus seiner Sicht - weitere Möglichkeit verschwieg er ihr lieber.

Die Küche lag im Halbdunkel. Wo das wenige Licht aus dem Flur und den Fenstern hinfiel, glänzten polierte Töpfe und Pfannen aus Messing, die an großen Haken befestigt waren, die von der Decke hingen. In der Mitte des großen Raumes befand sich die Kochstelle, die aus mehreren offenen und geschlossenen Herdstellen bestand, auf die man nach Belieben große Kochkessel oder Pfannen und Töpfe schieben konnte. In einigen glühten sogar noch die Kohlen.
„Wartet“, befahl ihr der Elf flüsternd und berührte sie an ihrem Oberarm. Sie zuckte zusammen. „Ich werde vorangehen. Ich habe die besseren Augen von uns beiden.“
„Warum machen wir nicht einfach mehr Licht?“
„Weil wir keine große Aufmerksamkeit erregen wollen, falls der Soldat sich hier verstecken sollte“, erklärte er ihr geduldig und schritt vorsichtig und in gebückter Haltung voran. Er gab ihr Zeichen, sobald sie ihm bedenkenlos folgen konnte.
„Achtung!“ er dirigierte sie um eine feuchte Stelle herum und umging sie selbst auf der anderen Seite. „Hier hat einer der Köche anscheinend Suppe verschüttet - oder sich an dieser Stelle übergeben.“
„Iih, das ist ja widerlich“, schüttelte sich Diave, die mit ihrem Rücken an einen Tisch stieß. Sie blieb stehen und stützte sich mit den Händen auf der Holzplatte ab, auf der nur Stunden zuvor Fleisch und Gemüse in handliche Stücke zerteilt worden waren. Sie machte einen Schritt vor, als es unter ihrem Fuß hässlich klickte. Sie kannte das Geräusch.
„Das ist nicht Euer Ernst, Dauphin. Eine Sprengfalle?“
Nur wenige Schritte vor ihr leuchtete ein Licht auf und sie beobachtete zähneknirschend, wie der Elf eine Laterne entzündete. Er lächelte hämisch.
„Warum nicht? Ihr habt dem armen Val Percy die Luft abgedrückt, da finde ich es nur zu gerecht, wenn Ihr dafür durch den Boden in den Keller stürzt.“
„Was hat mich verraten?“
„Nun“, erklärte er ihr, während er einige Kerzen anzündete, „als ich den armen Val fand, fiel mir sogleich das Messer auf, das mit Blut beschmiert auf dem Boden lag. Da er selbst keine Wunden am Körper aufwies, konnte das Blut daran also nur von seinem Mörder stammen. Ich hatte Euch schon in Verdacht, da Ihr bereits den ganzen Abend ein Auge auf den armen Kerl geworfen hattet, das konnte nun wahrlich jeder sehen, doch wirklich sicher war ich mir erst vorhin. Ihr seid zusammengezuckt, als ich Euch am Arm berührte, wo sich zweifellos eine schmerzhafte Schnittverletzung befindet, aber das macht jetzt ohnehin keinen Unterschied mehr. Umbringen werde ich Euch in jedem Fall ...“
Wut und Verzweiflung spiegelten sich auf dem Gesicht von Diave wider.
„Ihr kennt ja bestimmt das Prinzip einer Sprengfalle. Diese hier hat einen Druckauslöser. Sobald Ihr also Euer Gewicht zu sehr verlagert oder den Fuß von der Falle nehmt, seht Ihr den Keller dieses Hauses schneller, als Euch lieb ist. Ich muss mich übrigens bei Euch bedanken, dass Ihr mir ein Opfer abgenommen habt ...“
„Drei ...“, korrigierte sie ihn.
„Pardon?“, zwinkerte der Elf.
„Erinnert Ihr Euch etwa nicht mehr an die erste Leiche? Das Gift im Punsch?“
Der Elf pfiff anerkennend und klatschte affektiert.
„Das wart Ihr? Respekt! Val Percy war dann Euer zweites Opfer. Wer war das dritte?
„Die Reporterin. Sie ließ mich bedenkenlos in ihr Zimmer, als ich mit weinerlicher Stimme um Einlass bat. Sie bot mir sogar eine Tasse Tee zur Beruhigung an, die dumme Kuh. Ich habe dann kurzen Prozess mit ihr gemacht ...“
„Sieh an, sieh an“, murmelte er und wandte Diave den Rücken zu, „die hatte ich ja vollkommen vergessen. Was für ein Fauxpas. Habt nochmals Dank!“
„Wenn Ihr mir danken wollt, Elf, dann tut mir einen Gefallen und sterbt“, spuckte die ganz und gar nicht mehr holde Maid aus und warf das Messer, welches ihre Hand auf dem Tisch gefunden und bis zu diesem Moment hinter ihrem Rücken verborgen gehalten hatte.
Der Elf drehte sich in einer blitzschnellen Bewegung um und fing das Messer mit seinen ebenen Handflächen ab, bevor es seinen Brustkorb durchdringen konnte. Amüsiert betrachtete er die Klinge und schwang sie hin und her. Diave hörte, wie die Luft durchschnitten wurde.
„Wer zum Teufel seid Ihr? Sagt nicht, Ihr wärt Dauphin Rot, denn das kaufe ich Euch nicht mehr ab. Ich habe nur von einem Elf gehört, der in der Lage ist, eine Waffe auf diese Art und Weise im Fluge zu fangen, demnach müsst Ihr ...“
Der Elf verbeugte sich vor ihr.
„Ihr habt Recht, Verehrteste. Ich bin niemand anderes als ...“
„Caldrehel“, flüsterte sie fast ehrfurchtsvoll. „Iorweths Mann für die geheimsten Aufträge und alle anderen kniffligen Fälle. Ihr habt mehr Leute heimlich im Auftrag der Scoia’tael gemeuchelt, als auf dem Schlachtfeld zu Tode gekommen sind, so sagt man jedenfalls.“
Caldrehel wirbelte herum.
„Das ist zu viel der Ehre, meine Liebe. Ich habe zwar nicht mitgezählt, doch ich will keinesfalls die Erfolge meiner anderen Kameraden schmälern. Was Ihr sicherlich noch nicht wusstet, ist die Tatsache, dass ich nicht nur Iorweths bester Mann, sondern auch sein Bruder bin. Nun, dieses Geheimnis werdet Ihr allerdings mit in Euer Grab nehmen ...“
„Und Euch gleich mit“, lächelte Diave, griff mit einer Hand nach dem unvorsichtig nahe gekommenen Elfen und trat von der Sprengfalle. Caldrehel schrie, dann verschwanden er und Diave in den Trümmern der Explosion, genauer gesagt durch das Loch im Boden, das nun einen alternativen Weg in den Keller zeigte.

Er kam zu spät. Wieder einmal. Geralt betrachtete das immense Loch, das die Explosion in den Boden der Küche gerissen hatte, als hinter ihm Lady Peckinpah vollkommen außer Atem ankam. Sie schnaufte und keuchte wie ein waidwunder Nekker.
„Wo sind Diave und Dauphin?“, fragte sie, als sie wieder etwas zu Luft gekommen war. Geralt wies in verschiedene Richtungen.
„Wenn ich das richtig sehe, dann klebt ein Stück von Dauphin hier am Tisch, dort ist ein Fetzen von Diaves Mantel zu sehen, doch der größte Teil der beiden liegt jetzt wohl eine Etage tiefer. Soviel zu Eurer Theorie darüber, wer der Täter ist.“
„Dann bleiben wohl nur noch wir beide übrig“, bemerkte sie und näherte sich Geralt mit einem Glitzern in den dunkel umschatteten Augen. Er stand immer noch am Rande des Lochs, das bestimmt mehrere Meter in die Tiefe ging, tief genug, um einem Menschen das Genick zu brechen, wenn er dort hinunterfiel. Alles, was sie nur zu tun brauchte, war ihm einen kräftigen Schubs zu geben und der Kontrakt mit dem unbekannten Gastgeber wäre erfüllt.
Lady Peckinpah trat einige Schritte zurück, um etwas Schwung nehmen zu können, denn der Zuckerbäcker war ein großer und stark gebauter Kerl. Da musste sie schon etwas fester stoßen, damit er auch garantiert dort landete, wo sie ihn haben wollte. Lautlos streckte sie ihre Arme aus und nahm seinen breiten Rücken ins Visier. Dann lief sie los. Geralt hörte, wie Lady Peckinpah sich in Bewegung setzte, hatte allerdings keine Ahnung davon, was die Frau plante. Er drehte sich halb herum, sodass statt seines Rückens nur die schmale Silhouette seines Körpers zu sehen war, womit die Lady ganz und gar nicht gerechnet hatte. Anstelle seines breiten Kreuzes stießen ihre Hände nur durch Luft und sie verlor das Gleichgewicht. Sie stolperte und ehe es sich Geralt versah, verschwand sie mit einem entsetzten Schrei durch die zerfetzten Dielen in Richtung Keller, wo ihr Leben mit dem Brechen des Genicks ein rasches und gnädiges Ende fand.
„Verflucht noch eins“, murmelte der Hexer überrascht. „Hat das Weibsstück tatsächlich versucht, mich zu Tode zu stoßen?“
Er schüttelte ungläubig den Kopf. Waren denn etwa alle in diesem Haus Mörder gewesen? Wer steckte denn nun hinter allem, hatte den Tod von neun Menschen auf dem Gewissen, vor allem den seines besten Freundes Rittersporn? Wahrscheinlich würde er es nie erfahren. Alles, was ihm jetzt noch zu tun übrig blieb, war die Leiche des Barden sicher nach Hause zu bringen, damit er das Begräbnis bekam, das ihm zustand. Ganz sicher würde er nicht mit den anderen Überresten in einer Leichenkammer zu faulen beginnen, nur weil die Stadtwache von Wyzima mit ihren Ermittlungen nicht vorankame. Der Barde war mehr als nur eine Fallnummer. Er war sein Freund gewesen. Vielleicht erlaubte Meister Vesemir ihm sogar, dass er Rittersporn in Kaer Morhen begrub oder zumindest seine Asche dort verstreuen durfte, je nachdem, was der Barde für den Fall seines Ablebens vorgesehen hatte.
Wenn er die Augen schloss, konnte Geralt ihn auf seiner Elfenlaute spielen hören. Ein altes Lied, das von seinem Kampf gegen die Striege handelte. Der Hexer lächelte. Nach einigen kunstvollen Takten, die die Grundstimmung des Liedes wiedergaben und den Refrain vorwegnahmen, setzte die wohlklingende Stimme des Barden ein:

„In Wyzima vor langer Zeit,
da herrschte einst so groß das Leid
denn im Schloss der alten Riege
da hauste eine böse Striege.

Im Schloss der alten Riege
hauste eine schreckliche Striege

Ihr Hunger war ganz ohne Maß
Verbrecher warf man ihr vor zum Fraß
sie schlang sie ohne gleichen
lang würden sie nicht mehr reichen

Sie schlang sie ohne gleichen
bald werden sie nicht mehr reichen

Der König geriet in höchste Not
sein Rat sähe sie am liebsten tot
er sagte allerdings stets nein
war sie doch sein Töchterlein

Er sagte immer wieder nein
war sie doch sein Töchterlein

In einem Kontrakt sucht er sein Heil
bot dem eine Menge Orens feil
der tut sein Töchterlein erlösen
vom Striegenfluch, dem bösen

Wer tut sein Töchterlein nur erlösen
vom Striegenfluch, dem bösen?

Da kam des Wegs ein Hexersmann
der nahm den Auftrag sogleich an
der sagte zu dem König ja
und hieß Geralt von Rivia

Und Geralt, weißt du noch, wie das Lied weitergeht?“
Der Hexer schreckte aus seinem tranceähnlichen Zustand auf, in den ihn das Lied versetzt hatte. Bekam er etwa Halluzinationen? War das gerade wirklich Rittersporns Stimme gewesen? Wie konnte das sein? Der Barde war doch …
„Nun zermarter dir nicht unnötig das Hirn, Hexer. Ich warte im Kaminzimmer auf dich und werde dir all deine Fragen beantworten!
Der sagte zu dem König ja
sein Name war Geralt von Rivia!“
Im großen Saal flackerte ein gemütliches Feuer im Kamin. Ein wundervoller Duft nach gepökeltem Fleisch durchzog die Luft. Geralts Magen knurrte vernehmlich.
„Da bist du ja endlich“, sagte Rittersporn und zupfte einige weitere Takte aus dem Striegenlied und summte dazu. Er saß im hohen Stuhl vor dem Kamin und war offensichtlich sehr lebendig. Geralt erstarrte und wusste nicht, ob er sich nun darüber freuen sollte, dass sein Freund am Leben war oder nicht, denn die Tatsache, dass der Barde vor ihm saß, ließ nur den Schluss zu, dass er derjenige war, der für all die Toten hier im Haus persönlich oder indirekt verantwortlich war.
„Nun steh doch nicht herum und halte Maulaffen feil, Hexer. Setz dich!“ Rittersporn stieß mit einem Tritt eine kleine Sitzbank an, die über die Dielen hinweg rutschte und kurz vor Geralt zum Halten kam.
„Rittersporn, bist du es wirklich?“, krächzte der Hexer und hatte Mühe, seine Stimmlage auf einer Höhe zu halten, während er der Aufforderung des Barden nachkam.
Der Barde sah auf und lächelte, zupfte einen wehmütigen Akkord auf einer Laute, die der glich, die im ersten Stock in Einzelteile zerschmettert auf dem Boden lag.
„Würde es dich überraschen, wenn die Antwort zugleich ja und nein lautet? Oh, ich sehe es deinem verwirrten Gesicht an, dass die ganze Sache ein klein wenig über deinen Horizont geht ...“
„Die Sache?“ Geralt hatte seine Stimme wiedergefunden und erhob sie nun laut und empört. „Rittersporn, in diesem Haus starben Menschen und allem Anschein bist du Schuld daran! Warum sonst solltest du nun vor mir sitzen? Du hast deinen eigenen Tod vorgetäuscht! Wie immer dir das auch gelungen sein mag, ist mir ein Rätsel“, der Hexer wischte sich mit zitternden Händen über das Gesicht, bevor er den Barden mit seinem Blick fixierte.
„Ich will nur noch eines wissen, Barde, bevor sich unsere Wege für immer trennen werden: Warum? Was war der Grund, was ging bloß in deinem Kopf vor?“
Der Barde verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.
„Zunächst einmal hatte jeder in diesem Haus den Tod verdient! Geralt, bleib sitzen“, beschwor der Barde den Hexer, der im Begriff stand, von seiner Sitzbank aufzuspringen und ihm persönlich den Garaus zu machen.„Gib mir einige Minuten, um alles zu erklären, danach magst du mit mir machen, was dir beliebt. Vielleicht sollte ich mich zunächst einmal vorstellen: Mein Name ist Erin.“
„Erin? Du bist nicht Rittersporn … ah, jetzt dämmert es mir! Du bist ein Doppler, nicht wahr?“
Rittersporn nickte.
„Ja, das bin ich. Keine Sorge. Dein Freund Rittersporn liegt wahrscheinlich gerade vergnüglich im Bett mit den talentiertesten Mädchen im besten Freudenhaus von ganz Wyzima. Auf meine Kosten natürlich. Es ist wohl das klügste, wenn ich dir erkläre, was es mit dieser Nacht nun auf sich hat.“
Der Hexer nickte und gab ihm ein Zeichen, dass er fortfahren möge.
„Vor einigen Jahren verliebte ich mich in die Frau eines Stadtangestellten im Rathaus zu Wyzima. Er hieß Erin. Zu meinem Glück hatte er gerade eine Affäre mit einer anderen Angestellten am Laufen, sodass er nichts dagegen hatte, dass ich seinen Platz einnahm, während er mit seiner Liebschaft das Weite suchte. Ich nannte mich fortan Erin und lebte an der Seite meiner Frau glücklich und zufrieden - bis im letzten Jahr jenes Unglück geschah, das meine Welt zerstören sollte.“ Der Doppler hielt kurz inne und holte mit Rittersporns Lungen tief Luft. „Meine Frau wurde Zeuge eines Mordes. Nicht irgendeines Mordes, nein, sie sah, wie der Bankier Vivaldi sein Leben ließ und vor allem sah sie, wer dies tat. Sie war eine wichtige Zeugin, doch bevor sie vor Gericht ihre Aussage machen konnte, wurde sie umgebracht. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich den Auftraggeber mit Hilfe von Raimund Maarloeve fand, was mich nebenbei eine hübsche Stange Geld gekostet hat.“
Der Hexer sah fassungslos drein.
„Und weiter?“
„Nun, der Mann, der den Auftrag zum Mord an meiner Frau gegeben hatte, war ein Anderling, der Vivaldi seine Bank und seine Macht neidete. Bevor er von den Wachen abgeführt wurde, um seine gerechte Strafe zu empfangen, verhöhnte er mich aufs Übelste. Ich stand wieder am Anfang. Ich war noch keinen Schritt weiter. Ich wusste zwar nun, wer den Mörder beauftragt hatte, aber nicht, wer die Tat schließlich ausführte. Da kam der Zufall mir zu Hilfe. In seinen penibel geführten Unterlagen fand ich doch tatsächlich Kopien von neun Kontrakten, welche den Adressaten eine nicht unbeträchtliche Summe versprachen, wenn meine Frau erst mal tot war. Allerdings ergab sich jetzt ein neues Problem ...“
„Ich verstehe“, der Hexer nickte zustimmend, „du konntest nicht mit Bestimmtheit sagen, wer von den neun der Mörder war.“
„Stimmt genau, Hexer! Darum musste ich mir etwas einfallen lassen. Ich mietete dieses Haus, ließ den Mördern über dunkelste Kanäle für diese Nacht einen ertragreichen Kontrakt zukommen, den sie einfach nicht ablehnen konnten.“
Geralt griff in seine Brusttasche und holte den Brief hervor: „Du meinst den hier? Ich verstehe. Du gabst jedem Attentäter genaueste Instruktionen, wie sie im Haus auftreten sollten und zusätzlich jedem eine falsche Identität, damit die anderen die Lunte nicht schon vorher rochen. Aber warum? Wolltest du auf diese Weise den wahren Mörder ausfindig machen?“
Der Doppler schüttelte wild den Kopf.
„Nein, nein, Geralt, das brauchte ich gar nicht. Ich wusste ja, einer von ihnen war es unter Garantie. Ich brauchte nur abzuwarten, bis sie damit anfangen würden, ihrem Kontrakt gemäß die anderen Gäste umzubringen und selbst zur rechten Zeit meinen Tod vorzutäuschen, damit Rittersporn aus dem Spiel war. Zu gern hätte ich sie ja selbst alle dafür bestraft, was sie meiner Frau und unzähligen anderen angetan hatten, aber ...“
„Doppler sind nicht in der Lage zu töten!“
Rittersporn senkte den Kopf.
„Ja, das stimmt. Es ist ein Segen und ein Fluch zugleich, Hexer.“
Sie saßen eine Weile beieinander, ohne dass ein weiteres Wort gefallen wäre. Der Geruch nach frisch gebratenem Fleisch wurde immer stärker, bis ein lautes Rumpeln im Kamin ertönte und die Leiche von Flith, dem Soldaten, Stück für Stück und gut durch auf dem Feuerrost landete. Geralt und der Doppler in Rittersporns Gestalt sprangen auf.
„Nun, zumindest weiß ich jetzt, was mit Meis’ Handlanger geschehen ist“, bemerkte Geralt lakonisch, während er mit einem Schürhaken in den sterblichen Überresten des Soldaten stocherte. Dem Doppler war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
„Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Erin, aber ich schiebe gerade mächtigen Kohldampf. Wie wäre es, wenn wir einen Happen essen und uns dabei überlegen würden, wie wir dich am Besten aus dem ganzen Schlamassel herausbekommen?“
„Du willst mich nicht den Behörden ausliefern, Hexer?“
Geralt zuckte nur mit den Schultern.
„Warum sollte ich? Nun, da ich weiß, dass niemand in ganz Temerien diese Männer vermissen wird? Mit Ausnahme von Flith, doch der wusste, was er tat. Berufsrisiko halt.“
Ein freudiges Strahlen ging über das Gesicht des Dopplers. Irre ich mich, dachte der Hexer, oder kringeln sich tatsächlich gerade Rittersporns Ohren?

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Kurz nach Sonnenaufgang erschien Hauptmann Vincent Meis mit einem Trupp seiner gut bewaffneten Wachleute. Er war erstaunt, dass er nur noch Geralt vorfand.
„Ich erkläre Euch gerne, was letzte Nacht hier passiert ist“, gab der Hexer dem Hauptmann zu verstehen, „doch erlaubt mir zunächst, den Hund rauszulassen. Er war die ganze Nacht mit uns hier eingesperrt, ohne seiner Natur folgen zu können ...“
„Wie bitte?“, fragte Vincent Meis und betrachtete argwöhnisch den großen schwarzen Hund, der mit treuen Augen winselnd zu ihm aufsah.
„Der Hund muss mal“, flüsterte ein Soldat seinem Hauptmann zu. Wie auf Stichwort schlenderte der Hund um Vincent Meis herum und hob probeweise sein Bein an der Uniformhose des Hauptmanns.
„Schon gut! Schon gut! Raus mit ihm, bevor er mich noch anpisst!“
Geralt führte den Hund zur Tür und öffnete sie.
„Raus mit dir und lass dir Zeit“, befahl er dem Hund lächelnd, der sich dies nicht zweimal sagen ließ und in den Schnee hinausstürmte, sich im wilden Lauf noch einmal herumdrehte und zurückblickte.
„Frohe Weihnachten, Erin“, murmelte der Hexer, bevor er sich Vincent Meis zuwandte, um seine Fragen zu beantworten.

(Dan)

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Witchers News, Jg. 4, Weihnachtsspecial Nr. 3 vom 23.12.2012, S. 3-35


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